Entsorgung

Praxisfolgen des Urteils zur Tübinger Verpackungssteuer

Die Entscheidung hat viele Experten überrascht: Die Tübinger Verpackungssteuer ist im Wesentlichen rechtmäßig, so das Bundesverwaltungsgericht. Wie das Urteil einzuordnen ist und was daraus für die Kommunen folgt, erläutert Rechtsanwalt Alexander Häcker in einem Gastbeitrag.
02.06.2023

Die Klage der Pächterin einer McDonald’s Filiale in Tübingen hat den Rechtsstreit um die Verpackungssteuer ausgelöst.

 

 

In Tübingen gilt aufgrund einer städtischen Satzung seit Januar 2022 eine Steuer auf Einwegverpackungen. Die Stadt möchte damit einen Anreiz für die Verwendung von Mehrwegverpackungen setzen und gleichzeitig all diejenigen Betriebe, die Einwegverpackungen anbieten, mittelbar an den Entsorgungskosten beteiligen.

Besteuert werden Einwegverpackungen, -geschirr und -besteck, „sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares Take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden“. Auf jede Einwegverpackung fallen 0,50 Euro und auf jedes Einwegbesteckset 0,20 Euro Steuer an, pro „Einzelmahlzeit“ allerdings maximal 1,50 Euro.

  • Alexander Häcker ist Rechtsanwalt mit Spezialisierung auf das Umwelt- und Kreislaufwirtschaftsrecht bei der Kanzlei Menold Bezler in Stuttgart.

     

Die Gründe für die Entscheidung der Vorinstanz
 
Die örtliche McDonalds-Filiale ging gegen die Satzung der Stadt Tübingen mit einem Normenkontrollantrag vor. Vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hatte sie Erfolg. Der VGH erklärte die Satzung insgesamt für unwirksam und führte dafür im Wesentlichen drei Gründe an.

Der Steuer fehle erstens der örtliche Bezug (sprich Tübingen habe für die Steuer gar nicht die nach dem Grundgesetz erforderliche Kompetenz), die Steuer sei zweitens unvereinbar mit dem Bundesabfallrecht und drittens lasse sich die Obergrenze der Besteuerung nicht vollziehen.

Bedeutung der „örtlichen“ Verbrauchssteuer
 
Gegen die Entscheidung des VGH zog die Stadt Tübingen mit der Revision vor das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Aus Leipzig kam die durchaus überraschende Korrektur: Die kommunale Steuer sei überwiegend rechtmäßig.

Anders als der VGH bestätigte das BVerwG, dass es sich bei der Verpackungssteuer um eine örtliche Verbrauchssteuer handelt. Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes dürfen die Bundesländer einschließlich der Städte und Gemeinden (nur) dann Steuern einführen, wenn dies an örtliche Begebenheiten anknüpft.

Abfallvermeidung gewinnt an Bedeutung

Für diesen örtlichen Charakter der Tübinger Verpackungssteuer genügt aus Sicht des BVerwG, dass die Speisen und Getränke unmittelbar an Ort und Stelle oder als „take-away“ verzehrt würden, typischerweise also innerhalb des Gemeindegebiets. Der VGH hatte einen deutlich strengeren Maßstab angelegt, weil verpackte Speisen potenziell über größere Strecken transportiert werden könnten, sodass es am Ortsbezug fehle.
 
Dem Abfall- und Verpackungsrecht des Bundes widerspricht die Steuer aus Sicht des BVerwG nicht. Denn ihr Zweck – die Vermeidung von Verpackungsabfall im Stadtgebiet – verfolge kein gegenläufiges, sondern dasselbe Ziel wie der europäische und der Bundesgesetzgeber. In der Abfallhierarchie nach der EU-Verpackungsrichtlinie, der EU-Einwegkunststoffrichtlinie, dem Kreislaufwirtschaftsgesetz und dem Verpackungsgesetz stehe die Abfallvermeidung an oberster Stelle. Kommunale Steuern, die Einwegverpackungen verteuern, würden, so das BVerwG, durch die europa- und bundesrechtlichen Vorgaben zum Abfallrecht nicht ausgeschlossen.

Obergrenze der Besteuerung ist umstritten
 
Lediglich im dritten Punkt hatte auch das BVerwG Bedenken. Die Obergrenze der Besteuerung von 1,50 Euro pro „Einzelmahlzeit“ sei zu unbestimmt und auch das in der Satzung unbefristete Betretungsrecht der Stadtverwaltung im Rahmen der Steueraufsicht rechtswidrig. Diese punktuellen Rechtsverstöße änderten aber für das Gericht nichts daran, dass die Satzung im Übrigen rechtmäßig ist.
 
Bemerkenswert ist, dass das BVerwG im Hinblick auf das Ziel der Abfallvermeidung einen sehr modernen und zielorientierten Maßstab anlegt. Die Entscheidung des VGH war durchaus nachvollziehbar, weil das Bundesverfassungsgericht in älteren Entscheidungen sowohl den steuerlichen Ortsbezug als auch den abfallrechtlichen Spielraum deutlich strenger bewertet hatte. Das BVerwG stellt nun allerdings klar, dass sich das abfall- und verpackungsrechtliche Regelungssystem seitdem geändert hat.

„Freibrief“ für andere Kommunen?
 
Auch im Übrigen ist die sehr praxisnahe Sichtweise des BVerwG zu begrüßen. Dass auch Speisen, die zum Mitnehmen verpackt werden, in aller Regel ortsnah gegessen werden, liegt auf der Hand. Dies hatte auch der VGH eingeräumt. Die bloße Möglichkeit, dass Verpackungen erst außerhalb des Gemeindegebiets entsorgt werden, kann den Ortsbezug nicht entfallen lassen.
 
Der VGH hatte in diesem Zusammenhang befürchtet, dass eine weite Auslegung, wie sie das BVerwG nun vorgenommen hat, „das Tor zur Einführung aller möglichen Verbrauch- und Verkehrssteuern durch die Gemeinden“ öffnen würde. In der Tat stellt sich die Frage, ob das Urteil des BVerwG als „Freibrief“ für sämtliche Kommunen verstanden werden kann.

Offene Fragen

Im Einzelnen sind dazu die schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten. Denkbar wäre, dass bestimmte „örtliche Begebenheiten“, etwa ein gewisses Verpackungsaufkommen, vorliegen müssen, die eine Einführung der Verpackungssteuer rechtfertigen.
 
Auch wenn das BVerwG die Einführung einer örtlichen Verpackungssteuer grundsätzlich abgesegnet hat, stellen sich in der Praxis Herausforderungen bei der Umsetzung. Dies zeigt sich vor allem auch daran, dass dem Gericht die Bezugnahme auf eine „Einzelmahlzeit“ zu unbestimmt ist.

Herausforderungen für die Kommunen

Wenn Kommunen dem Tübinger Beispiel folgen wollen, sollten sie daher zunächst entscheiden, welche Konstellationen und Verpackungsarten sie besteuern möchten. Anschließend bedarf es passender Formulierungen, die – wie nicht nur im Abgabenrecht erforderlich – dem Bestimmtheitsgebot genügen. (hp)
 
BVerwG 9 CN 1.22 - Urteil vom 24. Mai 2023
VGH Baden-Württemberg 2 S 3814/20 - Urteil vom 29. März 2022