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Nach Blackout: In Spanien tobt Debatte um Solarenergie

Hat der hohe Anteil von Erneuerbaren den Stromausfall begünstigt? Die spanische Regierung steht unter Druck. Forderungen nach neuen Kernkraftwerken werden laut.
30.04.2025

Eine Freiflächen-Solaranlage in der südwestlichen spanischen Region Extremadura, die an Portugal angrenzt.

Hinweis: Der Artikel wurde mehrmals aktualisiert. Diese Version stammt von Mittwoch, den 30. April 2025, um 15:33 Uhr.

Von Julian Korb

Nach der Ursache des massiven Stromausfalls am Montag in Spanien und Portugal wird weiterhin gesucht. Ein Cyberangriff gilt derzeit als unwahrscheinlich. Klar ist, vor dem Blackout hat es mehrere auffällige Oszillationen, also Schwingungen, im Stromnetz gegeben, die mit dem Ereignis zusammenhängen könnten.

Als gesichert gilt immerhin, dass am Montagmittag innerhalb weniger Sekunden rund 60 Prozent des erzeugten Stroms aus Spaniens Netz verschwand. Nun müssen die spanischen Netzbetreiber herausfinden, was zu diesem Ausfall geführt hat. Derweil tobt eine Debatte um die spanische Energiepolitik – vor allem um Solarenergie und Kernkraft.

Solar- und Windkraftanlagen abgeschnitten

Der Ursprung könnte jedoch in Frankreich liegen. Energieexperte Miguel de Simón Martín von der Universität von León in Spanien erklärte gegenüber dem Science Media Center (SMC), es gebe Hinweise darauf, dass in Frankreich plötzlich eine Hochspannungsleitung ausgefallen sei.

Der Spannungsabfall könnte dazu geführt haben, dass Photovoltaik- und Windkraftanlagen abgeschnitten wurden, woraufhin das System kollabiert sei. Spanien gilt durch seine geringen Austauschkapazitäten von knapp 4 GW mit dem europäischen Verbundnetz als besonders verwundbar. Eine neue Trasse mit zusätzlichen 2 GW soll erst 2028 fertigstellt werden.

Wie der Energieexperte weiter erklärt, gibt es durch den steigenden Anteil von erneuerbaren Energien im spanischen Stromnetz weniger Spielraum, um auf Störungen zu reagieren. Es gelte daher, mehr Stromspeicher zu installieren und Mikronetze zu entwickeln, die sich im Notfall selbst versorgen können.

Reihenweise Abschaltung

Auch das europäische Verbundnetz war auf den Vorfall offenbar nicht ausreichend vorbereitet. Veit Hagenmeyer, Sprecher für das nationale Energiesystemdesign-Programm der Helmholtz-Gemeinschaft, schreibt in einem Beitrag für das SMC, dass derzeit nur ein Verlust von 3 GW ausgeglichen werden könne.

In Spanien fielen jedoch innerhalb von Sekunden aber mehr als 15 GW plötzlich weg. Vermutlich handelt es sich dabei um zwei größere Solarfelder im Südwesten Spanien. Darauf sackte auf der iberischen Halbinsel die Netzfrequenz von rund 50 Hertz (Hz) auf 49Hz ab.

In der Folge sei es zu planmäßigen Abschaltungen gekommen, so Hagenmeyer weiter, die sich kaskadenhaft ausgebreitet und die später bei der Reaktivierung geholfen haben. Wegen dieser reihenweisen Abschaltung könne man auch weiterhin nicht sagen, was den Stromausfall ausgelöst habe.

Wenig Puffer im System

Deshalb tobt in Spanien und auch hierzulande die Debatte, ob Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen (PV) schuld am Stromausfall sind. Der Hintergrund: Konventionelle Kraftwerke wie Gas- und Kohlekraftwerke übernehmen in einem Stromnetz neben der reinen Stromerzeugung noch weitere Aufgaben.

Dazu gehört zum Beispiel die sogenannte Momentanreserve. Sie wird von den Synchronmaschinen thermischer Kraftwerke bereitgestellt. Sogenannte träge Schwungmasse verhindert dabei, dass Leistungsschwankungen im Netz unmittelbar zu kritischen Frequenzabweichungen führen.

Zur Zeit des Blackouts lieferten Solar- und Windanlagen rund drei Viertel des Stroms in Spanien. Waren also schlicht nicht genügend Puffer im System, um Spannungsveränderungen auszugleichen?

Leonhard Probst, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut ISE und mitverantwortlich für die Plattform Energy-Charts weist dies zurück. "Derzeit wissen wir noch nicht, was die Ursache für die Oszillationen war", schreibt er in einem Post auf Linkedin. "Was wir aber wissen, dass viel konventionelle Kraftwerke diese nicht per se verhindern können." Probst verweist auf einen "sehr ähnlichen" Vorfall am 1. Dezember 2016 ab 11:18 MEZ, als es ebenfalls zu starken Netzschwingungen kam.

Damals waren aber, anders als nun am Montag, nur ein Zehntel der Solar- und Windleistung Spaniens am Netz. Probst schlussfolgert daraus, die "vielfach zitierte Schlussfolgerung, dass mehr konventionelle Erzeuger die Oszillationen verhindert hätten" sei falsch. "Die Netzstabilität ist in der Realität deutlich komplexer."

Warnung von spanischem Netzbetreiber

Dennoch war das Risiko offenbar bekannt. Der spanische Übertragungsnetzbetreiber Red Eléctrica warnte seine Investoren bereits vor zwei Monaten, dass "schwerwiegende Erzeugungsausfälle" die Stromversorgung in Spanien wegen des hohen Anteils erneuerbarer Energien "erheblich" beeinträchtigen könnten.

Vor allem kleinere Solarnlagen hätten demnach nur eine geringe Anpassungsfähigkeit an Störungen im Netz. Zudem sei das System durch weniger Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke weniger robust gegenüber unvorhergesehenden Sprüngen in der Netzspannung.

PV-Anlagen seien bei Frequenzschwankungen – also einer veränderten Geschwindigkeit, mit der Wechselstrom seine Richtung ändert – instabiler als andere Technologien. Anders als Gas-, Kohle- oder Kernkraftwerke verfügen Solaranlagen über Selbstschutzmechanismen und schalten bei starken Frequenzausschlagen automatisch ab.

Bereits in einem Bericht im Jahr 2020 wies Red Eléctrica deshalb darauf hin, dass die vermehrte Integration von Erneuerbaren ans Netz sich auf die Frequenzstabilität auswirken könne. Daher sollten Stromverbindungen in die Nachbarländer erhöht oder Stromspeicher ausgebaut werden.

Der spanische Solar- und Photovoltaik-Branchenverband Unef weist wiederum darauf hin, dass die PV-Anlagen am Montag nicht freiwillig abgeschaltet haben, sondern "vom Netz getrennt wurden". Die Abschaltung von PV-Anlagen sei also mehr eine Folge als ein Auslöser. Für mehr Netzstabilität schlägt der Verband ebenfalls den Ausbau von mehr Stromspeichern und PV-Speicher-Kombinationen vor. Wind- und Solarstromanlagen sowie Batteriespeicher können die Trägheit rotierender Massen in Kraftwerken nachahmen. Diese sogenannte synthetische Trägheit kann dabei helfen, Frequenzschwankungen auszugleichen.

Debatte um Energiewende

Der spanische Regierungspräsident Pedro Sánchez steht wegen des Stromausfalls jedenfalls innenpolitisch unter Druck. Sánchez sucht die Verantwortung für den Vorfall vor allem bei den privaten Energiefirmen und will deren Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen. Gleichzeitig werden Stimmen lauter, welche die spanische Energiepolitik grundsätzlich infrage stellen. Vor allem die rechtspopulistische Vox-Partei nahm den Blackout zum Anlass, um den Neubau von Kernkraftwerken einzufordern und erneuerbare Energien zu kritisieren.

Sánchez bestritt, dass der Ausfall auf einen Mangel an Kernenergie zurückzuführen sei. Kernenergie sei zum Zeitpunkt des Vorfalls "nicht widerstandsfähiger" gewesen als andere Quellen. Zudem hätten die Atomkraftwerke wenig zum Wiederaufbau des Netzes beitragen können. "Wir sehen, dass bei einer stärkeren Abhängigkeit von der Kernenergie die Erholung nicht so schnell verlaufen wäre, wie wir es erlebt haben; sie wäre sogar viel langsamer gewesen."

Auch in Deutschland nutzten einzelne Politiker den Stromausfall in Spanien, um Werbung für ihre eigene energiepolitische Agenda zu machen, so etwa die AfD-Spitzenpolitikerin Alice Weidel. "Blackout in Spanien ist ein Warnschuss", postete sie auf "X". "Sollte sich bestätigen, dass grüner Flatterstrom aus Wind und Sonne die Netze zum kollabieren brachte, muss es das sofortige Ende der wahnwitzigen Energiewende bedeuten."

Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, sagte dagegen, ein ähnlicher Vorfall sei in Deutschland sehr unwahrscheinlich. Es handele sich eher um eine Frage der Systemstabilität. "Deswegen kann man unabhängig von Spanien über den Netzausbau diskutieren." Viel wichtiger sei es, sich zu fragen, wie sich der deutsche Netzausbau beschleunigen ließe.

"Und auch wenn es so einen Vorfall geben würde, würden Kraftwerke, die selbst keinen Strom brauchen, das Netz wieder hochfahren", so Müller weiter. Damit bezog er sich auch auf die drei noch laufenden Kernkraftwerke in Spanien. Die mussten durch den Blackout nämlich auf Notbetrieb umgestellt werden und konnten beim langsamen Wiederaufbau der Stromversorgung keinen Beitrag leisten. Besonders hilfreich beim Wiederaufbau des Netzes waren hingegen Speicherwasser- und Gaskraftwerke.