Wasser

Saurer Regen war gestern?

Sulfat in Gewässern ist weiterhin ein großes – und unterschätztes – Problem, wie eine Studie des IGB ergeben hat.
05.03.2021

Die Spree ist durch den Braunkohletagebau im Lausitzer Revier mit Sulfat belastet.

„Saurer" Regen war eigentlich ein Phänomen der 1980er Jahre, als bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe große Mengen an Schwefel in die Atmosphäre gelangten. Nachdem Kraftwerke mit Anlagen zur Rauchgasentschwefelung nachgerüstet wurden, schien die Gefahr gebannt. In Deutschland sanken die atmosphärischen Schwefeleinträge um 90 Prozent, teilt das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) mit.  

In Binnengewässern blieben die Konzentrationen an Sulfat, das aus Schwefel gebildet wird, in den letzten Jahrzehnten dennoch nahezu unverändert; in einigen Regionen stiegen sie sogar. Für die Forscher ein klares Zeichen dafür, dass andere Quellen an Bedeutung gewonnen haben.

Anstieg statt Rückgang

In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise zeigt eine Analyse, dass die Sulfatkonzentrationen 30 Jahre nach dem drastischen Rückgang der atmosphärischen Schwefeleinträge in rund 60 Prozent der Gewässer zwar um mehr als zehn Prozent gesunken sind, aber in 20 Prozent sogar um mehr als zehn Prozent angestiegen ist.

Gelöstes Sulfat entsteht in Binnengewässern natürlicherweise durch die Verwitterung von Mineralien, bei Vulkanismus oder beim Abbau von organischem Material. Doch vor allem menschliche Aktivitäten lassen die Konzentrationen von Sulfat im Wasser deutlich ansteigen. Neben den atmosphärischen Einträgen sind dafür insbesondere die Entwässerung von Mooren, die Absenkung des Grundwasserspiegels für den Braunkohletagebau, Düngerauswaschungen aus landwirtschaftlich genutzten Böden sowie Abwässer aus Landwirtschaft und Industrie verantwortlich.

Und wieder die Landwirtschaft

Die IGB-Forscher beziehen sich auf eine aktuelle Studie der amerikanischen Universität von Colorado zu der bislang unterschätzten Schwefelquelle – die Landwirtschaft. Schwefelhaltige Substanzen werden als Dünger eingesetzt, aber auch als Fungizide wie beispielsweise im Weinbau. Weltweit macht der landwirtschaftliche Einsatz rund 50 Prozent des jährlich in die Umwelt eingetragenen Schwefels aus, so die Autoren der US-Studie. Somit gelangt in einigen Bereichen der Landwirtschaft und damit auch in einigen Regionen der Welt heute mehr Schwefel in Böden und Gewässer als zum Höhepunkt des sauren Regens.

Die Folgen des Klimawandels tragen noch zu einer Verschärfung bei: „Zunehmender Starkregen spült schwefelhaltige Böden und Dünger in Gewässer; größere Flächen von Feuchtgebieten fallen trocken; durch steigende Meeresspiegel gelangt sulfatreiches Salzwasser ins Grundwasser und in Flüsse, wo es die Sulfatkonzentrationen erheblich erhöhen kann“, fasst Dominik Zak von der dänischen Universität Aarhus und einer der Mitautoren der IGB-Studie die Prognosen zusammen.

Überschreitungen der Grenzwerte

Die Spree ist ein Beispiel für Flüsse, in denen die Sulfatkonzentrationen als Folge des Braunkohletagebaus angestiegen sind. In einigen Abschnitten überschreitet sie schon heute den Trinkwassergrenzwert von 250 Milligramm pro Liter. „Das ist problematisch, da diese Gewässer als Trinkwasserquelle genutzt werden – typischerweise über Grundwasserentnahme und durch Uferfiltration“,  stellt IGB-Forscher und Mitautor Tobias Goldhammer fest. „Nach wie vor spielt der Braunkohleabbau in vielen Regionen der Welt eine bedeutende Rolle, und überall dort sind Sulfatbelastungen in Gewässern und im Trinkwasser ein Thema. Auch wenn wir in Deutschland den Ausstieg aus der Braunkohleförderung beschlossen haben, werden uns die Sulfateinträge in unsere Gewässer als Umweltproblem längerfristig erhalten bleiben.“

Sulfat beeinträchtigt nicht nur die Trinkwasserqualität, sondern beeinflusst auch die Stoffkreisläufe von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor. Dadaurch steigt unter anderem der Nährstoffgehalt in Gewässern und damit das Pflanzen- und Algenwachstum sowie das Nahrungsangebot für aquatische Organismen. Die Folge ist ein Sauerstoffmangel im Wasser, der die weitere Freisetzung von Phosphat aus dem Sediment fördert – ein Teufelskreis. Sulfat und seine Abbauprodukte – insbesondere Sulfid – können zudem giftig auf aquatische Lebewesen wirken.

Viele Wissenslücken

Die biologische Sanierung mithilfe lebender Organismen wie Prokaryonten, Pilzen oder Pflanzen sei eine Möglichkeit, um Schadstoffe aus Ökosystemen zu entfernen, so die Wissenschaftler. Pflanzenkläranlagen, Bioreaktoren und durchlässige reaktive Barrieren könnten auch die Sulfatbelastungen in Gewässern mindern. Viel versprechen sich die Experten von der Renaturierung von Mooren: Durch die flächendeckende Trockenlegung von Feuchtgebieten wurden Schwefel und schwefelhaltige Eisenverbindungen freigesetzt. Die Wiedervernässung dieser Flächen könne die Freisetzung stoppen und sogar Schwefel speichern: Gelangt dann mit Sulfat angereichertes Wasser über Grund- oder Oberflächenwasser in diese Feuchtgebiete, wird es dort gefiltert.

„Es besteht großer Handlungsbedarf, die Sulfatkonzentrationen in Gewässern zu verringern. Wir möchten mit unserer Studie auf die Problematik aufmerksam machen, den derzeitigen Stand zur Sulfatbelastung aufzeigen und gleichzeitig auf die noch zahlreichen Wissenslücken hinweisen“, fasst Zak zusammen. (hp)