Karriere

Deutschlands erschöpfte Führungskräfte

In einer Studie gaben 61,6 Prozent in den Chefetagen an, erschöpft zu sein – Frauen sowie Jüngere am meisten. Doch es gibt eine Lösung – die aber vor allem die Betroffenen ablehnen.
26.02.2024

Müde Manager sind nach Meinung von Experten auch das Resultat veralteter Vorstellungen von Führung.

Fast zwei von drei Führungskräften in Deutschlands Unternehmen scheinen am Limit zu sein: so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der Beratungsagentur Auctority in Zusammenarbeit mit Civey unter 1000 Personen in Führungspositionen.

Demgegenüber sahen sich nur 30,3 Prozent als "weniger erschöpft", 8,1 Prozent antworteten mit "unentschieden". Frauen in Führungspositionen sind mit rund 65 Prozent etwas stärker betroffen als Männer (60 Prozent). Besonders groß ist die Erschöpfung mit 72 Prozent in der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen.

Die Zusatzbelastung der Chefs macht sich bemerkbar

Im Vergleich zu einer vorhergehenden Studie zeigt sich, dass Führungskräfte sogar deutlich stärker erschöpft sind als der Durchschnitt aller Beschäftigten mit 52,8 Prozent. Eine Lösung könnte in einer stärkeren Arbeitsteilung der Führungskräfte liegen, das sieht auch die Mehrheit so: 61 Prozent der Befragten steht Modellen mit einer geteilten Führung offen gegenüber.

„Führungskräfte haben denselben Stress wie alle anderen auch, dazu kommt aber eine Zusatzbelastung durch ständig zunehmende Aufgaben, Erwartungen und Verantwortung“, so Randolf Jessl, Geschäftsführer von Auctority und Mitautor der Studie. „Eine naheliegende, aber viel zu selten überhaupt ins Auge gefasste Lösung ist es, diese Führungsverantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen“, so Jessl.

Geteilte Führung spart personelle Ressourcen

Aber wie bereit sind Führungskräfte, Verantwortung zu teilen? Auch das wurde in der Studie abgefragt. Dabei zeigte sich eine Mehrheit von 61,3 Prozent grundsätzlich offen für geteilte Führung, nur ein gutes Viertel lehnten dies ab. Bemerkenswerterweise steht gerade die am stärksten belastete Altersgruppe der 30- bis 39-jährigen Führungskräfte mit 40,5 Prozent der geteilten Führung besonders ablehnend gegenüber und auch Frauen sind mit 29 Prozent skeptischer als Männer mit 26 Prozent.

Dabei sieht Thomas Wilhelm, Professor der SDI Hochschule München und Mitautor der Studie, in der geteilten Führung einen idealen Ansatz, um mehrere Ziele unter einen Hut zu bringen. „Wer Führung teilt, entlastet nicht nur sich selbst, sondern fördert auch die Einsatzbereitschaft und die Entwicklungsmöglichkeiten im Team. Umgekehrt gilt: Die erschöpfte Führungskraft verschleißt und erschöpft auch ihr Team.“

Größte Zustimmung für Collective Leadership

Spannend ist die Frage, welche Form geteilter Führung sich die Chefs vorstellen können. So wären 50,6 Prozent bereit, einen Teil der Aufgaben in ihr Team zu übertragen (Collective Leadership). Immerhin 48,5 Prozent wären mit einem gleichberechtigten Tandem zweier Führungskräfte einverstanden, das sogenannte Co-Leadership.

Die komplette Selbstorganisation im Team kommt hingegen auf eine deutlich geringere Anzahl an Befürwortern, nur für 22,4 Prozent ist dies eine Lösung. Besonders die weiblichen Führungskräfte haben hier Zweifel: Nur 12,3 Prozent sehen darin eine Möglichkeit, sich sinnvoll zu entlasten, bei den Männern sind es mit 27,5 Prozent wesentlich mehr. 

Die Jüngeren sind bereit, neue Wege zu gehen

Warum fällt es der Mehrheit so schwer, Führung zu teilen? „Wer Hürden überwunden und endlich eine Führungsposition erreicht hat, sieht es wahrscheinlich als Verlust, diesen Status durch Teilen zu gefährden“, deutet Berater Jessl das Ergebnis.

Eine Sonderrolle nehmen junge Führungskräfte unter 30 ein. Die Tandem-Rolle ist für sie überhaupt nicht vorstellbar, hingegen ist die Übertragung von Führungsaufgaben bei 59,7 Prozent populär, und 62,7 Prozent können sich sogar die Selbstorganisation vorstellen.

Einzelkämpfer sollten bald der Vergangenheit angehören

Die Erschöpfung von Führungskräften sei auch das Resultat veralteter Vorstellungen von Führung und Organisation, ist Jessl überzeugt. „Die Führungskraft der Vergangenheit sah sich mit der überbordenden Erwartung konfrontiert, alles zu wissen und zu können. Das war schon immer falsch.“

Eine klare Vision hat hier Wilhelm: „In Zukunft wird Führung nicht mehr so stark als One-Man-Show verstanden werden, sondern als Gemeinschaftsleistung, bei der jeder gefordert ist und zu der jede beiträgt. Das wird zur Entlastung formaler Führungskräfte führen und Entwicklungs- und Reifungschancen für Mitarbeitende und Teams eröffnen.“ (bs)