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EuGH bestätigt Kommunalprivileg

Der EuGH hat im Juni endlich Rechtssicherheit geschaffen: Die Personalgestellung im Öffentlichen Tarifrecht ist privilegiert und unterfällt nicht dem Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie. Gastbeitrag von Nicole Elert und Arne Ferbeck von PwC.
18.08.2023

Wenn eine Kommune einen Aufgabenbereich auf eine privatrechtlich organisierte Tochtergesellschaft überträgt, dann geht auch das Beschäftigungsverhältnis eines Arbeitnehmers auf die Tochter über.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 22. Juni 2023 das sogenannte „Kommunalprivileg“ nach § 4 Abs. 3 TVöD bei der dauerhaften Personalgestellung bestätigt. Eines Rückgriffes auf § 1 Abs. 3 Ziff. 2b Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) bedarf es nicht.

Der Sachverhalt

Mit seiner Vorlage vom 16. Juni 2021 hatte das Bundesarbeitsgerichts (BAG) dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Personalgestellung in Konstellationen des § 4 Abs. 3 TVöD als Arbeitnehmerüberlassungen im Sinne der Richtlinie zu bewerten ist. Für den Fall der Bestätigung dieser ersten Frage wollte das BAG wissen, ob die Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) eine Bereichsausnahme für die Personalgestellung des öffentlichen Dienstes zulasse.

  • Nicole Elert, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, Partnerin der PricewaterhouseCoopers GmbH WPG

Im zur Entscheidung anstehenden Fall wurde der Aufgabenbereich, in dem der Arbeitnehmer bei seinem öffentlichen Arbeitgeber tätig war, auf eine privatrechtlich organisierte Tochtergesellschaft des Arbeitgebers übertragen. Das Beschäftigungsverhältnis des Arbeitnehmers wäre in der Folge im Rahmen eines Betriebsüberganges nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf die privatrechtlich organisierte Tochter übergegangen.

Der Arbeitnehmer widersprach dem Betriebsübergang jedoch. Nach dem Widerspruch des Arbeitnehmers nach § 613a Abs. 6 BGB wurde seitens des Arbeitgebers von der im Öffentlichen Dienst bestehenden tariflichen Sonderregelung des § 4 Abs. 3 TVöD i.V.m. § 1 Abs. 3 Ziffer 2b AÜG Gebrauch gemacht; nämlich der genehmigungsfreien dauerhaften Personalgestellung des Arbeitnehmers seitens des Arbeitgebers an seine Tochtergesellschaft. Diese hielt der klagende Arbeitnehmer wegen Verstoßes gegen die EU-Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) für europarechtswidrig und somit unzulässig.

  • Arne Ferbeck, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner der PricewaterhouseCoopers Legal AG

Die Entscheidung

Der EuGH folgte dem nicht und entschied, dass die Richtlinie über Leiharbeit auf solche Sachverhalte nicht anwendbar sei, bei denen eine dauerhafte und endgültige Verlagerung der Aufgaben und Tätigkeiten eines Arbeitnehmers von seinem Arbeitgeber auf einen Dritten erfolge. Zur Begründung verweist der EuGH unter Berufung auf den Wortlaut der Richtlinie wie auch der Regelung des AÜG darauf, dass die Einstellung des Arbeitnehmers im zu entscheidenden Fall gerade nicht zur vorübergehenden Überlassung an einen entleihenden Unternehmer erfolgt sei, sondern vielmehr zur Erledigung von Aufgaben des (ursprünglichen) Vertragsarbeitgebers.

Ferner habe zum damaligen Zeitpunkt der Einstellung keine Absicht zur zeitweisen Überlassung an Dritte bestanden. Eine solche Absicht könne auch dann nicht angenommen werden, wenn bei einer Verlagerung der Aufgaben an Dritte das Arbeitsverhältnis nur deshalb nach § 613a BGB nicht mit der Aufgabe übergeht, da der Arbeitnehmer sein Recht zum Widerspruch ausgeübt habe.

Darüber stellt der EuGH auf die unterschiedlichen Interessenlagen und Schutzzwecke beider Seiten ab, die im Fall der Personalgestellung auch durch den widerspruchsbedingten dauerhaften Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses geprägt seien. Hierdurch könne sich die Verpflichtung des Arbeitnehmers ergeben, auf Weisung des Arbeitgebers die vertraglich geschuldete Leistung dauerhaft bei einem Dritten zu erbringen und sich dessen fachlichen und organisatorischen Weisungsrecht zu unterwerfen, da sich dort seine ursprüngliche Tätigkeit und Aufgabe wiederfinde.

Nachdem der EuGH damit entschieden hat, dass die Richtlinie 2008/104/EG den Sachverhalt bereits nicht erfasse, war die Frage der europarechtlichen Zulässigkeit einer branchenspezifischen Ausnahme für die Personalgestellung im Anwendungsbereich des öffentlichen Tarifrechts (TVöD, TV-V) nach § 1 Abs. 3 Ziff. 2b AÜG nicht mehr zu beantworten.

Hinweise

Arbeitgeber, die ein öffentliches Tarifwerk anwenden, welches eine Personalgestellung vorsieht und die von dieser Möglichkeit in der Vergangenheit regelkonform Gebrauch gemacht haben, dürfen sich entspannen. Das war und bleibt zulässig.

Mitarbeitende können bei dauerhaften und endgültigen Verlagerungen von Aufgaben und Tätigkeiten auf ein Drittunternehmen, auch wenn sie dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB widersprechen, dazu verpflichtet werden, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung bei dem Drittunternehmen zu erbringen; und dies dauerhaft. Damit unterliegen sie dem fachlichen und organisatorischen Weisungsrecht des Drittunternehmens. Das Arbeitsverhältnis ansonsten bleibt mit dem ursprünglichen und verbleibenden Arbeitgeber bestehen.

Eine entsprechende Anwendung im Anwendungsbereich des TV-V darf bei Vorliegen der dargestellten Voraussetzungen zugrunde gelegt werden. Angesichts der im Verhältnis zu § 4 Abs. 3 TVöD wortgleichen Regelung des § 3 Abs. 4 TV-V sind die nationalen Anforderungen nach § 1 Abs. 3 Ziff. 2b AÜG erfüllt und die bisher etablierten Vorgehensweisen bei Aufgabenverlagerungen möglich. Darüber hinausgehende Anwendungen in anderen Branchen und Tarifwerken sind anhand der konkreten Umstände zu prüfen. (hp)