Strom

Warum die Bundesnetzagentur nicht auf den Speicher-Tsunami reagiert

Der Speicher-Boom überfordert die Netzbetreiber. Die Branche ringt um Lösungen. Mit der Bundesnetzagentur äußert sich der Regulator aber zurückhaltend.
07.10.2025

Die Bundesnetzagentur sieht sich den Speicher-Boom derzeit noch von der Seitenlinie aus an.

Von Julian Korb

Die deutschen Netzbetreiber stehen vor einem massiven Problem: Eine Flut von Anträgen für Batteriespeicheranschlüsse droht, die Stromnetze zu blockieren. Insgesamt liegen den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern 50Hertz, Amprion, Tennet und Transnet BW knapp 700 Anträge mit einer kumulierten Leistung von 250 Gigawatt (GW) vor – das entspricht rechnerisch der Anschlussleistung von 200 Atomkraftwerken. Hinzu kommen Anträge in den Verteilnetzen. Die Tendenz ist weiter stark steigend.

Das Kernproblem: Die Netzbetreiber müssen nach geltendem Recht alle Anträge nach Eingangsdatum bearbeiten – auch sogenannte "Zombie-Anträge" ohne konkretes Konzept, gesichertes Grundstück oder Finanzierung. "Wir sind gezwungen, die Anträge nach Eingangsstempel abzuarbeiten", sagte ein Sprecher von 50Hertz dem "Handelsblatt". "Das heißt, wir müssen uns auch mit Zombie-Anträgen befassen."

Das Kalkül, das viele Branchenexperten hinter solchen Anträgen vermuten: Wer einen Zuschlag für einen Anschluss bekommt, kann ihn später an einen ernsthaften Interessenten weiterreichen – und damit Geld verdienen.

Back-up-Kraftwerke müssen warten

Die Dimension des Problems verdeutlicht Leo Birnbaum, CEO des Energiekonzerns Eon, in einem Linkedin-Beitrag drastisch: "Allein Eon liegen heute Anschlussanfragen für 330 GW Großspeicher vor." Diese Anschlussleistung entspreche etwa der Last von zusätzlichen 100 Millionen durchschnittlichen Haushalten. Die Konsequenz: Wichtige Projekte wie Rechenzentren, Industrieanlagen oder Back-up-Kraftwerke müssen warten, weil die Anschlusskapazitäten mit spekulativen Speicheranträgen belegt sind.

Als Lösung hat 50Hertz ein neues Vergabeverfahren vorgeschlagen, das Projektreife und Netzverträglichkeit in den Mittelpunkt stellt. "Antragsteller sollten Nachweise über Flächensicherung, Fortschritte im Genehmigungsverfahren und detaillierte Anlagen- und Anschlusskonzepte vorlegen", zitiert das "Handelsblatt" den Unternehmenssprecher. Außerdem sollen Bewerber ihre Bonität belegen müssen. Diese Kriterien sollen dann die Priorisierung bei der Vergabe beeinflussen, möglicherweise im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens mit wiederkehrenden Zyklen.

Zustimmung aus der Speicherbranche

Die Speicherbranche selbst unterstützt diese Pläne weitgehend. "Die Netzbetreiber müssen die Möglichkeit haben, Glücksritter auszusortieren", sagte Christoph Ostermann, CEO von Green Flexibility bei einer Tagung des Handelsblatts am Montag. Das "Windhundverfahren" habe sich nicht bewährt. "Nach meiner Überzeugung sind die allermeisten Anträge nicht ernst zu nehmen."

Auch Georg Gallmetzer, Geschäftsführer von Eco Stor, pflichtete dem bei: "Die Schwelle liegt zu niedrig." Es müsse eine qualitative Sortierung geben, die den Reifegrad eines Projektes ebenso bemesse wie deren Systemdienlichkeit.

Benedikt Deuchert von Kyon Energy betonte auf der Tagung: "Das Verfahren, wie es derzeit ist, kann so nicht bleiben. Es eignet sich nicht für die Flut an Anfragen, die wir sehen. Es gibt auch die schwarzen Schafe, die ihren Vorteil suchen und denen muss man ein Stück weit Einhalt gebieten."

Netzagentur sieht keinen Bedarf

Allerdings gibt es ein Problem: Die Bundesnetzagentur sieht bislang keinen Regelungsbedarf. Nach ihrer Einschätzung bietet der geltende Rechtsrahmen bereits Möglichkeiten, um Anschlussbegehren zu priorisieren. "Die KraftNAV steht alternativen Kapazitätsverteilungsverfahren jenseits des Windhundprinzips nicht entgegen", sagte ein Sprecher der Behörde. Diese Verfahren müssten lediglich diskriminierungsfrei, angemessen und transparent sein.

Barbie Haller, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, äußerte sich auf der Handelsblatt-Tagung ebenfalls skeptisch zum 50Hertz-Vorschlag: "Ich bin von dem 50Hertz-Vorschlag nicht begeistert. Wenn wir die Projektreife entscheiden, müssen wir sehr in die Tiefe einsteigen. Das machen die Betreiber, nicht wir in Bonn. Das halte ich rechtlich für ganz schwierig." Sie verwies darauf, dass das "First Come First Serve"-Prinzip zwar nicht helfe, die Netzbetreiber aber bereits jetzt andere Verfahren wählen könnten, sofern diese transparent und diskriminierungsfrei seien.

Mit der Mainova-Tochter NRM Netzdienste Rhein-Main sowie Stromnetz Berlin haben zudem bereits zwei Netzbetreiber ihre Zuteilungsverfahren angepasst. Damit soll nicht nur der "Speicher-Tsunami", sondern auch die derzeit hohe Nachfrage nach Anschlüssen für Rechenzentren gebändigt werden.

Netzbetreiber fordern Regelung

Den Netzbetreibern ist das zu unsicher. Sie wollen eine eigene Regelung. Sie argumentieren, die Kraftwerksnetzanschlussverordnung (KraftNAV) aus dem Jahr 2007 sei als Rechtsgrundlage nicht geeignet. Tatsächlich war die Verordnung für zehn Anschlussbegehren von Kraftwerken pro Jahr in ganz Deutschland entwickelt worden – nun sollen hunderte Speicheranträge damit bewältigt werden. Das Klagerisiko wegen nicht einzuhaltender Fristen sei erheblich.

Die Bundesländer teilen diese Bedenken. Der Bundesrat forderte Ende September, die KraftNAV zu ändern und Energiespeicher herauszunehmen. Zur Begründung heißt es, die Anwendung der Verordnung auf Batteriespeicher führe "zu erheblichen Komplikationen bei der Durchführung der Netzanschlussverfahren". Leo Birnbaum brachte es auf den Punkt: "Wenn wir bestehende Regelungen nicht kurzfristig ändern, ist das Netz bald für Jahre dicht."

Streit um Netzdienlichkeit und Netzentgelte

Umstritten bleibt derweil weiterhin die Frage der Netzdienlichkeit. Arved von Harpe, Geschäftsführer von Sunnic Lighthouse, argumentierte bei der Energiespeicher-Tagung: "Ein Speicher wird zu 80 Prozent das Netz entlasten, bei Co-Located-Speichern sind es sogar 90 Prozent. Wäre ich ein Netzbetreiber, wäre ich froh, wenn in meinem Netzgebiet jemand einen Speicher errichtet."

Christoph Ostermann von Green Flexibility sah das differenzierter: "Es gibt durchaus Situationen, wo man das regionale Netz belastet, wenn man sich nur am Spotmarkt optimiert." Er forderte ein neues Anreizsystem: "Am Ende muss es so sein, dass netzneutrale Speicher nicht belastet werden, netzdienliche Speicher etwas dafür bekommen und 'netzschädliche' Speicher ihren Obolus entrichten müssen."

Auch die auslaufende Netzentgeltbefreiung sorgt für Unsicherheit. Haller von der Netzagentur stellte klar: "Es kann nicht sein, dass sich Speicher aus der Netzentgeltsystematik komplett herausziehen." Markus Meyer, Geschäftsführer von Fluence Energy, zeigte Verständnis: "Aus Systemsicht ist mir klar, dass eine Netzentgeltbefreiung nicht dauerhaft geht. Wir brauchen möglichst einfache, transparente Vorgaben."

Das Bundeswirtschaftsministerium hat auf den Vorstoß des Bundesrates bislang noch nicht reagiert und kündigte lediglich an, eine Gegenäußerung innerhalb der Bundesregierung abzustimmen.

Mehr zum Thema aus dem ZfK-Archiv:

Speicher außen vor: Söder will Industrie und Rechenzentren zuerst anschließen

Kaum große Speicher nötig: Bundesnetzagentur erklärt ihre Berechnungen

Speicher-Vermarktung: "Ohne Tolling-Anteil geht es kaum noch"