Smart Metering: Viel Frust für Messstellenbetreiber
Glücklich macht der Rollout intelligenter Messsysteme grundzuständige Messstellenbetreiber derzeit nicht. Das ergibt zumindest eine ZfK-Befragung von 27 Unternehmen unter Verteilnetzbetreibern von 50.000 bis über zwei Millionen Stromzählern.
„Aktuell ist die Geschwindigkeit des Rollouts von den „Großen Messstellenbetreibern“ und den Gateway-Herstellern bestimmt, die entsprechend umfangreiche Ressourcen und Investitionen bereitstellen“, ist die Erfahrung der Technischen Werke Ludwigshafen. Für Messstellenbetreiber sei der Rollout schon jetzt eine technische und finanzielle Herausforderung. „Um die bisherigen Basisfunktionalitäten der hochsicheren Datenübertragung über ein Smart-Meter-Gateway herzustellen, muss ein enormer Aufwand betrieben werden. Gerade die Integration des externen Marktteilnehmers (EMT) in die bestehende IT bindet wertvolle Ressourcen, die an anderer Stelle ebenfalls dringend gebraucht würden, etwa bei der Mako 2022 und dem Redispatch 2.0“, führen die TWL aus.
Fristverlängerung beim Rollout
Ein anderes kleineres Stadtwerk fordert, dass die Zeiträume, beziehungsweise die Fristen für die Erfüllung des Pflicht-Rollouts im Bezug auf den OVG-Eilbeschluss für alle grundzuständigen Messstellenbetreiber mit einer neuen, gesetzeskonformen Markterklärung, sprich drei Jahre ab der „neuen“ Markterklärung“, wieder neu beginnen sollte.
In jeder Unternehmensgröße gibt es bei der ZfK-Umfrage Klagen über die Umsetzbarkeit der Drei-Jahres-Frist. So erklärte etwa Stromnetz Hamburg, dass der Zeitraum zu kurz gewählt sei. „Die Frist wird dem Anspruch an die grundzuständigen Messstellenbetreiber zur Implementierung eines neuen komplexen Systemverbunds nicht gerecht. Trotz erheblicher Anstrengungen und der kürzlich erreichten Massenrolloutfähigkeit ist nicht sichergestellt, dass wir die Frist halten können. Erfahrungsgemäß müssen wir noch mit operativen Herausforderungen rechnen, deren Auswirkungen sicher zu weiteren Schwierigkeiten und damit Verzögerungen führen werden“, erklärte der Verteilnetzbetreiber aus der Hansestadt.
Zehn-Prozent-Hürde
Die klare Mehrheit schätzt, die zehn Prozent der eingebauten intelligenten Messsysteme bis 2023 zu schaffen: Während einige Messstellenbetreiber wie TWL, Energieversorgung Leverkusen oder Stadtwerke Stuttgart davon ausgehen, dass sie die zehn Prozent Hürde schaffen, sind einige (die Netztöchter der Stadtwerke aus Karlsruhe, München, der EnBW oder der N-Ergie) sogar schon kurz davor die Quote zu erfüllen. Ein großer Messstellenbetreiber, der namentlich nicht genannt werden will, hat die zehn Prozent installierter intelligenter Messsysteme bereits erreicht.
Viele weitere sind sich sicher, das Ziel zu erreichen, würden aktuell nicht Lieferschwierigkeiten bei den Geräten bestehen, dazu gehören etwa die Netztöchter der Stadtwerke Jena, Mainova, der Wuppertaler Stadtwerke, der Stadtwerke Kiel oder der Digimeto.
Lieferschwierigkeiten behindern Rollout
Gateway-Hersteller PPC erklärte auf ZfK-Nachfrage, dass man hier trotz des Bauteilemangel seine Kunden weitestgehend beliefern konnte. „Unser sehr offensives Sourcing und fortlaufende Abstimmungen mit Kunden helfen uns, trotz Marktengpässen den Rollout am Laufen zu halten“, erklärten die Mannheimer.
Theben, ebenfalls Gateway-Hersteller, vermutete gegenüber der ZfK zudem, dass das Unternehmen im März die Lieferzeitschwankungen überwunden hat.
Zwei Stadtwerke verlieren Gateway-Administrator
Neben der Chipkrise verweist Digimeto auf weitere Faktoren, die den Rollout beeinträchtigen: Corona und systemisch prozessuale Schwierigkeiten der Geräte und der Firmware. Der Ostdeutsche Messstellenbetreiber plädiert daher ebenfalls für eine Fristverlängerung, um einen optimalen Rollout durchführen zu können. Zudem: „Im Moment fehlt die Verbindlichkeit des durch den Gesetzgeber formulierten Kundennutzens, etwa lastvariable Tarife, in den Verbrauchsgruppen der POG. Für die Nutzung der Geräte müssen klare Anreize geschaffen werden.“
Lediglich 17 Prozent der befragten 27 Unternehmen gaben an, dass sie die Hürde vermutlich reißen, darunter zwei Stadtwerke, die Ende des Jahres ihren Gateway-Administrator als Dienstleister verloren hatten und einen neuen finden müssen.
Preisobergrenzen nicht wirtschaftlich
Kummer bereiten auch die Preisobergrenze (POG). So wird von vielen Seiten bemängelt, dass diese nicht kostendeckend sei.
PPC verweist darauf, dass bei einer geringen Rolloutquote die Deckungsbeiträge für die systemisch sehr hohen Fixkosten fehlen. „Das wird mit einem beschleunigten Rollout besser werden und mit dem Start der Anwendungen nach Stufe 3 des Stufenplans steigt auch die Wertschöpfung über ein Smart-Meter-Gateway an“, so das Unternehmen.
Hilfreich für einen beschleunigten Rollout wären hier Anreize des Gesetzgebers, auch um der Bedeutung der Digitalisierung für den Klimaschutz gerecht zu werden, empfiehlt PPC.
Rechtsunsicherheit bleibt bestehen
Die Rechtsunsicherheit, die durch den OVG-Eilbeschluss entstand, beschäftigt Messstellenbetreiber in jeder Größenklasse. So werde die Anpassung des Messstellenbetriebsgesetzes von Rechtsexperten unterschiedlich, zum Teil konträr interpretiert, sagt ein Messstellenbetreiber. Unklar sei demnach nach wie vor, ob der OVG-Eilbeschluss nur für die Kläger oder für alle Betroffenen gelte. „Angesichts der aktuellen Marktlage fragen sich viele, ob die aktuelle BSI-Allgemeinverfügung bestehen bleibt oder aufgrund der aktuellen Lage durch eine neue ersetzt wird“, so ein Versorger.
Zudem fehlen gesetzliche Regelungen wie Vorgaben oder Anreize zur Steuerung der Verbraucher und Einspeiser mit Hilfe des intelligenten Messsystems, konkretisiert ein großer Messstellenbetreiber. Unklar sei, wer hat welche Rechte und Pflichten, um einen geordneten Netzbetrieb sicherzustellen? Wie gestalten sich die Zuständigkeiten und die Kostenverteilung?
„Des Weiteren würden nachvollziehbare gesetzliche Regelungen zur Einbaupflicht und Abrechnung des Messstellenbetriebs, etwa einfachere Bestimmungen des Entgelts für den Messstellenbetrieb in Abhängigkeit der eingesetzten Messtechnik, helfen.“
Mehr Transparenz und Praxisbezug
Derzeit seien die Regelungen im EEG und Messstellenbetriebsgesetz im Bezug auf unterschiedliche Leistungsgrenzen oder Anlagenzusammenfassungen schwer nachvollziehbar und auch widersprüchlich. Ebenso brauche es klare und nachvollziehbare gesetzliche Regelungen für den Einsatz der intelligenten Messsysteme im Gasbereich.
Die Netztochter der Stadtwerke Karlsruhe wünscht sich mehr Transparenz und Praxisbezug bei der Erteilung von Rollout-Freigaben. Vor allem unter Berücksichtigung der technologischen Entwicklung und Marktverfügbarkeit der Geräte und Systeme. „Gerade im Bezug auf den kommenden Einsatz der CLS-Steuereinheiten, den weiteren Hochlauf der Themen E-Mobilität sowie Last- und Einspeisemanagement sehen wir erheblichen Nachholbedarf in puncto Rechtssicherheit und was Klarheit prozessualer und technischer Umsetzung angeht.
Technische Mängel
Auch die Technik wird kritisiert: Sowohl die Gateways als auch die für die Funktion der Prozesse erforderlichen nachgelagerten IT-Systeme befinden sich immer noch im Status „Jugend forscht“, so die Meinung eines mittelgroßen Messstellenbetreibers.
Der Rollout hätte erst verkündet werden dürfen, wenn die Anforderungen – Steuern über das Gateway – technisch möglich und gesetzlich verabschiedet sind und es eine ausfallsichere Kommunikationsplattform wie LTE 450 gebe.
„Im Moment rollen wir Gateways auf Basis unzureichender Technik und unklarer Rechtslage aus und stehen als grundzuständiger Messstellenbetreiber noch unseren Kunden gegenüber in der Pflicht, ihnen die nicht vorhandenen Vorteile für die massiv erhöhten Messpreise erklären zu müssen“, so das vernichtende Urteil.
Infrastruktur noch nicht ausreichend
Die Netztochter der Stadtwerke Kiel ist der Meinung, dass viele systemische Prozesse die gestellten Anforderungen noch nicht oder nur teilweise erfüllen können. „Dabei sind unterschiedliche Ausprägungen der ERP-Systeme bei den Versorgern vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt worden. Auch die Erreichbarkeit der intelligenten Messsysteme über die verschiedenen Netzanbieter ist nicht vollständig garantiert.“
Zwar werde das Stufenmodell 2 mit den neuen energiewirtschaftlichen Anforderungen, die ein intelligentes Messsystem erfüllen soll, auf den Weg gebracht. Für die künftig geforderte Umsetzung dieser Anwendungsfälle gebe es aber noch keine ausreichende Infrastruktur und es sei auch nicht abzusehen, wann es diese gebe.
IT-Dienstleister sind knapp
Ein weiterer Messstellenbetreiber bemerkt, dass derzeit die IT-Dienstleister hoch ausgelastet seien und dass die Integrationsprojekte dadurch bei sehr vielen Stadtwerken an Dynamik verlieren und sich nur langsam voran bewegen. „Ohne funktionierende IT-Prozesse ist aber ein Rollout nicht denkbar.“ Zudem sei allgemein bekannt, dass die bereits ausgerollten Smart-Meter-Gateways nicht die notwendige Stabilität etwa bei der Datenlieferung böten.
Langwierige Bugfixes bei Smart Metern
Ein anderes Stadtwerk verweist darauf, dass es wegen der BSI-Zertifizierung keine Möglichkeit für schnelle Geräte-Bugfixes gebe. Dies liege daran, dass die durch die Hersteller fehlerbereinigte Firmware immer erst durch die Sicherheitsbehörde zertifiziert werden müsse.
„Das führt dazu, dass Fehler nur sehr langsam behoben werden oder die Hersteller sogar versuchen die Fehler für sich zu behalten. Gibt es dann eine Korrektur kommt es zu Firmwareupdate. Dieser Prozess ist ebenfalls sehr komplex, da man die Landeseichbehörden einbinden muss“, so das Stadtwerk.
Die Energieversorgung Leverkusen erklärte, man halte die Datensicherheitsanforderungen für übertrieben.
Gateway nicht Lösung für alles
Die Netzttochter der Stadtwerke München plädiert dafür, den Einbau eines intelligenten Messsystems nicht um jeden Preis zu verfolgen und das Gateway nicht zur Lösung für alles zu machen. „Es darf nicht die einzige Grundlage der Digitalisierung der Energiewende darstellen. Vielmehr sollte Offenheit für sinnvolle alternative Ansätze herrschen und eine bessere Einbindung des Anschlussnehmers beim Thema Steuern von Anlagen.
„Wenn der Rollout – wie politisch gefordert – beschleunigt werden soll, muss er stufenweise erfolgen, mit einer zeitnahen Markterklärung für ungesteuerte Einspeiseanlagen als zweiten Schritt nach der Markterklärung von 2020“, fordert die Netztochter der EnBW Netze BW. „Andernfalls kommt der gesamte Rollout zum Erliegen.“
Im darauffolgenden Schritt gelte es, schnellstmöglich die technischen, rechtlichen und prozessual-/systemseitigen Rahmenbedingungen für steuerbare Einspeiseanlagen zu klären. „Sobald diese vorliegen, können auch die steuerbaren Einspeiseanlagen ausgerollt werden“. Diese seien dringend nötig für den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren und der E-Mobilität, so Netze BW.
Mehr Tempo nötig
Auch Gateway-Hersteller PPC drängt zu mehr Tempo: „Kurzfristig ist es sehr wichtig , dass jetzt die Freigabe der Einbaufälle für <25 kW EEG Anlagen erfolgt und umgehend die unterbrochene §14a Novelle (SteuVG) ins Ziel gebracht wird.“
Zudem müsse beim Steuern Mitte 2022 endlich der Einstieg ermöglicht werden, ohne dass dabei bereits zum Einstieg eine vollumfängliche Bereitstellung aller denkbaren Backendlösungen und MaKo Prozesse gefordert wird. Etwas mehr Agilität wäre da wünschenswert und die regulatorische Flexibilität hierzu im „Oster/Sommer-Paket“ abzubilden, fordert PPC.
SiLKe bremst kaum
Überraschend dürfte auch sein, dass die Sichere Lieferkette (SiLKe) bei den meisten Messstellenbetreibern nicht als große Bremse wahrgenommen wird. Zwar koste diese Geld, aber lediglich 22 Prozent bewerteten diesen Punkt als "sehr hemmend". Die meisten, nämlich 41 Prozent gaben an, dass sie dadurch nur wenig behindert würden.
Die Mannheimer PPC AG wertete diese Entwicklung als sehr erfreulich. Gleichwohl arbeite man intensiv an weiteren technischen und prozessualen Vereinfachungen der sicheren Lieferkette.
Kunden stehen nicht im Mittelpunkt
Die Netztochter der Wuppertaler Stadtwerke weist auf einen weiteren Punkt hin: Bislang fehlen Informationen für die Kunden – vor allem auch zum Nutzen der Geräte. „Es geht ja um die Digitalisierung der Stromnetze und in einigen Jahren um Schalt- und Steuerfunktionen. Damit kann durch reduzierten Netzausbau an anderer Stelle Geld gespart werden, das indirekt dann den Kunden zu Gute kommt, die jetzt höhere Preise für die intelligenten Messsysteme bezahlen müssen, künftig aber mit allen von weniger stark steigenden Netznutzungsentgelten profitieren“, so der Tipp der Wuppertaler.
Auch ein großer Messstellenbetreiber wünscht sich mehr Öffentlichkeitsarbeit durch die Behörden gegenüber den Bürgern. „Derzeit müssen sich die grundzuständigen Messstellenbetreiber gegenüber den Kunden rechtfertigen, da die Vorteile der neuen Messtechnik für die Bürger noch nicht ausreichend nachvollziehbar sind.“ (sg)
Details zu der Umfrage, an der die 27 Messstellenbetreiber teilgenommen haben, gibt es in der gedruckten Februar-Ausgabe auf Seite 9. Zum E-Paper geht es hier. Falls Sie noch kein Abonnent sind, finden Sie hier unsere Aboangebote.