Deutschland

Öffentliche Anhörung zum Atomgesetz

Die Bundesregierung hört sich Stellungnahmen von Juristen zur Änderung des Atomgesetzes an. Der Bundesrat spricht sich gegen eine Übertragung nicht nutzbarer Strommengen bestimmter Atomkraftwerke auf Kraftwerke in Netzausbaugebieten aus.
13.06.2018

Der von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachte Gesetzentwurf zur 16. Änderung des Atomgesetzes ist bei einer Öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit auf ein differenziertes Echo der eingeladenen Juristen gestoßen. Mit dem Entwurf soll ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von Dezember 2016 umgesetzt werden, das den Energieunternehmen in bestimmten Fällen einen Ausgleichsanspruch in Folge des Atomausstieges von 2011 zugesprochen hatte, berichtet der Pressedienst des Bundestages. Zum einen sollen laut Gesetzentwurf demnach bestimmte "frustrierte Investitionen" der Atomkraftwerksbetreiber ausgleichsfähig sein, zum anderen nicht mehr verwertbare Strommengen, die den Kernkraftwerken Brunsbüttel, Krümmel und Mülheim-Kärlich zugewiesen wurden.

Rechtsanwalt Marc Ruttloff (Sozietät Gleiss Lutz) sprach von einer "angemessenen Umsetzung" der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Es bedürfe aber sowohl in Bezug auf die frustrierten Investitionen als auch bei der Frage der Höhe der Entschädigungsansprüche einer verfassungskonformen Rechtsanwendung. Ruttloff argumentierte, dass sich der Ausgleich für gegebenenfalls nicht mehr verwert- und vermarktbare Strommengen auf die Strompreise von 2011, als das beklagte 13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes in Kraft trat, und nicht auf Durchschnittspreise beziehen müsse. "Es gehört zu den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen, dass für die Bemessung eines Entschädigungsanspruchs der Zeitpunkt des Grundrechtseingriffs ausschlaggebend ist", begründete Ruttloff in seiner schriftlichen Stellungnahme.

Keine Überkompensation

Eine andere Auffassung vertrat in der Anhörung Christoph Möllers (Humboldt-Universität zu Berlin). Es handle sich eben nicht um eine Entschädigung, sondern um eine Kompensation. Entsprechend sei der von Ruttloff angeführte Eingriffsmoment für die Höhe des möglichen finanziellen Ausgleichs nicht relevant. Möllers sagte mit Bezug auf den Gesetzentwurf, es bestehe vielmehr das Potential einer Überkompensation, die verhindert werden müsse. Dazu schlug der Rechtswissenschaftler vor, einerseits die Anspruchsberechtigten - RWE und Vattenfall - klar im Gesetz zu benennen sowie den Ausgleichsanspruch für die Reststrommengen des Kernkraftwerks Brunsbüttel zu streichen. Für dieses Kraftwerk sei eine Kompensation dem Urteil nach nicht geboten. Zudem empfahl Möllers, die kompensationsfähige Strommenge im Gesetz explizit zu nennen.

Ähnlich äußerte sich Olaf Däuper. Der Rechtsanwalt problematisierte zudem das Verwaltungsverfahren, in dem der Ausgleichsanspruch für nicht verwertbare Strommengen berechnet werden soll. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Konzerne sich "ernsthaft" darum bemühen müssen, ihre in ihren Kraftwerken nicht mehr verwertbaren Strommengen "zu angemessenen Bedingungen" zu vermarkten und so auf andere Kraftwerke zu übertragen. Für nicht übertragene Strommengen soll dann nach Abschalten der letzten Kernkraftwerke spätestens zum 31. Dezember 2022 ein Ausgleich erfolgen. Kritisch, so Däuper, sei dieses Verfahren, weil die Anspruchsberechtigten erst dann erfahren würden, ob die möglichen Bedingungen der Übertragung angemessen waren oder nicht - und entsprechend ein Ausgleichsanspruch besteht oder nicht. Dies könne zu weiteren Rechtsstreitigkeiten führen, sagte Däuper, und schlug vor, den Anspruchsberechtigten die Möglichkeit einzuräumen, Angebote schon frühzeitig auf ihre Angemessenheit prüfen zu lassen. Ähnlich argumentierte auch Markus Ludwigs (Julius-Maximilians-Universität Würzburg). Ludwigs forderte zudem, in dem Gesetz auch die Grundlage für einen öffentlich-rechtlichen Vertrag aufzunehmen.

Haushaltpolitisch sei der Entwurf nicht zufriedenstellend

Georg Hermes (Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main) kritisierte, dass die Vorgaben des Gerichts zwar korrekt umgesetzt würden, Spielräume aber ungenutzt blieben. Der Entwurf liefe energiepolitischen Zielen zuwider, da die Obliegenheit zur Vermarktung der Reststrommengen das Ziel einer möglichst frühen Abschaltung der Kernkraftwerke unterminiere. Haushaltspolitisch sei der Entwurf auch nicht zufriedenstellend, da der Ausgleichsanspruch "sehr großzügig" gestaltet sei. Hermes schlug vor, einen Gemeinwohlabschlag vorzusehen, um die möglichen Ausgleichszahlungen gering zu halten.

Grundsätzlich unterschiedliche energiepolitische Ansichten und Forderungen stellten Götz Ruprecht (Institut für Festkörper-Kernphysik) und Thorben Becker (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)) in den Raum. Ruprecht widersprach der Annahme, dass Kernkraft eine Risikotechnologie sei. Er schlug vor, statt auf Ausgleichszahlungen auf eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke zu setzen. Damit entstünden keine Kosten für die Steuerzahler, die Emissionen fielen geringer aus und der Strom bliebe länger billig. 

Keine Übertragung in Netzausbaugebieten

Becker hingegen betonte, dass Atomkraftwerke ein Sicherheitsrisiko seien und es auch in Deutschland jederzeit zu einem großen Unfall in einem Atomkraftwerk kommen könne. Er forderte mit Blick auf den Gesetzentwurf, auf Strommengenübertragungen insbesondere in Netzausbaugebiete zu verzichten und diese zu untersagen.

Auch der Bundesrat hat sich gegen eine Übertragung nicht nutzbarer Strommengen bestimmter Atomkraftwerke auf Kraftwerke in Netzausbaugebieten ausgesprochen. In einer Stellungnahme zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur 16. Änderung des Atomgesetzes fordert die Länderkammer von der Bundesregierung, umgehend nach Inkrafttreten des Gesetzes "mit den Energieversorgungsunternehmen ein Konzept zu entwickeln, auf welche Weise Strommengenübertragungen die energiepolitischen Anforderungen in Deutschland bestmöglich unterstützen können". 

Betreiber müssen Strommengen anderen Unternehmen anbieten

Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung Entschädigungsansprüche der Kernkraftwerksbetreiber nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2016 zum 2011 durch die 13. Änderung des Atomgesetzes beschlossenen Atomausstieg regeln. Demnach steht den Betreibern der Kernkraftwerke Brunsbüttel, Krümmel und Mülheim-Kärlich ein finanzieller Ausgleich für nicht mehr verwertbare Strommengen zu. Zunächst müssen sich die Betreiber laut Entwurf aber darum bemühen, die Strommengen anderen Energiekonzernen anzubieten und damit auf deren Kraftwerke zu übertragen. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben einen gleichlautenden Entwurf eingebracht.

Der Bundesrat argumentiert, dass eine Übertragung auf Kraftwerke in Netzausbaugebieten aufgrund der bereits begrenzten Aufnahmefähigkeit "zu einer noch stärkeren Belastung der Netze und einer entsprechenden Zunahme von Netzengpassmanagement-Maßnahmen" führen würde. Dies würde die Stromverbraucher über die Netzentgelte erheblich belasten, schlügen die Kosten für diese Maßnahmen bereits mit mehr als einer Milliarde Euro zu Buche, heißt es in der Stellungnahme. (al)