Deutschland

EU-Forderungen und Sicherheitszweifel befeuern Atomdebatte weiter

Der Dauerstreit um die deutsche Kernenergie zieht immer größere Kreise. Sogar einige EU-Länder fordern nun die Laufzeitverlängerung. Unterdessen gibt es Kritik an der Sicherheitsbewertung für Isar 2.
29.07.2022

Zankapfel Isar 2: Ein Gutachten des TÜV Süd hält eine Laufzeitverlängerung für das niederbayerische Atomkraftwerk für unbedenklich, Umweltverbände und eine Hamburger Kanzlei hingegen sprechen von einem "Gefälligkeitsgutachten" für die Bayerische Staatsregierung.

In die seit Wochen festgefahrene Debatte um eine Verschiebung des Atomausstiegs kommt neue Bewegung. Mehrere EU-Staaten drängen nach Recherchen der Deutschen Presse-Agentur auf eine Nutzung der Kernkraft in Deutschland auch über das bislang gesetzlich festgeschriebene Enddatum 31. Dezember hinaus. Angesichts der Gaskrise wird zudem gefordert, das Wiederhochfahren der zuletzt vom Netz genommenen Meiler zu prüfen.

Während damit Befürworter längerer Laufzeiten etwa in CDU, CSU und FDP Rückendeckung erhalten, wirft ein neues Rechtsgutachten Zweifel an der Sicherheitsbewertung des Meilers Isar 2 in Bayern auf.

Aus Sicht von Ländern wie Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Frankreich könnte ein Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke erheblich dazu beitragen, Gas zu sparen, da in der Bundesrepublik zuletzt noch immer etwa 15 Prozent des Stroms von Gaskraftwerken erzeugt wurde. Sollte Russland seine Gaslieferungen in die EU komplett einstellen, wären dann mehr Reserven für das Heizen von Haushalten und für die Industrie verfügbar. Hintergrund der Forderungen ist der EU-Notfallplan für die Gaskrise. Er sieht vor, den nationalen Konsum von August bis März um 15 Prozent zu senken.

Isar 2: Neues Gutachten wirft TÜV Süd Befangenheit vor

Umweltverbände wie der Bund Naturschutz (BUND) und Greenpeace warnen dagegen vor einer erneuten Verschiebung des Atomausstiegs und verweisen dabei auf nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken. Nachdem ein Mitte Juni bekannt gewordenes Gutachten des TÜV Süd im Auftrag des bayerischen Umweltministeriums keine Bedenken für einen Weiterbetrieb erklärte, wirft nun ein neues Rechtsgutachten dem TÜV Süd Befangenheit vor.

Konkret wirft die Hamburger Kanzlei Michael Günther in ihrer 21-seitigen Stellungnahme, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt und im Auftrag von Greenpeace Deutschland erstellt wurde, dem TÜV Süd eine «schlampig argumentierende Auftragsarbeit» vor, die «nicht als seriöse Bewertung anerkannt werden kann». Auch ergebe sich der Eindruck, der TÜV lasse geltendes Atomrecht außer Acht.

Bayerisches Umweltministerium weist Vorwürfe zurück

Die TÜV-Bewertung sei «offenbar für den Einsatz als Waffe in der aktuellen Diskussion um eine Laufzeitverlängerung in der politischen Arena bestimmt» gewesen, heißt es weiter. Der TÜV Süd bescheinige, was der Auftraggeber wünsche. «Unabhängig vom Zustand und ohne Überprüfung der AKW steht für den TÜV das Ergebnis bereits fest», sagte Heinz Smital, Atomphysiker und Greenpeace-Atomexperte. Es bestehe der Verdacht, «dass hier ein Gefälligkeitsgutachten erstellt worden ist», so die Anwälte.

Das bayerische Umweltministerium wies den Vorwurf umgehend zurück: «Der TÜV Süd ist einer der renommiertesten und mit Fragen der Kernkraft am besten vertrauten Experten», sagte ein Sprecher. Das TÜV-Gutachten befasse sich mit zentralen Sicherheitsfragen einer befristeten Laufzeitverlängerung und komme zu einem eindeutigen Ergebnis. Es ist nicht ersichtlich, woher sich eine höhere Expertise einer Hamburger Rechtsanwaltskanzlei in der Kerntechnik ableite.

Greenpeace: "Atomkraft zu schwerfällig, um Stromspitzen abzufedern"

Mit Blick auf die laufende Debatte um drohende Energieengpässe betonte Smital: «Die AKW sind ein Sicherheitsrisiko und keine Hilfe bei einem möglichen Gasmangel im kommenden Winter.» Atomkraft sei zu schwerfällig, um Stromspitzen abzufedern. Statt auf mehr Kernkraft zu setzen, müsse es um einen sparsamen Umgang mit Energien gehen.

Die Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt hatten sich im März 2022 bereits gegen einen Weiterbetrieb der letzten deutschen Meiler ausgesprochen. Inzwischen hat das Bundeswirtschaftsministerium weitere Untersuchungen zum Sinn und zu möglichen Risiken einer längeren Laufzeit von Atommeilern angekündigt. Die Ergebnisse sollen in den kommenden Wochen vorgelegt werden.

BUND: "Risiken stehen in keinem Verhältnis zu Kosten"

Am Donnerstag hatte auch der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) eine Studie vorgelegt, die einen Weiterbetrieb von Atomkraftwerken kategorisch ablehnt. Der Nutzen stehe in keinem Verhältnis zu den Risiken und Kosten. So basierten die zuletzt 2009 vorgenommenen Sicherheitsüberprüfungen auf einem Regelwerk aus den frühen 80er-Jahren, in denen die Atom-Unfälle von Tschernobyl und Fukushima noch gar nicht berücksichtigt seien.

In Deutschland sind derzeit noch drei Atomkraftwerke am Netz: Emsland in Niedersachsen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Nach geltendem Recht müssen sie spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden. In der Bundesregierung sind die Grünen gegen eine weitreichende Laufzeitverlängerung. Als Option wird lediglich gesehen, die noch laufenden Atomkraftwerke mit den noch vorhandenen Brennelementen länger zu betreiben. So könnte das Atomkraftwerk Isar 2 noch bis zum Sommer 2023 laufen.

TÜV-Verband hält auch Wiederinbetriebnahme von 2021 abgeschalteten Meilern für schnell umsetzbar

Die drei Atomkraftwerke, die nach Angaben von Experten in Deutschland wieder in Betrieb genommen werden könnten, sind die Kernkraftwerke Brokdorf (Schleswig-Holstein), Grohnde (Niedersachsen) und Gundremmingen C (Bayern). Der Geschäftsführer des TÜV-Verbands, Joachim Bühler, sagte der «Bild»-Zeitung jüngst dazu, die Wiederinbetriebnahme der 2021 abgeschalteten Meiler wäre «keine Frage von Jahren, sondern eher von wenigen Monaten oder Wochen» - und vor allem eine Frage des politischen Willens.

«Die drei Kraftwerke befinden sich nach unserer Überzeugung in einem sicherheitstechnischen Zustand, der es möglich machen würde, sie wieder ans Netz zu nehmen», sagte Bühler. (dpa/hoe)