Karriere

Damit Wissen nicht in Rente geht

An welchen Stellen müssen kommunale Unternehmen ansetzen, um das Wissen ausscheidender Mitarbeiter zu sichern? Antworten lieferte eine Veranstaltung des VKU mit den Mainzer Stadtwerken. Dabei erhielten die Teilnehmer Einblick in die Software Kapiro.
07.07.2023

Bei der Mainzer Stadtwerke AG gehen bis 2030 rund 48 Prozent der technischen Fachkräfte in den Ruhestand: Nicht nur ihr Wissen muss erhalten bleiben

“Es gibt eine Wissensform, die in den Köpfen existiert, die Jüngeren würden es wahrscheinlich Life-Hacks nennen: die kleinen Tipps und Tricks, wie man den einen oder anderen Prozess noch ein bisschen besser oder schneller machen kann”, sagte Tobias Brosze, Technischer Vorstand der Mainzer Stadtwerke AG und Vorsitzender des VKU-Ausschusses Digitalisierung, gleich zu Beginn der Veranstaltung.

Er unterstrich damit, wie wichtig es sei, gerade das Erfahrungswissen beim Wissenstransfer zu erhalten: Dieses stehe nicht in Protokollen oder finde sich auf Festplatten. Brosze stand Rede und Antwort bei der VKU-Online-Veranstaltung anlässlich des Digitaltags 2023 mit dem Titel 'Damit ihr Wissen nicht in die Rente geht - Kompetenztransfer in kommunalen Unternehmen'. Als zweiter Referent aus Mainz war Roman Benteler zugeschaltet, Ressortleiter Digitalisierung und Projekte der Stadtwerke.

Veränderung der Arbeitswelt bedarf neuer Lösungen

Auf die Frage von Moderatorin Maria Rost, Bereichsleiterin Digitales in der VKU-Zentralabteilung, welche Herausforderungen kommunale Unternehmen beim Thema Wissenstransfer aktuell zu bewältigen haben, antwortete Brosze: "Wir merken, dass es in einigen Bereichen immer schwieriger wird, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und das Bewerberfeld kleiner wird.

Und ein Blick nach vorne zeigt, dass bis 2030 rund 48 Prozent unserer technischen Fachkräfte in den Ruhestand gehen werden. Das heißt, wir haben massive personelle Veränderungen mit hohem Zeitdruck, der durch einen weiteren Megatrend, die Digitalisierung, noch verstärkt wird."

Eine Lösung ist digitales Wissensmanagement

Er appellierte eindringlich: Um dem Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel systematisch zu begegnen, müsse das Thema Wissenstransfer in den Unternehmen priorisiert werden. Und weiter: “Früher hieß es: Einmal Stadtwerke, immer Stadtwerke.” Heute wechselten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schneller den Arbeitsplatz. Die Frage des Wissenstransfers stelle sich daher nicht nur beim Thema Rente. Gerade bei zunehmender Komplexität und Breite der Aufgabenfelder müsse Wissen kontinuierlich nutzbar gemacht werden. Brosze setzt deshalb auf Systematisierung und digitales Wissensmanagement.

"Früher hieß es: Einmal Stadtwerke, immer Stadtwerke."
Tobias Brosze, Technischer Vorstand der Mainzer Stadtwerke AG

Erfahrungswissen im Unternehmen dokumentieren

Als mögliche Lösung stellte Benteler ein Innovationsprojekt der Stadtwerke Mainz vor: Kapiro. Es startete in Kooperation mit den Kraftwerken Mainz-Wiesbaden mit Unterstützung der ZDF Digital Medienproduktion. Hinzu kamen die Energienetze Mittelrhein und EWR Netz. Mit Kapiro soll Erfahrungswissen im Bereich technischer Anlagen multimedial aufbereitet zur Verfügung gestellt werden.

Benteler stimmte Brosze zu: Wissen, das irgendwo in den Köpfen schlummere, drohe verloren zu gehen. Gerade die neue Generation erwarte, dass Wissen schnell und digital zur Verfügung stehe. Hier könne man auch bei den Auszubildenden punkten.

"Wir haben ganz unterschiedliche Ablageorte vorgefunden, vom Notizbuch in der Westentasche über Ordner, die vielleicht im Auto liegen, bis hin zu strukturierten Ablagemöglichkeiten auf Netzlaufwerken in digitaler Form.” Wichtiges Wissen sei oft nicht verfügbar gewesen.

Einfache Anwendungsoberfläche

Der 'Workflow' der neuen Sotware sei denkbar einfach: Eine Tätigkeit kann direkt mit Bildern und Videos festgehalten werden. Diese Rohdaten werden sofort zum Beispiel über das Smartphone ins System geladen. Später kann daraus eine Anleitung werden, die dann noch einmal in einen 'Freigabeworkflow' geht, um Arbeitssicherheit und Arbeitsqualität zu gewährleisten.

“Jeder kann sich die Anleitung ansehen und sie jederzeit weiterbearbeiten, wenn sich zum Beispiel der Sachverhalt geändert hat”, erklärte Benteler das wachsende System.

Im Projekt wurden wertvolle Erfahrungen gewonnen

Am Anfang müsse man viel investieren, bis solch ein Projekt nach Jahren wirklich Früchte trage, so Benteler.

"Es ist wichtig, auch Zeit und Raum zu schaffen, damit die Fachkräfte diese Anleitungen erstellen und ihr Wissen einbringen können.” Entscheidend sei, die Bedeutung des Themas immer wieder zu betonen und die Wissensgeber wertzuschätzen.

Der Wissenstransfer müsse nachhaltig im Arbeitsalltag verankert werden, indem Mitarbeitende, Führungskräfte und Personalabteilung gleichermaßen einbezogen werden: Dies motiviere letztlich dazu, Wissen zu teilen.

Benteler: “Wir hatten schon Fälle, in denen wir Mitarbeiter aus dem Ruhestand zurückholen mussten. Das sind Beispiele, die dazu beitragen, die Relevanz des Themas auch im betrieblichen Kontext zu verdeutlichen.”

Keine Zeit zum Warten – Handeln ist gefragt

Zum Abschluss der Veranstaltung gaben beide Referenten anderen Stadtwerken noch einen Tipp mit auf den Weg: "Früh anfangen, denn es dauert lange", empfahl Brosze, und Benteler ergänzte: "Nicht warten, sondern einfach machen.”

Das Programm steht auch anderen Unternehmen unter www.kapiro.de. zur Verfügung. (bs)