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Die optimale Variante für den Netzausbau

Engineering-Spezialist IAV hat eine Lösung entwickelt, mit der sich unter tausend Netzvarianten im Mittelspannungsnetz die beste herausfiltern lässt – nicht nur aus Kostensicht, sondern auch, ob sie elektrotechnisch zulässig ist. Als Vorbild dient ein Insekt.
06.12.2020

Brownfield-Optimierung: Bei diesem Ansatz wird das bestehende Netz in der Planung mitberücksichtigt. Der Kartenausschnitt im oberen Bild zeigt das Netz in einer noch sehr ungünstigen Iteration. Hier »probiert« das Programm noch sehr viele Varianten durch, sprich es werden Bestandsleitungen (schwarz) entfernt (orange) oder hinzugefügt (blau).

 

Die dargestellte Iteration ist die 90. von insgesamt 600 zu absolvierenden Durchläufen. Entsprechend hoch sind die Kosten für dieses Netz. Der Kostengraph (Bild im Artikel) zeigt für die 90ste Iteration Gesamtkosten an, die höher liegen, als die Kosten des Bestandsnetzes (dargestellt in rot).

 

Spätere Iterationen – etwa ab der 160sten – unterschreiten nach Angaben von IAV schließlich die Gesamtkosten des Bestandsnetzes. Die grüne Linie stellt jeweils das aktuell kostengünstigste Netz dar. Da es sich um eine Heuristik handelt, können spätere Lösungen wieder teurer sein, als eine bereits zuvor gefundene Lösung. Durch den Lerneffekt stelle sich aber über eine ausreichend hohe Anzahl von Iterationen der generelle kostensenkende Effekt ein, so IAV.

 

Der Berliner Engineering-Fachmann IAV hat mit „IAV Optera“ eine selbstlernende Software entwickelt, mit der Verteilnetzbetreiber ihre strategische Zielnetzplanung automatisieren und unterschiedliche Erweiterungsszenarien vergleichen können.

„Stromnetzbetreiber standen bislang schon vor der komplexen Aufgabe, ein leistungsfähiges und trotzdem bezahlbares Stromnetz zu bauen und zu betreiben. Mit der Energiewende wird dies ungleich anspruchsvoller: fluktuierende Erzeuger sowie neuartige Verbraucher treiben die Netze zunehmend an ihre Grenzen", sagt Michael Schollmeyer, verantwortlich für das Thema Smart Grid bei IAV.

Um bis zu 20 Prozent weniger Investitionskosten

Verteilnetzbetreiber können mit dem Tool etwa untersuchen, bei welcher Durchdringungsrate von E-Fahrzeugen es zu Problemen bei den Spannungsgrenzwerten kommt. IAV Optera könne hier Gegenmaßnahmen für akute Probleme vorschlagen. Gleichfalls könne ein Stromnetz im Rahmen einer zyklischen Planung strategisch auf künftige Anforderungen fit gemacht werden. Auch bekomme der Verteilnetzbetreiber ein besseres Verständnis für eventuelle Problemzonen im Netz. In Tests habe IAV Optera die Investitionskosten für Bestandsnetzen um bis zu 20 Prozent gesenkt, so Schollmeyer.

Herzstück von IAV Optera ist eine optimierte Variation des Ameisenalgorithmus, der bei logistischen Verteilungsaufgaben häufig verwendet wird. Vorbild sind Ameisen auf Nahrungssuche, die eine möglichst kurze Verbindung zwischen ihrem Bau und einer Nahrungsquelle wählen. Für die Lösung haben Software-Ingenieure den Algorithmus erweitert, um der Komplexität von Stromverteilnetzen gerecht zu werden.

Was die Lösung kann

Mit dem Tool lasse sich sowohl ein neues Netz planen als auch die bestehende Infrastruktur optimieren, so das Unternehmen, das alle namhaften Autohersteller und Zulieferer zu seinen Kunden zählt. Nun wolle man über diese Branche hinausgehen, sagt Michael Schollmeyer, verantwortlich für das Thema Smart Grid bei IAV. Seit 2019 kooperiert das Unternehmen mit verschiedenen Netzbetreibern.

Netzplaner können ihm zufolge alle wichtigen Planungskriterien mit wenigen Klicks anpassen, den Rest erledige die Software. Sie führe Lastfluss- und Kurzschlussberechnungen durch, prüft Fehlerfälle und finde geeignete Trennstellen im Netz. Zusätzlich ermittele das Programm geeignete Trassenverläufe für neue Erdkabel und optimiert die Positionen der Kabelverzweigungen.

Die beste Lösung unter allen vielen finden

Stoße ein Netzplaner mit IAV Optera die Planung eines neuen oder die Optimierung eines bestehenden Verteilernetzes an, errechnet der Algorithmus passende Varianten und schlägt sie auf einer grafischen Oberfläche vor. Der Netzplaner kann die Varianten vergleichen, manuell Änderungen vornehmen und so mithilfe der Software eine optimale Netzstruktur entwerfen.  

„Unter tausenden Netzvarianten die beste herauszufiltern ist eine typische Optimierungsaufgabe für komplexe Fragestellungen mit vielen Parametern, wie wir sie im Automotive-Engineering an vielen Stellen lösen müssen. Dieses Know-how haben wir nun in IAV Optera gepackt und ermöglichen es den Netzbetreibern damit, die zunehmende planerische Komplexität beherrschbar zu halten“, so Schollmeyer.

Kooperationspartner LEW Verteilnetz

Seit 2019 kooperierte IAV bei der Finalisierung von Optera mit verschiedenen Netzbetreibern, darunter auch Lechwerke Verteilnetz in Augsburg. Die Partner erhielten über eine Demoversion Zugang zur Software und testeten diese im Regelbetrieb. Dank des unmittelbaren Feedbacks zu Features und Performance habe man die Software gezielt auf Kundenbedürfnisse optimieren können. Die nun fertig entwickelte Software biete IAV Stromnetzbetreibern als Software as a Service (SaaS) über einen sicheren Cloud-Zugang an.

Stephan Fettke, Netzplaner bei LEW Verteilnetz GmbH (LVN), lobt das Tool: „Die Software IAV Optera bietet durch die Automatisierung von Arbeitsschritten und die hohe Flexibilität bei der Parametrierung ein großes Potential für eine effiziente und realistische Zielnetzplanung auf Basis von topographischen Grundkarten. Unsere bisherige Erprobung der Software zeigt, dass die Software ein sehr hilfreiches Werkzeug bei der Bewältigung unserer heutigen Planungsaufgaben ist. Gleichzeitig rüsten wir uns durch die Erprobung von IAV Optera zur Bewältigung von steigenden Anforderung aus dem Zubau von erneuerbaren Energien und der Elektromobilität.“

Der Netzbetreiber aus Augsburg will die Lösung auch weiterhin verwenden – vor allem in der zyklischen Neuplanung für die Netzbereiche. (sg) Bildquelle: © IAV


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