Recht & Regulierung

"AGNES lockt uns in eine neue deutsche Komplexitätsfalle"

Wie lässt sich die Netzentgelt-Reform praxisnah und fair gestalten? Unsere Gastautoren erklären, warum variable Entgelte für Prosumer an Grenzen stoßen und plädieren für ein kapazitätsbasiertes Modell.
02.07.2025

"Ein Netzentgelt, welches sowohl zeitlich, sachgerecht und auch räumlich die jeweilige Netzdienlichkeit abbildet, scheitert am Ziel effizienter Machbarkeit."

Gastbeitrag von:
Marcel Pongé und
Dr. Andreas Kolo,
BTU EVU Beratung GmbH


Die Reform der Allgemeinen Netzentgeltsystematik Strom (AGNES) muss einen Kompromiss zwischen Gerechtigkeit und Praktikabilität finden. Ein Netzentgelt, welches sowohl zeitlich, sachgerecht und auch räumlich die jeweilige Netzdienlichkeit abbildet, scheitert am Ziel effizienter Machbarkeit. Bei Netzüberlastung durch Einspeiser hilft nicht ein Teuerungssignal, sondern lediglich eine Drosselung durch den Netzbetreiber. Exorbitante Energiemarktpreise würden ein etwaiges Netzentgeltsignal überschreiben. Eine Steuerung der Einspeisung über variable Netzentgelte wird nicht funktionieren.
 
Einer der Autoren hat 2007 die Erstellung der noch heute gültigen Gasnetzentgeltsystematik mitbegleiten dürfen. Damals wurde zur Abrechnung der SLP-Kunden eine mathematische Sigmoidfunktion als sachgerechter Weg hergeleitet. Seitens der Bundesnetzagenteur wurde diese als zu komplex zurückgewiesen für die Anwendung im Bereich der Standard-Lastprofilkunden. Vielmehr forderte die Bonner Behörde einfache Preistabellen, damit die Lieferanten eine klare Kalkulationsgrundlage für die Abgabetarife erhalten. An der Interessenslage der Lieferanten einer einfachen Einbindbarkeit in die Abgabepreise dürfte sich nichts geändert haben. Zeitlich und regional variable Netzentgelte würden die Einbindung verlässlicher Netzentgeltbestandteile unmöglich machen. Variable/dynamische Tarife sollten daher ausschließlich auf der Vertriebsseite wirken, sonst entstünde die Herausforderung, eine Gleichung mit zwei unbekannten Variablen aufzulösen.
 
 

Vorschläge zur Entlastung des Stromnetzentgeltsystems

Auch das Einrichten von Schwachlast-Netzzeiten für Einspeiser wird entweder für die Einspeiser oder die Netzbetreiber unbrauchbar sein. Nachts scheint die Sonne nicht, aber die Nacht kann für Windkraftwerke eine Hochlastphase bedeuten. Wir schlagen daher folgende Ansätze vor, um das Stromnetzentgeltsystem an die neuen Gegebenheiten des Photovoltaik-Zubaus anzupassen.
 
Klassische Verbraucher (kleiner 6000 kWh/a, ohne Erzeugung) haben untereinander eine geringe Gleichzeitigkeit. Ein Entgelt anhand der Netzanschlusskapazität würde diese kleineren Abnahmefälle spezifisch benachteiligen. Der Ansatz über Benutzungsstunden scheint sachgerecht, um einen Leistungswert herzuleiten. Bei dieser Kundengruppe ist eine Abrechnung weiterhin über Grundpreis/Arbeitspreis angebracht. Ein freiwilliger Wechsel in das Leistungspreis-/Arbeitspreis-Regime bleibt möglich, die Installation eines intelligenten Messsystems vorausgesetzt.
 
Bei Kunden mit einem Netzbezug von mehr als 6000 kWh/a wird der Rollout intelligenter Messsysteme mittelfristig vollzogen und ab 10.000 kWh/a wird eine Leistungspreis-/Arbeitspreis-Netznutzungs-Abrechnung zum Standard.

Einspeisungs-Kapazitätspreis für Prosumer

Bei Prosumern besteht eine starke Wetterabhängigkeit der Einspeisungen. Die erneuerbaren Energien bringen die Prosumer regional in eine hohe Gleichzeitigkeit, ähnlich wie bei den Gaskunden mit ihrem Heizbedarf. Eine Netznutzungsbepreisung auf Basis eines Leistungspreises für die Einspeisung erscheint kostenverursachungsgerecht und über das Energiemanagementsystem des Prosumers sogar eigenbestimmt beeinflussbar. Für Prosumer ist somit ein Einspeisungs-Kapazitätspreis in Euro/kW/a denkbar. Die Abrechnungsbasis ist das Maximum der eingespeisten Leistung des Kalenderjahres oder bei nicht viertelstündlich erfassenden Übergabezählern die installierte Nennleistung der Photovoltaik-Anlage beziehungsweise die Abgabeleistung des Speicher-Wechselrichters, je nach dem, was niedriger ist. Das würde auch einen Anreiz für den weiteren Zubau von Speichern setzen, um die gemessene Leistungsspitze netzdienlich zu mindern.

Vorteile für Netzbetreiber

Mit dem Kapazitätsentgelt kann jeder Verteilnetzbetreiber praktikabel bestimmen, welchen Deckungsanteil an der Erlösobergrenze in seinem Netz die Einspeiser erzielen werden. Die verbleibende Erlösobergrenze kann dann wie bisher über die Entnahmeseite gewälzt werden. Der Eingriff wäre minimalinvasiv und praktikabel bei der Stromnetzentgeltkalkulation.
 
Der über die Übertragungsnetzbetreiber etablierte EEG-Unterstützungsmechanismus für besonders stark mit EEG-Ausbaukosten belasteten Verteilnetzbetreiber sollte erhalten bleiben.

EEG-Einspeisevergütung abschaffen

Die EEG-Einspeisevergütung kann für Neuanlagen abgeschafft werden, damit neue EEG-Anlagen sich zukünftig marktwirtschaftlich verhalten müssen. Im EEG sollte die verpflichtende Direktvermarktung mit der dadurch bewirkten Steuerungswirkung festgelegt werden. Der Einspeiser muss jemanden finden, der die Energie abnehmen will und im Endeffekt auch die negative Einspeisevergütung tragen.
 
Netzentgelte für Speicherkapazität sollten nicht eingeführt werden, um den momentan stattfindenden Zubau nicht zu gefährden, da es dem Gesamtsystem an Speicherkapazität derzeit mangelt. Die Speicher (Großspeicher, Hausbatterien, Autobatterien) können dazu dienen, den Strombedarf langfristig in den globalstrahlungsreichen Monaten April bis September vorrangig durch PV abzudecken und von Oktober bis März vorrangig durch Windstrom. Bei Dunkelflauten übernehmen Gaskraftwerke, später wasserstoffbasiert aus der Elektrolyse heimischen PV-/Wind-Überschussstroms in Phasen gefüllter Stromspeicher. Speicher werden die Redispatch-Kosten von jährlich teilweise drei Milliarden Euro senken. Ein signifikanter Speicherzubau kann dazu führen, die Strompreise in absehbarer Zukunft deutlich abzusenken. Kuriose Marktphänomene, wie Stunden mit negativen Spotpreisen, bei denen derzeit Abnehmern in Nachbarländern immense Summen gezahlt werden müssen, damit sie überschüssigen EEG-Strom aufnehmen, da wir momentan selbst nicht hinreichend speichern können, verschwinden dann wieder.