Nach 20 Jahren Stillstand: Gericht erzwingt Nitrat-Strategie

Aus Sicht der Wasserwirtschaft ist das Urteil ein klares Signal für den Gewässerschutz in ganz Deutschland.
Bild: © Jens Büttner/dpa
Von Elwine Happ-Frank
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am Mittwoch eine weitreichende Entscheidung im Streit um den Gewässerschutz getroffen (Az.: BVerwG 10 C 1.25). Das Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, ein nationales Aktionsprogramm zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen zu erstellen, das den Vorschriften der Düngeverordnung zugrunde zu legen ist.
Es gab damit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) recht, die für die Erarbeitung dieses Aktionsprogramms geklagt hatte. Die Umweltvereinigung bezeichnete das Urteil als "Riesenerfolg".
Düngegesetz verlangt Aktionsprogramm seit 2017
Das Düngegesetz verpflichte den Bund schon seit 2017, ein solches Programm zu entwerfen, urteilte der 10. Senat. In einem zweiten Schritt müsse dieses dann in anstehende Änderungen der Düngeverordnung einbezogen werden. Diese gesetzlich vorgeschriebene Dualität – erst Aktionsprogramm, dann Düngeverordnung – habe das Bundeslandwirtschaftsministerium bislang nicht umgesetzt.
"Es besteht zwar die Düngeverordnung", sagte die Vorsitzende Richterin Susanne Rublack. "Ein der Düngeverordnung vorgelagertes Aktionsprogramm ist dagegen noch niemals erstellt worden."
Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe, die eine Änderung des düngungsbezogenen Teils des nationalen Aktionsprogrammes forderte. Ziel ist es, den Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter an allen Grundwassermessstellen sowie bestimmte Werte an Messstellen von Oberflächengewässern einzuhalten.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte die Klage Anfang 2024 noch abgewiesen. Die Begründung: Die DUH sei nach den Bestimmungen des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes mit ihrem gesamten Vorbringen ausgeschlossen, weil ihre Einwendungen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zur Düngeverordnung lückenhaft und nicht hinreichend substantiiert gewesen seien.
In der Revisionsverhandlung äußerte der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts jedoch deutliche Zweifel an dieser Annahme. Der Umweltverband habe rechtzeitig und deutlich erklärt, dass der Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat je Liter im Grundwasser an allen Messstationen umgehend einzuhalten sei.
Klare Vorgaben zur Nitratreduktion
Das Bundesverwaltungsgericht urteilte nun zugunsten der DUH. Die Bundesrichter gaben dem Bundeslandwirtschaftsministerium auf, bei der Erstellung des Aktionsprogramms die Rechtsauffassung des Senats zu beachten: Das zu erstellende Aktionsprogramm müsse "insbesondere geeignet sein, den Nitrat-Eintrag aus der Landwirtschaft derart zu reduzieren, dass das Grundwasser nicht mehr als 50 Milligramm Nitrat pro Liter enthält", sagte Richterin Rublack.
Dieser Grenzwert wird in Deutschland vielfach überschritten. Laut Umweltbundesamt wurde im Zeitraum 2020 bis 2022 die 50-Milligramm-Grenze an rund 26 Prozent der Messestellen im Einzugsgebiet mit überwiegend landwirtschaftlicher Nutzung überschritten.
"Historischer Erfolg"
Der Bundesgeschäftsführer der DUH, Sascha Müller-Kraenner, bezeichnete das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts als "historischen Erfolg für sauberes Wasser". Er erwarte, dass die Umwelthilfe an der Erstellung des nationalen Aktionsprogramms beteiligt werde.
Karsten Specht, Vizepräsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), der mehr als 90 Prozent der Wasserversorger vertritt, begrüßt die Entscheidung: "Das Urteil ist ein klares Signal für den Gewässerschutz in ganz Deutschland. Ein Nitrat-Aktionsprogramm würde klären, mit welchen Maßnahmen die Nitratwerte im Grundwasser so gesenkt werden können, dass der Schutz unseres Grundwassers signifikant verbessert und die Grenzwerte der EU-Nitratrichtlinie eingehalten werden können."
Auch Martin Weyand, BDEW-Hauptgeschäftsführer Wasser/Abwasser, unterstreicht die Bedeutung der Entscheidung: "Das Urteil bestätigt, wie wichtig verbindliche und nachhaltige Maßnahmen zur Verringerung der Nitratbelastung sind. Dazu gehört auch eine konsequente Bilanzierung von Nährstoffeinträgen und -austrägen in den Betrieben im Sinne einer transparenten Stoffstrombilanz." Nur mit nachhaltigen, überprüfbaren Maßnahmen lasse sich der Grundwasserschutz dauerhaft sichern und kostenintensive technische Aufbereitungsverfahren können vermieden werden, wenn der Eintrag von Nitraten in die Gewässer von vornherein reduziert wird.
Versäumnisse in der Vergangenheit
Die DUH geht davon aus, dass Deutschland seinen Verpflichtungen aus der EU-Nitratrichtlinie nicht nachgekommen ist. Auch VKU-Vize Specht kritisiert die Versäumnisse der Vergangenheit deutlich: "Seit über 20 Jahren wird die Nitratrichtlinie unzureichend umgesetzt – eine traurige neverending Story: Es ist an der Zeit, endlich konsequent zu handeln. Grundwasser ist unsere wichtigste Trinkwasserressource – gerade im Klimawandel dürfen wir es nicht weiter gefährden."
Die aktuelle Entscheidung ist bereits die zweite des Bundesverwaltungsgerichts zur Nitratbelastung der Gewässer in diesem Jahr. Im März hatte das Leipziger Gericht entschieden, dass die Bundesländer Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bessere Maßnahmen gegen die Nitratbelastung an der Ems ergreifen müssen. Das bisherige Schutzprogramm reiche nicht aus. Auch dieses Verfahren war von der Deutschen Umwelthilfe in Gang gesetzt worden. (mit dpa)
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