"Wie viel Transparenz über ESG-Risiken muss die Kommunalwirtschaft künftig herstellen?"

Einen Paradigmenwechsel beim Thema Nachhaltigkeit können aufgrund der jüngsten Vorschläge aus Brüssel weder der Lösungsanbieter BTC noch Lufthansa Industry Solutions erkennen.
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Von Hans-Peter Hoeren
Die Vorschläge der EU-Kommission zur Lockerung der Direktive zur Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD haben die Branche überrascht. Sollten die Pläne umgesetzt werden, wären nur 20 Prozent der ursprünglich ab 2026 berichtspflichtigen Unternehmen zur Umsetzung verpflichtet. Auch für die Anbieter von Reportinglösungen und Beratungsunternehmen hat sich die Situation damit grundlegend verändert. Die aktuellen Veränderungen und welche Handlungsoptionen kommunale Unternehmen jetzt haben, das ist auch ein Fokusthema bei der diejsährigen ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz am 17. Juni in Berlin. Auch in diesem Jahr werden dort zahlreiche Facetten des Themas praxisnah in vertiefenden Workshops erörtert. Zum Programm und zur Anmeldung geht es hier.
Wie groß die Planungsunsicherheit bei den betroffenen Stadtwerken jetzt ausfalle, hänge stark vom Geschäftsmodell ab, sagt Charlotte Beck, Sustainability Consultant bei Lufthansa Industry Solutions. Es zeichneten sich zwei Lager ab: Unternehmen, die Nachhaltigkeit nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich in ihrer DNA verankert haben, seien von der Omnibus-Verordnung weniger betroffen.
Diese Unternehmen berichteten heute nach den Berichtsstandards DNK oder GRI, morgen vielleicht nach dem freiwilligen KMU-Standard der EU (VSME) – für sie sei die Berichterstattung letztlich nur eine Auflistung ihrer Maßnahmen und Aktivitäten. "Welchen Standard sie dabei nutzen, ändert nichts an ihrer grundsätzlichen Strategie. Für sie ist das Reporting der letzte, nicht der erste Schritt in ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten. Daher blicken sie gelassen auf die regulatorische Unsicherheit", so Beck weiter.
"Dem Klimawandel ist – salopp gesagt – egal,
ob man über ihn berichtet oder nicht."
Anders sehe es bei Unternehmen aus, die erst durch den regulatorischen Druck aktiv geworden seien. "Erst die CSRD hat sie dazu veranlasst, sich mit ESG-Strategien, CO2-Bilanzierungen oder Lieferkettenrisiken auseinanderzusetzen. Viele dieser compliance-getriebenen Unternehmen leiten nun massive organisatorische Rollbacks ein, da sie Nachhaltigkeit respektive die Berichterstattung darüber als Wettbewerbsnachteil sehen", berichtet die Beraterin. Dies sei ein fataler Fehler.
Beim Lösungsanbieter sieht man die jüngsten Entwicklungen dank einer breit diversifizierten Aufstellung und entsprechendem Portfolio gelassen. "In Krisenzeiten gehen Unternehmen mit resilientem Geschäftsmodell als Gewinner hervor. Für Lösungsanbieter bedeutet das: Berichterstattung sollte nur eines von vielen Modulen im Angebot sein", verdeutlicht Beck.
Dem Klimawandel sei es – salopp gesagt – egal, ob man über ihn berichte oder nicht. "Es geht darum, durch Risikomanagement dem Management aufzuzeigen, ob das bestehende Geschäftsmodell auch in 50 Jahren noch Bestand hat". Module wie Klimaszenario- und Vulnerabilitätsanalysen würden Entscheider:innen helfen, die Auswirkungen einer 2- oder 3-Grad-Erwärmung auf ihr Unternehmen einzuschätzen.
"Unabhängig von regulatorischen Entwicklungen nehmen
die Erwartungen von Investoren, Kunden und Stakeholdern stetig zu."
Bei der EWE-Tochter BTC nimmt man seit Veröffentlichung des Omnibus-Entwurfs eine deutliche Dynamik im Kundenumfeld wahr. Seitdem sehe man sich mit vielen Fragen zum weiteren Prozess konfrontiert, heißt es weiter. "Aktuell besteht die Hauptaufgabe darin, gemeinsam mit aktuell berichtspflichtigen Unternehmen die Situation individuell einzuordnen", schreibt das Unternehmen. Dabei sei es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Veröffentlichungen der EU um einen Vorschlag handle. Diese Vorschläge seien erfahrungsgemäß als Verhandlungslinien zu verstehen, sodass die endgültigen Anforderungen wahrscheinlich von den jetzigen Formulierungen abweichen werden.
Zudem definiere man aktuell gemeinsam mit den Kunden sogenannte "No-Regret-Maßnahmen", die weiterhin umgesetzt werden sollten (genau zu diesem wird bei der ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz am 17. Juni einen eigenen Workshop geben). Denn trotz der Unsicherheit bezüglich des finalen Omnibus-Regelwerks stehe fest: "Das Thema Dekarbonisierung behält seine zentrale Bedeutung für Unternehmen. Unabhängig von regulatorischen Entwicklungen nehmen die Erwartungen von Investoren, Kunden und anderen Stakeholdern kontinuierlich zu."
Daher würden insbesondere Themen wie Treibhausgasbilanzierung, Transformationskonzepte, Klimarisikoanalysen oder beispielsweise Anforderungen des ESRS E1 kundenseitig fortgesetzt.
"Notwendige Transparenz und Daten erarbeiten"
Auch BTC verweist auf sein breites Portfolio und sieht sich gut gewappnet für eine mögliche Schwerpunktlegung auf die freiwillige Berichterstattung. "Die notwendigen fachlichen Kompetenzen in der Auslegung der möglichen Standards und Übersetzung in technische Anforderungen für die Abbildung eines ESG-Reportings in den IT-Systemen ändern sich für uns als Lösungsanbieter nur bedingt." Zumal man Kunden oftmals mit einem Coaching-Ansatz begleite, der auch für die Umsetzung des freiwilligen Standards relevant bleibe und den ESG-Verantwortlichen das notwendige Sparring für die erstmalige Erstellung des Berichts biete.
Auch bleibe das Thema der Dekarbonisierung eine zentrale Herausforderung für Unternehmen und eine wichtige Anforderung der Gesetzgeber und Stakeholder. Hier gelte es zunächst, die notwendige Transparenz und Daten zu erarbeiten, um anschließend strategische Maßnahmen und Szenarien zu formulieren, wie der Weg zur Klimaneutralität von Kommune und Versorger gelingen könne.
Die Finanzierung und Kommunikation von Wärmeplanung, Entwicklung der Netze und Ausbau Erneuerbarer nähmen die Versorgungswirtschaft auch die nächsten Jahren voll in Anspruch. Der Bedarf, strategische und kostenintensive Entscheidungen auf eine gute Datenbasis zu stellen und Handlungsalternativen auszuloten, werde unabhängig von den aktuellen Diskussionen in Brüssel bestehen bleiben.
Große Unterschiede bei Umsetzung bisher geltender CSRD-Anforderungen
Viele Stadtwerke hätten das Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung bereits mit dem Aufbau einer eigenen Abteilung und Schaffung neuer Stellen gewürdigt oder es mit "Management-Attention" versehen und Stabsstellen oder neue Stellen in geschäftsführungsnahen Bereichen, wie der strategischen Unternehmensentwicklung oder dem Controlling, geschaffen.
Bezüglich der Umsetzung der Nachhaltigkeitsberichtsanforderungen sieht man bei BTC allerdings noch eine große Varianz. "Während viele Kunden aktuell mit der Wesentlichkeitsanalyse noch am Beginn des Prozesses stehen, haben wir auch Kunden begleiten dürfen, die bereits alle Anforderungen im vergangenen Jahr umgesetzt haben und schon jetzt "Reporting-Ready" sind." Diese werden aller Voraussicht nach Ihren Bericht für das Geschäftsjahr 2025 unbeirrt nach den Berichtsstandard ESRS erstellen, da die notwendigen Prozesse und IT-Lösungen bereits implementiert seien.
"Wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeitsdaten wird nur verlangsamt"
Einen Paradigmenwechsel beim Thema Nachhaltigkeit können aufgrund der jüngsten Vorschläge aus Brüssel aber weder BTC noch Lufthansa Industry Solutions erkennen.
Die Umsetzung der Dekarbonisierung mit dem Mechanismus "Sustainable Finance" (wie es die EU-Kommission nennt) gehöre nach wie vor zum Arbeitsprogramm von EU-Kommission, Parlament und europäischem Rat. "Auf der Ebene können wir keinen Paradigmenwechsel erkennen. Die Frage ist also keine des "ob", sondern des "wie", betont man bei BTC. Nämlich: Wieviel Transparenz über ESG-Risiken und -Chancen braucht die Finanzwirtschaft aus der Realwirtschaft, um die Transformation im Sinne der industriellen Dekarbonisierung voranzutreiben?
Lediglich eine Atempause in einem ohnehin klaren Trend, sieht Charlotte Beck von Lufthansa Industry Solutions. Die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeitsdaten werde durch die Brüsseler Pläne nicht gestoppt, sondern allenfalls verlangsamt.
"Generell ist die Entbürokratisierung der CSRD positiv zu werten – die Einschränkung des Anwenderkreises geht jedoch in die falsche Richtung. Zwar gewinnen Unternehmen kurzfristig mehr Flexibilität, doch der langfristige Druck, fundierte und transparente Nachhaltigkeitsberichte zu liefern, bleibt bestehen", ist sich die Beraterin sicher. Letztlich sei es nicht die Frage, ob sich Nachhaltigkeitsdaten als fester Bestandteil der Unternehmenssteuerung etablieren, sondern wie schnell. "Wer Nachhaltigkeit strategisch nutzt, kann sie in einen Wettbewerbsvorteil verwandeln".
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Sowohl Lufthansa Industry Solutions als auch BTC Business Technology Consulting (gemeinsam mit Limón unter der Dachmarke Sucona) bieten bei der diesjährigen ZfK-Nachhaltigkeitskonferenz wieder vertiefende Workshops in Kleingruppen zu Themen rund um Omnibus-Verfahren, Nachhhaltigkeitsreporting an. Mehr dazu finden Sie im Programm der Tagung.
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