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"2020 haben wir noch jede Dönerbude gerettet, weil man sie für so wichtig hielt"

Im ZfK-Interview erklärt Krefelds Stadtwerkechef Liedtke, warum er für ein Insolvenzmoratorium für Kommunalversorger eintritt, und was er nun von der Bundesregierung erwartet.
14.07.2022

Carsten Liedtke, Sprecher des Vorstands der Stadtwerke Krefeld, sieht sein Unternehmen derzeit ausreichend finanziert und abgesichert.

Die Gaskrise hält die deutsche Energiebranche in Atem und bringt so manchen Versorger in große Schwierigkeiten. Ein Gespräch mit Carsten Liedtke, Sprecher des Vorstands der Stadtwerke Krefeld und Mitglied des VKU-Vorstands, über Schutzschirme, rechtliche Risiken und die Frage, wie weit entfernt wir noch von der Ausrufung der Gas-Notfallstufe sind.

Herr Liedtke, das Land Nordrhein-Westfalen will einen Schutzschirm über seine Stadtwerke spannen, auch weil der Bund abgelehnt hat, selbst die Initiative zu ergreifen. Können Sie das nachvollziehen?

Wenn ich das richtig sehe, will sich der Bund um die großen Vorlieferanten wie Uniper kümmern, während die Absicherung der Stadtwerke Sache der Länder und Kommunen sein soll. Die Kommunen sind hier aber definitiv der falsche Adressat, dafür ist das Thema zu groß. Wenn das Land nun also aktiv wird, dann ist das völlig richtig.

Wir sind auf Stadtwerkeebene auch schon dabei, unsere Mengen im OTC-Handel abzufragen, um unserer Landesregierung ein Gefühl zu geben, um welche Volumina es geht, die es abzusichern gilt. Jetzt müssen wir möglichst schnell sein, so dass wir einen unbürokratischen Schutzschirmmechanismus bekommen, der im Notfall rasch aktiviert werden kann.

Wie steht es denn um die Stadtwerke in Nordrhein-Westfalen? Dem Vernehmen nach gibt es zumindest einen Fall, wo die Landesregierung "bereits aktiv" sei.

Dazu kann ich nichts sagen, ich kann auch nicht für andere Unternehmen sprechen. Es ist nicht auszuschließen, dass der eine oder vielleicht etwas schwächer aufgestellt ist. Darüber zu spekulieren, wäre aber töricht und auch gefährlich. Für uns als Stadtwerke Krefeld gilt: Wir haben keine Liquiditätsprobleme und sind derzeit ausreichend finanziert und abgesichert.

Extrem hohe Preise machen Vorlieferanten und Stadtwerken schon jetzt zu schaffen. Dabei dürfte sich die Lage dramatisch verschärfen, sollte durch Nord Stream 1 auch nach der Wartung kein Gas mehr fließen. Wie bereiten sich die Stadtwerke Krefeld auf ein solches Szenario vor?

Wir haben früh den Kontakt mit unseren Kunden gesucht. Die meisten von ihnen sind auch sehr kooperativ, selbst wenn die Situation alles andere als einfach ist. Wichtig ist der Ablauf bei staatlich verordneten Abschaltungen. Zwischen der Ankündigung über notwendige Lastreduzierungen und deren Wirksamwerden muss ein möglichst langer Zeitraum liegen, am besten mindestens eine Woche. Dann könnten auch Betriebe besser reagieren und Schäden an ihren Anlagen begrenzen. Dann wären auch für uns die rechtlichen Risiken geringer.

Was meinen Sie mit rechtlichen Risiken?

Wir müssen davon ausgehen, dass gerade größere, börsennotierte Unternehmen klagen werden, wenn sie nicht mehr mit Gas beliefert werden und in der Folge wirtschaftliche Schäden erleiden. Umso entscheidender ist es, dass uns Bundesregierung und Bundesnetzagentur eine rechtlich wasserdichte Anweisung geben.

Nehmen wir an, wir müssen am 1. Oktober 40 MWh Gas aus dem Netz nehmen. Dann muss die Reihenfolge der Kunden, die abzuschalten sind, klar geregelt sein. Dann darf kein Zweifel aufkommen, warum wir zuerst Kunde A abschalten und nicht Kunde B.

Für wie wahrscheinlich halten Sie eigentlich, dass wir in eine Gasmangellage geraten?

Ich halte es momentan für mehr als wahrscheinlich, dass die Bundesregierung die dritte Stufe des Gas-Notfallplans ausrufen wird. Wann genau das passieren wird, wissen wir nicht. Das mag auch von taktischen Gründen abhängen, wie lange man noch warten will. Vieles wird natürlich davon abhängen, ob nach den Wartungsarbeiten überhaupt noch russisches Gas durch Nord Stream 1 fließen wird. Wir haben aber guten Grund, da sehr, sehr skeptisch zu sein.

Wie bewerten Sie insgesamt das Vorgehen der Bundesregierung in der Gaskrise?

Sie hat vieles richtig gemacht. Es war richtig, kein einseitiges Gasembargo gegenüber Russland auszusprechen. Es war auch richtig, schnell Gesetze etwa zu den Themen Vorlieferanten-Schutzschirm und Gasspeicher zu entwickeln. Allerdings gibt es auch Verbesserungspotenzial. Ich verstehe beispielsweise nicht, warum nicht schon lange ein Insolvenzmoratorium für Stadtwerke eingeführt wurde.

In der Corona-Krise haben wir überspitzt gesagt jede Dönerbude gerettet, weil man sie für so wichtig hielt. Jetzt aber reden wir über wirklich kritische Infrastrukturunternehmen in überschaubarer Zahl und trotzdem sträubt man sich.

Dabei sind Stadtwerke ja nicht nur im Gassektor Teil systemrelevanter Infrastruktur, sondern auch in den Bereichen Wasser, Strom, ÖPNV und Bäder. Will man wirklich leichtfertig die Netzstabilität und Strom- und Wasserversorgung gefährden? Deshalb ist mein dringender Appell an die Bundesregierung: Schützen Sie Stadtwerke, indem Sie ein Insolvenzmoratorium für sie erlassen! (aba)

Den zweiten Teil des Interviews, bei dem es unter anderem um die Lage an den Energiemärkten und das Vertriebsgeschäft der Stadtwerke Krefeld in Ausnahmezeiten geht, lesen Sie am Montag in unserem Newsletter – oder ab Freitagabend online auf unserer Website.