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Von Billiganbietern bis Eon: Immer mehr Versorger straucheln

Hohe Energiepreise setzen vor allem risikofreudigen Discounteranbietern zu. Nun gab ein Stromversorger auf. Selbst Energieriese Eon steuert um.
12.10.2021

Es sind schwere Zeiten für deutsche Strom- und Gasanbieter.

Wie steht es um Deutschlands Energieanbieter, wenn Strom- und Gaspreise nicht wie im vergangenen Jahr auf niedrigem Niveau verharren, sondern wie in den vergangenen Wochen von einem Rekordwert zum nächsten eilen? Diese Frage hat nun neue Brisanz bekommen.

Nachdem Gasanbieter Deutsche Energie Pool die Erdgas-Lieferung an seine Kunden bundesweit eingestellt hatte, gab diese Woche das Brandenburger Stromunternehmen Otima Energie auf. Der Vorstand habe Insolvenz angemeldet, heißt es auf der Firmenwebsite.

Großhandelspreise in kürzester Zeit "vervierfacht"

Als Gründe wurden unter anderem Großhandelspreise genannt, die sich "innerhalb kürzester Zeit vervierfacht" hätten, sowie ein massiver Anstieg der Vorauskasse- und Sicherheitsleistungen, die das Unternehmen an ihre Marktpartner zu leisten gehabt habe. Dies habe die Liquidität der Firma eingeschränkt.

Zuvor war ein Versorger in den Fokus geraten, der mal Almado hieß, sich dann in 365 AG umbenannte und nun unter dem Namen Rheinische Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft firmiert. Er war schon zuvor mehrfach ins Visier von Verbraucherschützern geraten.

Einblick in Kündigungsschreiben

Wie die ZfK recherchierte, kündigten mit "Immergrün" und "Meisterstrom" gleich zwei Marken des Unternehmens ihren Stromkunden kurzfristig die Lieferverträge. Eine schriftliche ZfK-Anfrage zu den Gründen blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Dafür erhielt die ZfK über das Portal "Verbraucherhilfe-Stromanbieter.de" Einblick in ein Kündigungsschreiben. Dabei fällt auf, dass das Wort "Kündigung" im Text gar nicht erst auftaucht. Stattdessen steht dort: "Wir möchten Sie hiermit informieren, dass wir mit Wirkung zum 19.10.2021, 24.00 Uhr, in Ihrem Gebiet die Versorgung mit Strom einstellen werden."

Fall Enstroga

Ähnlich lautende Schreiben zeigt das Portal auch von anderen Discounteranbietern wie den Elektrizitätswerken Düsseldorf mit ihrer Tochter Wunderwerk AG und Fuxx Sparenergie.

Am Dienstag gesellte sich noch ein Kundenschreiben hinzu, das vom Berliner Energieunternehmen Enstroga stammen soll. Dort ist nur von einer "vorübergehend[en]" Einstellung der Stromversorgung die Rede. Enstroga ließ eine schriftliche ZfK-Anfrage unbeantwortet. Auch telefonisch war die Pressestelle nicht erreichbar.

"Vorübergehend ist Unsinn"

"Vorübergehend ist natürlich Unsinn", sagt Jurist Holger Schneidewindt von der Verbraucherzentrale NRW. "Betroffene Verbraucher müssen sich einen neuen Anbieter suchen. Punkt."

Warum die Anbieter nicht klarer formulieren, darüber kann auch er nur Vermutungen anstellen. "Man will sich möglicherweise mit eigenen Konkretisierungen nicht festlegen oder juristisch angreifbar machen", sagt er.

"Pauschaler Hinweis reicht nicht"

Prinzipiell seien die Anforderungen für eine außerordentliche Kündigung hoch, führt Schneidewindt aus. "Ob die hohen Großmarkthandelspreise dafür reichen, glaube ich nicht. Das ist erst einmal reines unternehmerisches Risiko."

Jedenfalls aber müssten die Anbieter, die diese Schwerter ziehen, konkrete Geschäftszahlen liefern. "Ein pauschaler Hinweis auf hohe Einkaufspreise reicht nicht."

Jüngste Geschäftszahlen aus 2018

Konkrete Geschäftszahlen zur Rheinischen Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft finden sich im Bundesanzeiger nicht. Der jüngste Geschäftsbericht stammt aus dem Jahr 2018 vom Vorgängerunternehmen 365 AG.

Damals betrug das Eigenkapital des Unternehmens knapp 4,8 Mio. Euro (Umsatz: 311 Mio. Euro). Die Verbindlichkeiten beliefen sich auf 90 Mio. Euro, der Jahresüberschuss lag bei 720.000 Euro.

Liquidator bei "Meisterstrom"

Auch bemerkenswert: Während im Impressum von "Immergrün" ein Geschäftsführer aufgeführt ist, ist an selber Stelle bei der Marke "Meisterstrom" ein Liquidator gelistet, also eine üblicherweise zur Auflösung des Unternehmens bestellte Person. Preise berechnen lassen sich auf keiner der beiden Internetauftritte.

Neuere Geschäftszahlen sind zum Berliner Anbieter Enstroga zu finden. Dort betrug der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag Ende 2019 laut Bundesanzeiger gut neun Mio. Euro. Die Verbindlichkeiten beliefen sich auf 20,2 Mio. Euro. Der Jahresüberschuss wurde auf knapp 175.000 Euro beziffert.

Strategiewechsel bei Discountern?

Auch auf der Website von Enstroga ließen sich Strom- und Gaspreisberechner am Dienstagnachmittag nicht mehr bedienen. Telefonisch allerdings unterbreitete ein Berater auf Anfrage durchaus ein Angebot.

In der Vergangenheit hätten Billigstromanbieter bei schwierigen Marktbedingungen zuerst ihre Preise drastisch erhöht, sagt Matthias Moeschler, Gründer und Betreiber des Portals "Verbraucherhilfe-Stromanbieter.de". Umso mehr verwundere es, dass sie nun offenbar gleich versuchten Kunden loszuwerden – und das nach seinen Beobachtungen zuerst dort, wo die Netzentgelte besonders hoch ausfielen.

"Abgestimmte Maßnahme"

"Es dürfte sich hierbei um ein abgestimmte Maßnahme handeln", vermutet er. Zumindest liegt nahe, dass sich die Beteiligten der Firmen kennen dürften. Wie die ZfK erfuhr, vertrat Enstroga-Geschäftsführer Jens Müller-Bennerscheidt als Rechtsanwalt früher die 365 AG.

Wie viele Kunden bei "Immergrün", "Meisterstrom" oder Enstroga tatsächlich von vorzeitigen Kündigungen betroffen sind, beantworteten die Anbieter der ZfK nicht.

"Aktuell kaum Beschwerden"

Auf dem Vergleichsportal Verivox können seit einer Woche keine Strom- und Gasverträge mehr für "Immergrün" abgeschlossen werden. Es lägen jedoch derzeit keine Informationen vor, dass Enstroga seine Stromlieferungen einstelle, heißt es gleichfalls.

Auch bei Check 24 erscheinen die Angebote von "Immergrün" nicht mehr auf dem Vergleichsportal. Enstroga sei dagegen weiterhin mit Tarifen gelistet. "Bei Check 24 liegen uns auch aktuell kaum Beschwerden vor", teilt eine Sprecherin des Portals mit.

Eon stoppt Gasvertrieb für Neukunden

Zur Wahrheit gehört auch, dass nicht nur Billiganbieter zu kämpfen haben. Energiekonzern Eon etwa bietet zurzeit keine Gas-Produkte mehr auf seinen Seiten an.

Selbstverständlich beliefere das Unternehmen seine Kunden weiterhin zuverlässig mit Erdgas, heißt es auf ZfK-Nachfrage. Lediglich Neukundenprodukte würden aktuell überarbeitet, um die stark gestiegenen Beschaffungskosten preislich zu berücksichtigen. (aba)