Blackout-Rätsel gelöst: Spaniens Regierung spricht von "Planungsfehler"

Die spanische Regierung hat die Ursachen für den Blackout am 28. April 2025 in Spanien und Portugal bekanntgegeben. (Symbolbild)
Von Julian Korb
Die spanische Regierung hat den Übertragungsnetzbetreiber Red Eléctrica de España (REE) und mehrere Stromerzeuger für den weitflächigen Blackout in Spanien und Portugal am 28. April 2025 verantwortlich gemacht. Wie die spanische Ministerin für ökologischen Wandel, Sara Aagesen, am Dienstagabend erklärte, seien Überspannungen im Netz nicht ausreichen gedämpft worden, was schließlich zum Ausfall des gesamten Systems führte. Die Regierung legte außerdem einen 182-seitigen Bericht zur Ursache des Stromausfalls vor.
So sei ein konventionelles Kraftwerk, das für einen Einsatz am 28. April eingeplant war, am Vorabend vom Kraftwerksbetreiber zurückgezogen worden. Der Netzbetreiber REE beschloss daraufhin, kein zusätzliches Kraftwerk zu aktivieren. "Sie haben ihre Berechnungen angestellt und festgestellt, dass dies nicht notwendig war", sagte Aagesen und vermutete darin einen Planungsfehler.
Spannungsspitzen als Ursache
Allerdings hätten die verbliebenen neun Kraftwerke die Spannungsspitzen nicht ausreichend bewältigt. Jedes einzelne habe "zu einem gewissen Grad" die Spannung nicht wie erwartet abgefangen, so Aagesen, die auch Vizeregierungschefin ist. Konkret spielte sie auf Kern- und Wasserkraftwerke sowie Kombikraftwerke an.
Zudem hätte einige Energieunternehmen ihre Kraftwerke "auf unangemessene Weise" vom Netz getrennt, um diese Anlagen vor Schäden durch zu hohe Netzspannung zu schützen, erklärte die spanische Ministerin weiter. Welche Anlagen und Unternehmen genau betroffen waren, sagte sie nicht.
Die konventionelle Erzeugung in Spanien wird von vier Unternehmen dominiert: den spanischen Energiekonzernen Iberdrola, Endesa und Naturgy sowie dem portugiesischen Energieriesen EDP. Einige Unternehmen haben sich jedoch geweigert, relevante Informationen in dem Bericht zu veröffentlichen – viele Stellen des Berichts sind geschwärzt.
Aagesen stellte gleichzeitig klar, dass das System über ausreichende Erzeugungskapazitäten verfügt habe, um zu reagieren. In Spanien, wie auch in Deutschland, tobt eine Debatte um ausreichend konventionelle Kraftwerke im Stromsystem. Der parteilosen Politikerin zufolge fehlte es dem System vor allem an ausreichender Kapazität zur dynamischen Spannungsregelung. Hinzu komme individuelles Versagen auf mehrere Ebenen.
Laut der spanischen Regierung ist der vorgelegte Bericht nicht als finales Urteil zu verstehen und soll bislang auch keine personellen Konsequenzen nach sich ziehen. So war zuvor über Entlassungen beim Netzbetreiber REE spekuliert worden. Für einen Cyberangriff gebe es derweil nach wie vor keine Anhaltspunkte. Im Rahmen des Berichts seien jedoch potenzielle Schwachstellen festgestellt worden.
Netzbetreiber widerspricht Darstellungen
Derweil hat der Netzbetreiber REE den Darstellungen der Regierung widersprochen. REE-Präsidentin Beatriz Corredor wies in einer Pressekonferenz am Mittwoch die Verantwortung für den Blackout zurück. Nach Erkenntnissen des Netzbetreibers habe eine "Fehlfunktion" in einer Photovoltaik-Anlage in Badajoz, in der südspanischen Provinz Extremadura, den Stromausfall ausgelöst.
Die Anlage, die ans Übertragungsnetz angeschlossen ist, habe eine "erzwungene Frequenzschwankung" ausgelöst. Und zwar aufgrund einer "Fehlfunktion der internen Steuerung". In der Folge sei es zur Abschaltung zahlreicher kleiner Erzeugungsanlagen gekommen, woraufhin die Spannung im Netz angestiegen sei.
Bis zu diesem Punkt soll es jedoch keine Probleme mit der Spannungshaltung gegeben haben. Erst als mehr als 2000 Megawatt im Übertragungsnetz und eine große Menge in den Verteilungsnetzen abgeschaltet worden waren, sei es dem System nicht mehr möglich gewesen, das Spannungsniveau zu halten.
Laut dem Unternehmen, hätten sich mehrere schwerwiegende Vorfälle gehäuft, sodass das Netz auch unter dem N-1-Prinzip nicht zu schützen war. Unter "N-1" wird verstanden, dass das System auch beim Ausfall eines wichtigen Betriebsmittels stabil bleibt.
Gegenmaßnahmen gescheitert
Der Bericht der spanischen Regierung hält zudem fest, wie Gegenmaßnahmen des Netzbetreibers am 28. April scheiterten. So habe REE versucht, die Ausfälle auf bestimmte Regionen zu begrenzen, etwa durch das Abschalten von Pumpspeichern. Bis zu sechs Lastabwürfe habe das Unternehmen unternommen – alle waren erfolglos oder sogar kontraproduktiv.
Um 12:33 Uhr habe das System einen Kipppunkt erreicht. Der unkontrollierte und schrittweise Anstieg der Spannung löste eine Kettenreaktion von Kraftwerksabschaltungen aus, die nicht mehr aufzuhalten war. Jede Abschaltung führte zu einem weiteren Spannungsanstieg, sodass weitere Kraftwerke zur Sicherheit abgeschaltet werden mussten.
Frankreich beschloss schließlich, den Stromverbund zu kappen, um ein Überschwappen der hohen Spannung zu vermeiden. Die iberische Halbinsel wurde zu einer Energieinsel ohne Strom. Millionen Menschen waren teilweise über zehn Stunden lang ohne Strom. Die Ausläufer des Blackouts reichten bis nach Südfrankreich und sogar Marokko.
Rätselraten über Frequenzschwankungen
Unmittelbar nach dem Blackout war auch über Frequenzschwankungen als Ursache diskutiert worden. Vor dem massiven Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel hatte es im gesamten europäischen Netz deutliche Abweichungen von der üblichen Netzfrequenz von 50 Hertz gegeben. Solche Änderungen der Netzfrequenz treten dann auf, wenn Stromverbrauch und Stromerzeugung nicht ausgeglichen sind.
Spannungsschwankungen können demgegenüber vielfältige Ursache haben, etwa eine schwankende Einspeisung von Windkraft- und Solaranlagen oder auch Schalthandlungen des Netzbetreibers. Der Netzspezialist und Berater Michael Fette wies gegenüber der ZfK früh darauf hin, dass das Problem vermutlich im Spannungs-, beziehungsweise Blindleistungshaushalt des spanischen Netzes lag. In der Folge müssten vor allem Reglereinstellungen und Schutzeinrichtungen verbessert werden.
Wechselrichter im Fokus
Der Blackout- und Krisenvorsorgeexperte Herbert Saurugg kommentierte kürzlich auf Linkedin, dass sich die Spannungsinstabilität im europäischen Netz "schneller und leiser" als die Frequenzinstabilität entwickele. Insbesondere bei einem hohen Anteil von Solarenergie fehlten dem Netz möglicherweise die Mittel, um kleinere Störungen abzumildern. Kleine Störungen könnten so "schnell eskalieren und ein lokales Problem in ein systemweites Ereignis verwandeln".
Hintergrund ist, dass die meisten Solar- und Windanlagen sowie auch Batteriespeicher heute über sogenannte netzfolgende Wechselrichter verfügen. Diese können zwar Blindleistung austauschen, aber ohne die richtigen Reserven, Einstellungen oder Koordinierung bieten sie bei Störungen oft keine dynamische Spannungsunterstützung.
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Das Ergebnis: Steigende Spannungen lösen Schutzrelais aus und Anlagen schalten sich ab. Es kommt zu einem sogenannten Kaskaden-Effekt. Als Gegenmaßnahme gelten unter anderem netzbildende Wechselrichter sowie spezielle Anlagen, welche bei Spannungseinbrüchen unterstützen.
Dazu gehören etwa Synchronkondensatoren – auch Phasenschieber genannt – sowie synthetische Anlagen zur Blindleistungskompensation, etwa sogenannte Statcoms. Letztere verfügen über steuerbare Wechselrichter, mit denen sich Blindleistung erzeugen lässt.
Verbindung mit Frankreich
Unklar ist noch, ob der Blackout auch politische Konsequenzen haben wird. Die spanische Regierung hat drei Monate Zeit, um Brüssel über die Ursachen des Vorfalls, seine Auswirkungen und mögliche Verbesserungen zu informieren. Danach haben die EU-Behörden dann weitere drei Monate (bis Ende Oktober) Zeit, ihren noch ausführlicheren Bericht zu veröffentlichen.
Die spanische Vizeregierungschefin Aagesen und die portugiesische Energie- und Umweltministerin Maria de Graça Carvalho haben laut einem Bericht der spanischen Zeitung "El País" in den letzten Wochen sowohl Frankreich als auch die Europäische Kommission aufgefordert, den Ausbau der Stromverbundnetze zwischen der Iberischen Halbinsel und dem Rest des europäischen Kontinents zu beschleunigen, was Paris seit Jahren blockiert.
Tatsächlich sind die meisten Experten der Meinung, dass die Wahrscheinlichkeit eines Stromausfalls geringer gewesen wäre und die Stromversorgung viel schneller wiederhergestellt worden wäre, wenn es einen größeren Verbund gegeben hätte. Spanien und Portugal setzen vergleichsweise stark auf Wind und PV in der Stromerzeugung, währen in Frankreich rund zwei Drittel des Stroms in Kernkraftwerken erzeugt wird.
Regierung unter Druck
Die spanische Regierung steht wegen des Blackouts innenpolitisch unter Druck. Kritiker werfen ihr vor, einseitig auf Erneuerbare zu setzen und die Versorgungssicherheit zu vernachlässigen. So plant Spanien etwa, seine Atomkraftwerke schrittweise bis 2035 vom Netz zu nehmen. Die rechtspopulistische Vox-Partei hingegen wirbt für den Bau neuer AKWs.
Pikant: Der spanische Staat ist mit 20 Prozent am Netzbetreibers REE beteiligt. Bereits im Jahr 2023 hatten der Netzbetreiber und die Nationale Kommission für Märkte und Wettbewerb (CNMC) in einem Gutachten vor Überspannungen im spanischen Netz gewarnt und ein Risiko für Stromausfälle gesehen. Kritiker werfen der Regierung vor, auf diese Warnungen nicht ausreichend reagiert zu haben.
Ministerin Aagesen kündigte nun an, dass die spanische Regierung in der kommenden Woche per Dekret ein Gesetz verabschieden will, das eine bessere Überwachung des Stromsystems sicherstellt, damit sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt.
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