Weg von isolierten Maßnahmen, hin zur Systemlösung

Ernesto Garnier setzt sich für einen integrierten Ansatz bei der Gebäudeversorgung ein.
Bild: © EINHUNDERT
Gastbeitrag von
Ernesto Garnier
CEO und Gründer von Einhundert
Die Energiebranche verändert sich rapide – und mit ihr die Anforderungen an die Energieversorgung unserer Gebäude. Während Photovoltaik (PV) lange das Symbol der Energiewende im Gebäudesektor war, wird zunehmend deutlich: PV allein reicht nicht aus, um die Ziele der Dekarbonisierung, der Kostenstabilität und der sozialen Teilhabe zu erreichen.
Für diese Entwicklung gibt es drei Treiber: erstens der Wegfall der EEG-Einspeisevergütung in Stunden mit negativen Day-Ahead-Preisen, was die ungesteuerte lokale PV-Produktion wirtschaftlich schwächt. 2024 gab es immerhin 457 Stunden mit negativen Preisen, über 50 Prozent mehr als 2023! PV-Anlagen müssen spätestens jetzt kosteneffizient realisiert und intelligent betrieben werden. Zweitens die Erkenntnis, dass PV-Strom in der Regel nur 40 bis 50 Prozent des Strombedarfs von Bewohnern im Gebäude deckt und nur 10 bis 20 Prozent des Bedarfs von Wärmepumpen. Daraus ergibt sich, dass in der Netzstrombeschaffung ein riesiges wirtschaftliches Potenzial steckt, vor allem durch die zeitlich volatilen Preise im Stromhandel. Und drittens die nun im Koalitionsvertrag angekündigten Senkungen der Netzentgelte und der Stromsteuer, wodurch die ungesteuerte lokale PV-Produktion nochmals an Marge verliert.
Diese Entwicklungen bedeuten jedoch keinen Rückschritt, sondern forcieren die Professionalisierung des Marktes und Produktinnovationen. Die Energieversorgung von Gebäuden muss künftig systemisch und integriert betrieben werden: also netzdienlich, sektorgekoppelt und digital mit dem Strommarkt vernetzt. Denn wenn Strom, Wärme, Speicher und E-Mobilität im Gebäude intelligent gesteuert und koordiniert werden, lassen sich Synergien zwischen den Komponenten sowie Preisdynamiken im Strommarkt zur Senkung der Betriebskosten nutzen.
Weg von der Einzellösung – hin zur ganzheitlichen Energieoptimierung
Die Zukunft der Energieversorgung liegt also nicht in isolierten Maßnahmen, sondern in einem integrierten Ansatz. Lokale PV-Eigenerzeugung, Wärmepumpen (WP) als thermische Speicher, Batteriespeicher, Ladesäulen, Smart Meter und Energiemanagementsysteme sind hierbei die wichtigsten Bausteine, die ihr volles wirtschaftliches Potenzial im Zusammenspiel miteinander und mit einem intelligenten Stromhandel entfalten.
Eine Konsequenz dieser neuen Realität lautet: Geschäftsmodelle, die einzig auf lokalen PV-Eigenverbrauch setzen, verlieren ihre wirtschaftliche Grundlage. Die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (GGV) etwa, die zuletzt in der Debatte als Mieterstrom-Alternative diskutiert wurde, rechnet sich nicht. Mit der GGV sollte im Solarpaket 1 von 2024 ein einfaches Betreibermodell für PV in der Wohnungswirtschaft geschaffen werden, unter anderem durch reduzierte Bürokratie. Nun hat die GGV bereits vor Markteintritt ausgedient, da eine reine PV-Stromerzeugung ohne Koordination mit dem Netzstrom und flexiblen Verbrauchern wie Wärmepumpen weniger wirtschaftlich und zugleich komplexer ist. Ähnliches gilt für das PV-Eigenverbrauchsmodell, bei dem die lokale Stromerzeugung ausschließlich dem Allgemeinstrom und gegebenenfalls der Wärmepumpe im Gebäude zugeführt wird.
Der Netzstrom muss in beiden Modellen sowohl vom Wohnungsunternehmen als auch den Mieter:innen in separaten Verträgen von anderen Lieferanten hinzugekauft werden. Ein integriertes Energiemanagement der Stromflüsse ist so nicht möglich. Es ergeben sich außerdem für die Netzstromlieferanten ein nicht vorhersehbares Lastverhalten und hohe Ausgleichsenergiekosten, da sie von der PV-Stromerzeugung entkoppelt Strommengen prognostizieren müssen. Des Weiteren führt der Netzbezug ausschließlich zu teuren Randzeiten außerhalb der Sonnenstunden in Kombination mit einer Lastgangbilanzierung zu höheren Beschaffungskosten für die Netzstromlieferanten. In solchen Fällen hat der Netzstromlieferant laut Energiewirtschaftsgesetz sogar das Recht, die Belieferung abzulehnen oder einzustellen, wenn die wirtschaftliche Zumutbarkeit überschritten wird. Diese Faktoren werden die Netzstromkosten für Mieter:innen in isolierten PV-Konzepten wie der GGV und dem PV-Eigenverbrauch perspektivisch erhöhen.
Anders bei ganzheitlich konzipierten Systemen: Wird die Energieversorgung aus einer Hand geplant und betrieben, lassen sich PV-Einspeisung, Eigenverbrauch und Netzstrombezug gezielt aufeinander abstimmen. Die Einbindung aller Einzelanlagen in ein virtuelles Kraftwerk ermöglicht zudem auch langfristig niedrige Energiekosten, einen hohen Eigenverbrauch im Verbund und stabile Einspeiseerlöse. Wichtig ist, dass PV-Erzeugung und Stromverbrauch mit intelligent gesteuerten flexiblen "Assets" kombiniert werden, also Batteriespeichern, flexiblen Lasten wie etwa den thermischen Speichern von Wärmepumpen.
Politischer Kurswechsel: Neue Dynamik für integrierte Energiesysteme
Mit Blick auf die neue Regierung zeichnet sich bereits jetzt ein klarer energiepolitischer Kurs ab: Die neue Bundesregierung plant, die Stromsteuer und Netzentgelte deutlich zu senken, insgesamt um rund 5 Cent pro Kilowattstunde (kWh).
Was wie ein regulatorisches Detail erscheinen mag, hat in der Praxis erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit verschiedener Energieversorgungskonzepte. Denn hierdurch sinkt der Preisvorteil von lokal erzeugtem PV-Strom gegenüber Netzstrom. Für PV-Anlagenbetreiber bedeutet das: Reiner Eigenverbrauch von Solarstrom als isolierte Maßnahme verliert nochmals an wirtschaftlicher Attraktivität. Nur wer PV-Anlagen im Bereich von mindestens 10 Megawatt (MW) pro Jahr baut, erreicht durch Skaleneffekte in dieser neuen Realität noch wettbewerbsfähige Stromgestehungskosten. Somit ergibt die Umsetzung von PV in Eigenregie nur noch für die allergrößten Wohnungsunternehmen Sinn.
Gleichzeitig wächst die Bedeutung von Sektorkopplung und systemischer Optimierung. Neue Rahmenbedingungen wie Smart-Meter-basierte Verbrauchsmessung, flexible Stromtarife, Lastganganalysen und Wetterprognosen eröffnen zusätzliche Effizienzgewinne, allerdings nur dann, wenn alle Komponenten von einem Energiemanagementsystem gesteuert und durch ein virtuelles Kraftwerk optimiert werden. Die reduzierten Netzentgelte senken außerdem die Betriebskosten von Wärmepumpen. Hieraus ergibt sich eine gewaltige Chance für die Wohnungswirtschaft: Eine intelligent integrierte Stromversorgung kann die Stromkosten für die Gebäudetechnik so weit absenken, dass sich in einem Großteil der deutschen Liegenschaften der Wechsel von der Gasheizung auf die Wärmepumpe ohne umfassende Sanierung lohnen wird.
Als Elektrifizierungspartner der Wohnungswirtschaft greifen wir bei Einhundert diese Dynamiken proaktiv auf und gestalten sie mit. Gemeinsam mit Partnern schaffen wir in zahlreichen Entwicklungsprojekten die Grundlage für eine integriert optimierte Stromversorgung von Gebäuden: Angefangen bei der Verknüpfung von Smart Metering und Energiemanagement für Mehrfamilienhäuser, über den flächendeckenden Rollout von Batteriespeichern und Wärmepumpen bis hin zur Kopplung unseres Stromhandels mit der Anlagensteuerung in den Liegenschaften. Gewaltige Investitionen, die Skaleneffekte erfordern. Deshalb haben wir das über 10 MW große Mieterstromportfolio unseres Mitbewerbers Solarimo übernommen und statten zusätzlich dieses Jahr rund 1000 weitere Objekte unserer Kund:innen mit unserer Anlagentechnik aus.
Zusammengefasst: Die Energiewende im Gebäudesektor braucht Systemintegration – keine isolierten Maßnahmen. An die künftige Regierung appellieren wir, bei den geplanten Strompreissenkungen eine marktorientierte Ausgestaltung anstelle stumpfer Subventionen vorzunehmen. Die pauschale Stromsteuersenkung ist zweifelsohne sinnvoll. Eine Senkung der Netzentgelte sollte jedoch netzdienlich und zeitvariabel ausgestaltet werden.