Karriere

So wird die Führung im Tandem ein Erfolg

Beim Top-Sharing teilen sich in der Regel zwei gleichberechtigte Personen eine Führungsposition in Teilzeit. Führungskräftetrainerin Annegret Gehrke hat selbst Erfahrungen mit dem Modell und spricht im ZfK-Interview über die Chancen, die der Job zu zweit bietet.
22.05.2024

Die Gefahr eines Burnouts sinkt deutlich, wenn zwei Mitarbeiter in Teilzeit im Tandem zusammenarbeiten.

Frau Gehrke, Sie berichten, dass Sie als Mutter von zwei kleinen Kindern in eine Top-Sharing-Position gekommen sind?

Ja, mein Chef war sehr an der Weiterentwicklung von Talenten im Unternehmen interessiert. Ich hatte bereits fachübergreifend zusätzliche Verantwortungsbereiche übernommen und sollte diese in einer Führungsposition intensivieren. Mit zwei kleinen Kindern war meine Arbeitszeit begrenzt.

Eine Teilzeit-Führungsposition mit nur 20 Wochenstunden konnte er sich nicht vorstellen und suchte nach einer alternativen Lösung – so fand er das Modell des Top-Sharing. Mit einer erfahrenen Prokuristin im Unternehmen teilte ich mir dann gleichberechtigt die Abteilungsleitung mit je 25 Wochenstunden.

Das heißt, statt 40 waren es jetzt 50 Wochenstunden für eine Stelle?

Das stimmt – und das Ergebnis war sehr erfolgreich und effektiv: zweimal Kompetenzen, zweimal Erfahrungen, zweimal Ideenvielfalt, zweimal voller Akku und zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Sachverhalte und in Entscheidungsprozessen.

Das Vier-Augen-Prinzip führte auch zu einer Fehlerminimierung. Das spart dem Unternehmen am Ende viel Geld. Die Arbeitstage sind deutlich produktiver, als es eine Person allein schaffen könnte. Die Prokuristin ging nach einem Jahr in Rente. Insofern hatten wir auch eine gute Form des Wissenstransfers geschaffen. Sie hatte sich ein großes Netzwerk aufgebaut, das ich über die Zeit übergeben bekommen habe.

Was hat letztlich überzeugt, beim Top-Sharing zu bleiben?

Vor allem die Möglichkeit, fachliche Entscheidungen zu diskutieren und so gut durchdachte, faire und transparente Beschlüsse zu fassen sowie ehrliches Feedback auf Augenhöhe zu geben, war besonders wertvoll.

Die Anforderungen an Führungskräfte steigen stetig und der sich verändernde Markt erfordert eine hohe Flexibilität. Zudem gibt es Studien, die zeigen, dass auch das Burnout-Risiko sinkt, wenn Führungskräfte nicht die ganze Verantwortung alleine tragen.

Als Mutter plötzlich in einer Führungsposition mit fünf Stunden mehr in der Woche. War das nicht noch mehr Druck?

Nein, ich war viel stärker intrinsisch motiviert und konnte so mein Potenzial einbringen. Das zusätzliche Coaching hat meine Führungsqualitäten schnell verbessert, zum Beispiel im Zeitmanagement Prioritäten zu setzen und zu delegieren. Die Arbeitsweise ist im Tandem sehr effektiv, und Besprechungszeiten werden kurz gehalten, denn wir passen uns dem Zeitkontingent an.

Weiterhin war es für mich gut zu wissen, dass wenig liegen bleibt. Das hat sehr viel Druck genommen, besonders in Urlaubs-, Krankheits- und/oder Fortbildungsphasen. Das Team hatte immer eine Ansprechpartnerin verfügbar. 

Wie ist das Team damit umgegangen, plötzlich zwei Chefinnen zu haben?

Wir haben es langsam an das Thema herangeführt. Zum Beispiel wurde in einem Newsletter ganz allgemein über Top-Sharing und die Vorteile sowie Herausforderungen berichtet. Auch das Management hat nach außen Zustimmung signalisiert.

Am Anfang gab es im Team die Angst, alles doppelt erzählen zu müssen und dass Entscheidungen länger dauern würden. Wir haben ein sehr transparentes System entwickelt, in dem alle sehen konnten, wer wann ansprechbar ist. Außerdem gab es ein Ablagesystem, das die Weitergabe aller Informationen sicherstellte. Wir waren oft viel schneller in der Entscheidungsfindung, weil wir uns zu zweit mit den Sachen beschäftigt haben. 

Und wie kann man verhindern, dass Mitarbeiter:innen immer nur zu der Person gehen, bei der sie sich mehr Erfolg versprechen?

Das kann man als Schwäche oder als Stärke im Top-Sharing interpretieren. Ich halte es für eine gute Möglichkeit, dass Mitarbeitende sich an die Person wenden, bei der sie sich gut aufgehoben fühlen. Darüber hinaus gibt es auch eingeteilte Zuständigkeitsbereiche im Tandem.

Wichtig ist, dass sich das Führungstandem in den Grundwerten einig ist und wichtige Grundpfeiler der Entscheidungsherarchie diskutiert und festgelegt werden – also bis wo ich allein und ab wo ich nur in Rücksprache entscheiden darf. 

Verbindlichkeit und Loyalität sind für mich wichtige Werte, nach denen ich gehandelt habe, und ich kann mich an keine Situation erinnern, in der wir als Tandem gegeneinander ausgespielt wurden.

Wie kommt es im Top-Sharing zum gemeinsamen Wertesystem?

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie Top-Sharing in einem Unternehmen etabliert werden kann. Die eine ist Bottom-up, d.h. zwei Mitarbeitende finden sich zusammen, entwickeln ein Umsetzungskonzept und bewerben sich auf eine Führungsposition. Die andere Variante ist Top-down: Das Unternehmen beschließt, eine Stelle im Top-Sharing auszuschreiben, weil es die Vorteile schätzt.

Als besonders wichtig hat sich in meinen Beratungen ergeben, dass der Führungsstil der Tandempartner:innen ähnlich ist. Wenn ich also eine Person habe, die sehr dominant führt, und eine Person, die partizipativ agieren möchte, dann werden die beiden sich immer aneinander reiben. Sollte dieser Fall vorliegen, hilft eine klare Arbeitsteilung (Top-Splitting).

Top-Sharing ist ein geniales Arbeitszeitkonzept nach dem Design-Thinking-Prinzip, d.h. es kann sich in der Ausführung den Umständen und Personen anpassen und dient somit dem Unternehmen langfristig und effektiv.

Wie ist der Trend in Richtung Top-Sharing?

In Zeiten des Fach- und Führungskräftemangels werden Positionen so attraktiver und ermöglichen gerade Müttern und Vätern einen schnelleren Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Top-Sharing bringt eindeutig mehr Frauen in Führungspositionen. Umfragen aus dem vergangenen Jahr zeigen, dass auch Männer dem Topsharing-Modell positiv gegenüberstehen, um mehr Zeit für Familie, andere private Interessen sowie Weiterbildungsoptionen zu nutzen.

Auch die kommunale Wirtschaft wird hier immer offener und flexibler, wie bei der BEW Berliner Energie und Wärme, die jetzt vier Führungskräfte im Top-Sharing tätig werden lassen. 

Ist diese Form für alle Unternehmensgrößen geeignet? 

Wo ein Wille ist, gibt es auch einen Weg. Kleinere Firmen müssen natürlich genau schauen, ob sie sich die Investition der zusätzlichen Stunden leisten können.

Im Bundestag habe ich genau zu diesem Thema mit dem Wirtschaftsministerium gesprochen und Förderungen angeregt. Wir brauchen einen anderen Steuersatz, der Teilzeit nach der Elternzeit für das Paar begünstigt. Die Kinderbetreuungskosten sind oft so hoch, dass sich eine Arbeitsstelle in Teilzeit nicht lohnt und Elternteile – besonders Frauen – zuhause bleiben.

Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Top-Sharing ein nachhaltiges und wirkungsvolles Arbeitszeitmodell. Unternehmen profitieren durch Top-Sharing langfristig von der Kompetenzergänzung, dem Wissenstransfer und der Stabilität in der Führungsposition durch das Tandem. (bs)

Das Thema Top-Sharing ist in der kommunalen Wirtschaft schon lange bekannt. So waren beispielsweise Nicole Gargitter und Clara Kronberger seit 2021 gemeinsam die Münchner Bäderchefinnen. Auf ZfK-Anfrage hieß es dazu von den Stadtwerken München: „Clara Kronberger ist Anfang dieses Jahres intern in das Ressort Regionale Energiewende gewechselt, dort hat sie die thematische Verantwortung für „Technologie und Forschung“ übernommen. Seit März 2024 leitet Nicole Gargitter die Bäder der SWM als alleinige Chefin. Die Stadtwerke München haben mit Top-Sharing sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch wenn das Führungsduo Gargitter/Kronberger so nicht mehr zusammenarbeitet, gibt es innerhalb der Stadtwerke München weiterhin Top-Sharing auf unterschiedlichen Ebenen. Jeweils ein Führungsduo arbeitet auf der zweiten Führungsebene in den Bereichen „Strategie Mobilität“ sowie „Veränderungsmanagement“.