Das Rückgrat der Wärmewende

Wie in Herne (Foto) nimmt die Zahl der Fernwärmeprojekte deutschlandweit zu – und Handwerkskapazitäten begehrter.
Bild: © Stadtwerke Herne
Von Andreas Lorenz-Meyer
In Herne ist die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung in vollem Gang: Teilnetze werden verbunden, ausgebaut und verdichtet – wie es der Transformationsplan der Stadtwerke Herne vorsieht. Diese betreiben mehrere Netze mit unterschiedlichen Wärmequellen: In zwei Netzen ist Grubengas aus ehemaligen Zechen die Quelle, und verstärkt kommt auch industrielle Abwärme zum Einsatz.
Ein technisch anspruchsvolles Projekt ist im März abgeschlossen worden. Zwei bisher getrennte Fernwärmenetze sind jetzt miteinander verbunden – das beim Chemiewerk der Firma Ineos und das in der Herner City. Während im Netz am Standort von Ineos bereits die sogenannte Brüdenwärme vom Ineos-Werk für die Fernwärmeversorgung genutzt wurde, bauen die Stadtwerke nun auch den Abwärmeanteil aus und speisen ihn in gleich zwei Netze ein.
Fachkräftemangel und Wettbewerb
"Im Zuge des Fernwärmeausbaus müssen wir eine immer größere Zahl Projekte bewältigen", stellt Technikleiterin Kathrin Kalkühler von den Stadtwerken Herne fest. Damit steige auch der Bedarf an Fachkräften, die Leitungen und Anschlüsse legen. Im Ruhrgebiet sei die Konkurrenz um die knappen Handwerkerkapazitäten jedoch groß. "In Zeiten des Fachkräftemangels befinden wir uns in einem zunehmenden Wettbewerb. Bei Ausschreibungen wird das Bieterfeld immer kleiner, die Preise steigen deutlich."
Einsatz beim Grubengasprojekt
Aus diesem Grund hatten die Stadtwerke im Februar bereits den Dattelner Rohrleitungsspezialisten S. Elles mit seinen 18 Mitarbeitern zu 100 Prozent übernommen. Jetzt folgt der Einstieg beim Bochumer Unternehmen Josef Koch Tief- und Straßenbau mit einem Anteil von 51 Prozent. Diese Beteiligung wird in den nächsten Tagen vollzogen.
"So wird für uns ein sinnvolles Paket daraus. Wir sichern uns die notwendigen Kapazitäten sowohl im Tief- als auch im Rohrleitungsbau. Das ist unser Hauptanliegen, denn wir schaffen so die Grundvoraussetzung dafür, die anstehenden Projekte im Bereich Energie- und Wärmewende weiter zügig, verlässlich und mit hoher Qualität durchführen zu können."
Die Stadtwerke und die beiden Handwerksunternehmen arbeiten schon lange zusammen. "Dass wir uns kennen und schätzen, ist ein gutes Fundament." Koch und Elles agieren operativ weiter unabhängig – und werden als neuer Teil der Stadtwerke in Herne-Horsthausen gleich viel zu tun haben. Dort wird seit 2021 ein Wärmenetz auf Basis von Grubengas aus der ehemaligen Zeche "Friedrich der Große" aufgebaut. Ein Blockheizkraftwerk leitet die Wärme direkt in die Gebäude. Aktuell wird der Neubau der Hauptfeuerwehr- und Rettungswache angeschlossen. Und in einigen Straßen mit Ein- und Mehrfamilienhäusern geht der Fernwärmeausbau ebenfalls weiter.
Nicht nur in Herne hat sich ein kommunales Unternehmen handwerkliche Kompetenz ins Haus geholt. Ab April 2025 wird das insolvente Tiefbauunternehmen Arbogast Teil der Stadtwerke Amberg sein – als "SWArbogast GmbH". Unter anderem die Wärmewende sei mit den 28 neuen Mitarbeitern leichter umzusetzen, heißt es aus Amberg.
Mehr Projekte parallel durchführbar
Dass solche Übernahmen tatsächlich etwas bringen, zeigt sich in Münster. Anfang 2024 übernahmen die Stadtnetze Münster, Tochter der Stadtwerke Münster, 51 Prozent Anteile an der Firma Seck Tief- und Rohrbau. Auch hier ging es darum, sich Fachkräfte für die schnell wachsenden Anforderungen im Bereich Ausbau Strom- und Fernwärmeversorgung zu sichern. Seck hat seinen alten Standort Herne mittlerweile aufgelöst, der Hauptsitz wurde nach Münster verlegt – wo die Firma unter anderem Fernwärmeleitungen errichtet.
Ein Schwerpunkt ist aktuell das Fernwärmenetz im Stadtteil Coerde, das die Stadtnetze Münster 2022 mit dem Kauf der Westfälischen Fernwärmeversorgung vollständig übernommen hatten. Das Netz ist alt, und auch wegen des verbauten Materials Lebit besteht größerer Modernisierungsbedarf. Zudem kümmert sich Seck im gesamten Stadtgebiet um die Verdichtung des vorhandenen Fernwärmenetzes, besonders im Bereich der Hausanschlüsse.
"Dann würde die münstersche Wärmewende stark ausgebremst."
Die Mehrheitsbeteiligung war der richtige Schritt, sagt Stadtnetze-Geschäftsführer Franz Süberkrüb rückblickend. "Dank der vergrößerten personellen Ressourcen können wir jetzt mehr Baumaßnahmen im Bereich Fernwärme parallel durchführen." Die steigende Zahl der Aufgaben, die unter anderem mit dem Gebäudeenergiegesetz einhergeht, wäre in der früheren Konstellation kaum in der notwendigen Geschwindigkeit umzusetzen gewesen. "Hätten wir die zusätzliche Manpower und Fachexpertise von Seck nicht im Haus, würde die münstersche Wärmewende stark ausgebremst."
Offen für weitere Beteiligungen
Da sich Secks Standort in unmittelbarer Nähe zu großen Bauprojekten wie dem in Coerde befindet, sind die Wege kurz. Mit dem zusätzlichen Personal konnte zudem ein rund um die Uhr erreichbarer "Bereitschaftsdienst Fernwärme" eingerichtet werden. Dass von den Stadtnetzen Münster Frank Zurborn mit Prokura in die Seck-Geschäftsleitung eingetreten war, erweist sich auch als nützlich. "Dadurch konnten wir kaufmännische und technische Prozesse verbessern und Schnittstellen abbauen."
"Ohne Tiefbau keine Wärmewende und keine Energiewende."
Süberkrüb zeigt sich offen für weitere solche Beteiligungen an Baufirmen, da Verteilnetzbetreiber in den kommenden Jahren sowohl im Bereich der leitungsgebundenen Wärme als auch der Stromnetze immensen Aufgaben gegenüberstehen. "Ohne Tiefbau wird es keine Wärmewende und keine Energiewende geben. Die Sicherung der entsprechenden Fachkräfte und Personalkapazitäten ist ein wesentlicher Faktor für die Umsetzung in den Kommunen."
Übernahme nur ein Teil der Strategie
In Bochum ist das Tiefbauunternehmen HVT Harpener Versorgungstechnik gerade mit der Verdichtung des Fernwärmnetzes beschäftigt. 2024 hatten es die Stadtwerke Bochum übernommen, aus strategischen und operativen Gründen, so Geschäftsführerin Elke Temme. "Wir müssen in den nächsten Jahren massiv in die Infrastruktur investieren. Damit steigt der Bedarf an qualifizierten Tiefbauunternehmen." Die Kapazitäten auf dem Markt seien aber knapp – daher der Erwerb von HVT. Es biete als einziges Unternehmen in Bochum sowohl den Tief- als auch den Rohrleitungsbau an.
Auch Temmes Zwischenbilanz fällt positiv aus. "Nun fallen die Ausschreibungen weg. Dadurch haben wir Zeitvorteile und können Projekte schneller umsetzen." Die Baumaßnahmen lassen sich innerhalb des eigenen Unternehmens zudem besser steuern, was die Planungssicherheit erhöht. Die Aufgabenteilung – die Stadtwerke planen die Wärmeprojekte, HVT führt sie aus – funktioniere reibungslos. Dass die übernommene Firma operativ weiterhin eigenständig agiert, habe sich bewährt.
Fachkräfte sind das Rückgrat der Energie- und Wärmewende, so Temme. Durch den Erwerb von HVT sei es gelungen, auf einen Schlag rund 100 Fachkräfte zu gewinnen. Solche Übernahmen blieben aber eher die Ausnahme, sie seien auch nur ein Teil der Fachkräfte-Strategie. "Wir setzen darüber hinaus auf unsere eigene Ausbildung und die berufliche Weiterentwicklung im Unternehmen, um Fachkräfte zu halten und neue zu gewinnen. Für uns ist das ganz entscheidend." Dadurch wachse die persönliche Zufriedenheit der Mitarbeiter – und man werde attraktiver für potenzielle Bewerber.
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