Kapazitätsmechanismen: Warum Stadtwerke mit der Absicherungspflicht besser fahren

Robert Busch ist Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft (BNE).
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Gastbeitrag von
Robert Busch,
Geschäftsführer
Bundesverband Neue Energiewirtschaft
In der Energiewirtschaft herrscht traditionell selten breite Einigkeit. Eine der wenigen Ausnahmen bildet das Thema Ausbau gesicherter Leistung: Hier sind sich nahezu alle Marktakteure darin einig, dass das Strommarktdesign weiterentwickelt werden muss, um verlässliche Investitionsanreize für steuerbare Kapazitäten zu schaffen. Für langfristige Investitionen braucht es daher Planungssicherheit – nur so können neue Marktakteure, Stadtwerke und Industrie die erforderlichen Mittel mobilisieren.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) fordert seit über zwölf Jahren ein marktgetriebenes, technologieneutrales Modell, das meist als dezentraler Kapazitätsmarkt diskutiert wird. Die Vorteile liegen auf der Hand: geringe Fehlanreize für Überkapazitäten, Technologieoffenheit sowie Anreize für Flexibilität und Lastreduktion.
Nachteile zentraler und dezentraler Kapazitätsmärkte
Die aktuelle politische Debatte hingegen läuft allerdings fast ausschließlich auf einen zentralen Kapazitätsmarkt hinaus. Dieses Modell macht die Vorteile des dezentralen Ansatzes zunichte und ist zudem besonders teuer: Laut Berechnungen des damaligen BMWK [Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, von Robert Habeck geführt, Anm. d. Red.] liegen die Kosten am Ende bei mindestens zwei Cent pro Kilowattstunde.
Jüngste Hochrechnungen des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft (BNE) zeigen für einen Zeitraum von 20 Jahren Kosten von bis zu 435 Milliarden Euro auf. Einige Nachteile teilen beide Modelle: Sowohl zentrale als auch dezentrale Kapazitätsmärkte können leicht Opfer politischer und administrativer Einflussnahme werden. Detailsteuerung und die hoheitliche Bewertung von Technologien (mittels De-Rating-Faktoren) führt zu Verzerrungen, Abhängigkeiten und hemmt Investitionen. Erfahrungen, wie etwa aus Frankreich, zeigen, dass dezentrale Märkte mit der Zeit in zentral gesteuerte Märkte übergehen – mit steigenden Kosten und Ineffizienzen.
Die beständigen Anpassungen behindern neue Projekte und sorgen für Unsicherheit. Zudem müssen sowohl der zentrale als auch der dezentrale Kapazitätsmarkt beihilferechtlich notifiziert werden, was dauerhafte Investitionszurückhaltung mit sich bringt – wie wir es hier seit Jahren bei der Kraftwerksstrategie beobachten können.
Die Absicherungspflicht ist prinzipiell technologieneutral
All diese Nachteile lassen sich mit einem anderen Ansatz leicht vermeiden: der Absicherungspflicht. Sie verpflichtet alle Bilanzkreise, ihre prognostizierte Nachfrage frühzeitig und vollständig abzusichern, beginnend mindestens drei Jahre im Voraus und dann graduell ansteigend.
Dabei ist sowohl eine Absicherung am Terminmarkt als auch durch Eigenerfüllung möglich. Die Eigenerfüllung als Option ist insbesondere für Stadtwerke mit eigenen Kapazitäten attraktiv, jedoch in der Diskussion bisher wenig präsent oder sogar gänzlich unbekannt. Die Absicherungspflicht ist prinzipiell technologieneutral und bietet damit eine verlässliche, marktwirtschaftliche Lösung zur dezentralen Sicherstellung der Versorgung.
Eine beihilferechtliche Genehmigung ist nicht nötig und die Einführung daher direkt möglich und in Grundsätzen nach EU-Recht schon jetzt erforderlich. Konzeptionell ist sie recht nahe am dezentralen Kapazitätsmarkt. Gerade für kommunale Unternehmen eröffnet die Absicherungspflicht konkrete Chancen: Sie können lokale Flexibilitäten von Industrie-Lastmanagement über Batteriespeicher bis zu dynamischer Wärmesteuerung systematisch und marktfähig monetarisieren.
Virtuelle Kraftwerke und Flexibilitätsbündel werden gleichwertig mit zentralen Großkraftwerken behandelt. Dies stärkt regionale Wertschöpfung, schafft neue Geschäftsfelder und erhöht die Systemstabilität. Akteure, die etwa über Wärmenetze verfügen, die an Großwärmepumpen oder Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen angeschlossen sind, können dank Wärmespeichern auch Dunkelflauten leicht überbrücken oder freiwerdende Kapazitäten gewinnbringend vermarkten. Auch flexible Biomasse könnte erheblich am Markt profitieren, wenn damit Preisspitzen abgedeckt werden können. Klar ist: Sowohl Kraft-Wärme-Kopplung als auch Biomasse würden von der Absicherungspflicht profitieren. Hingegen sind sie von Kapazitätszahlungen eines Kapazitätsmarktes, egal, ob zentral oder dezentral ausgeschlossen, allein aufgrund des Doppelförderungsverbots durch die EU.
Kommunale Wirtschaft und dezentrale Energieanbieter zusammen
Die dezentrale Absicherungspflicht ist bereits heute das bevorzugte Modell großer Teile der deutschen Industrie und des Handwerks. Die Familienunternehmer, die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), der Verband der Energieabnehmer und viele weitere Akteure werben gemeinsam mit der neuen Energiewirtschaft für diese Variante. Der Grund ist einfach: Sie ist die für Verbraucher günstigste Lösung und damit auch gesamtwirtschaftlich sinnvoll. Schließlich müssen am Ende die Kunden die Energie zu den angebotenen Preisen auch bezahlen können. Ein zusätzlicher Aufschlag in Form einer hohen Kapazitätsprämie wäre schlicht nicht tragbar und würde der weiteren Deindustrialisierung Vorschub leisten.
Gemeinsam können kommunale Wirtschaft und weitere dezentrale Energieanbieter stattdessen die Absicherungspflicht als bevorzugtes Marktdesign etablieren. Diese ermöglicht die optimale Nutzung dezentraler Ressourcen und dezentralen Wissens. Außerdem schützt sie die regionale Industrie und senkt volkswirtschaftliche Gesamtkosten, indem eine Vielzahl ineffizienter Großkraftwerke vermieden werden. Die marktwirtschaftliche, wettbewerbliche Lösung mobilisiert Milliarden an regionalen Investitionen, die andernfalls in zentral geplante Anlagen weniger großer Energieunternehmen fließen würden, und sichert langfristig Versorgungssicherheit.
Fazit: Die Absicherungspflicht gibt dezentralen Akteuren wie den Stadtwerken die faire Chance, ihre Stärken auszuspielen. Kunden werden geschützt, die Versorgung gesichert und volkswirtschaftliche Kosten dauerhaft gesenkt.
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