"Jedes Stadtwerk benötigt Geoinformationen"

Auch für die Wärmeplanung (Screenshot) sind Geodaten wichtig.
Esri
Herr Simetsreiter, was ist ein Geoinformationssystem (GIS) und brauchen Stadtwerke so etwas überhaupt?
Jedes Stadtwerk benötigt ein GIS, da Geodaten die Grundlage für die Infrastrukturplanung bilden. Ein Geoinformationssystem ist eine digitale Plattform zur Erfassung, Verwaltung, Analyse und Visualisierung räumlicher Daten. Ein Stadtwerk muss genau wissen, wo sich seine Leitungen und Netzwerke befinden. GIS ist ein zentrales Hilfsmittel, um diese Aufgaben effizient zu erfüllen – weit mehr, als es früher mit einfachen Karten möglich war. Mit einem GIS lassen sich zudem Analysen durchführen, die eine fundierte Entscheidungsfindung unterstützen.
Wie viele Ihrer Kunden kommen aus der Energiebranche?
Die Energiebranche spielt eine zentrale Rolle. So nutzen rund 400 Organisationen unsere Technologie, was circa 15 Prozent des Jahresumsatzes ausmacht. Rund zwei Drittel unserer Kunden kommen darüber hinaus aus dem öffentlichen Bereich. Auch private Unternehmen, wie Ingenieur- und Baufirmen, die Projekte im Bereich der Daseinsvorsorge umsetzen, nutzen unsere Lösungen.
Was sind typische Anwendungsfälle vor dem Hintergrund der Energiewende?
Es hilft zum Beispiel bei der Standortsuche für Windkraft- und Photovoltaikanlagen, um die effizientesten Standorte zu identifizieren. Auch Solardachkataster sind ein wichtiges Anwendungsgebiet: Hiermit können geeignete Dachflächen für Solaranlagen analysiert werden, was Eigentümern ermöglicht, selbst Strom zu erzeugen und einzuspeisen.
"GIS helfen, optimale Strecken zu finden."
Darüber hinaus werden GIS in der Planung von Verteilnetzen eingesetzt, beispielsweise beim Bau neuer Stromtrassen wie dem "SuedLink". Es hilft, optimale Strecken zu finden und bietet eine Entscheidungsgrundlage für politische Akteure und Netzbetreiber. In den Kommunen reicht der Einsatz bis auf die Ebene der Hausanschlüsse. Bei der Modernisierung von Netzen, etwa der Verlegung von Stromkabeln in den Boden, unterstützt GIS die Planung und Koordination mit anderen Infrastrukturprojekten wie dem Breitbandausbau. So können Arbeiten gebündelt und Kosten gesenkt werden.
Ein Modellprojekt, an dem Sie beteiligt sind, ist die sogenannte Smart City Oberhausen. Was wird dort konkret gemacht?
In Oberhausen sind wir als Technologieanbieter beteiligt, die Umsetzung erfolgt durch unser Partnernetzwerk, in diesem Fall die Firma "Alta4" aus Trier. Das Projekt konzentriert sich auf eine denkmalgeschützte Arbeitersiedlung, für die eine neue Gestaltungssatzung erlassen werden soll. Dazu wurde ein möglichst genaues 3D-Modell des Stadtteils erstellt, basierend auf Drohnenflügen und 360-Grad-Straßenbefahrungen. Ziel war es, den Status quo digital abzubilden und Veränderungsszenarien zu visualisieren. In Bürgerversammlungen konnten Anwohner mithilfe von Augmented Reality die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen, etwa Fassadenänderungen oder neue Fenster- und Türmodelle, direkt erleben. Das Projekt setzt auf Co-Kreation, um die Bürger aktiv in die Stadtplanung einzubinden.
Hätte man keine Google-Daten verwenden können?
Google-Daten sind statisch und lassen sich nicht anpassen. Mit einem GIS hingegen können eigene Daten integriert, aktualisiert und bearbeitet werden. Unser Ansatz ermöglicht den Kunden, ihre Geodaten aktiv zu nutzen und individuell anzupassen, ohne von einem externen Datenprovider abhängig zu sein. Darüber hinaus möchte ich an dieser Stelle auf die Kooperation von Google und Esri aufmerksam machen. Im Rahmen der Zusammenarbeit werden fotorealistische 3D-Stadtmodelle von Google in die Tools von Esri integriert. Dadurch können Nutzer besonders detailreiche 3D-Karten und -Szenen erstellen – etwa für Stadtplanung, Immobilienentwicklung oder Infrastrukturprojekte.
Auch Unternehmen wie die Stadtwerke Lübeck oder die Entsorgungsbetriebe der Stadt Chemnitz nutzen Ihre GIS-Technologie in Smart-City-Projekten. Wie?
Diese Projekte zeigen, wie vielseitig GIS einsetzbar ist. In Lübeck wurde beispielsweise eine Hochwassersimulation aufgebaut, die dank Flächenanalysen und 3D-Geländemodellen bessere Entscheidungsgrundlagen für die Netzplanung bietet. Chemnitz hingegen nutzt GIS zur Optimierung der Müllabfuhr, wodurch Routen effizienter gestaltet und Betriebsabläufe verbessert wurden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, GIS nicht isoliert, sondern integriert mit anderen Systemen zu nutzen. Dadurch entstehen Synergien, die Prozesse transparenter und reaktionsschneller machen.
Kann Ihr System auch Krisensituationen vorbeugen?
GIS ermöglicht es, unterschiedliche Szenarien durchzuspielen und potenzielle Gefahrenbereiche zu identifizieren. Beispielsweise können Starkregenereignisse simuliert werden, um zu visualisieren, welche Gebiete überflutet werden könnten. Auf dieser Basis lassen sich Notfallpläne entwickeln und Einsatzkräfte gezielt steuern.
"Viele nutzen diese Technologie, um sich auf Krisensituationen vorzubereiten."
Besonders wertvoll ist dabei die Verknüpfung mit 3D-Geländemodellen, die eine präzisere Vorhersage von Abflusswegen erlauben. Viele unserer Kunden nutzen diese Technologie, um sich optimal auf Krisensituationen vorzubereiten und schneller reagieren zu können.
Welche Trends sehen Sie im GIS-Bereich, die für Stadtwerke relevant werden?
Ein großer Trend ist Cloud Computing. Angesichts des Fachkräftemangels werden viele Kommunen ihre GIS-Systeme in die Cloud verlagern, um Betrieb und Wartung zu vereinfachen. Ein weiterer wichtiger Trend ist der Einsatz Künstlicher Intelligenz, etwa zur Objekterkennung oder zur automatisierten Veränderungsanalyse von Bilddaten aus unterschiedlichen Zeiträumen. Zudem wird an der barrierefreien Nutzung von GIS gearbeitet, beispielsweise durch die Integration von Sprachmodellen, die geografische Informationen für Menschen mit Sehbehinderungen zugänglich machen. Diese Entwicklungen werden den Einsatz von GIS in den kommenden Jahren nachhaltig prägen.
Ich danke Ihnen für das Gespräch!