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Neue Vorschriften für das Gender Pay Gap

Die Anforderungen an die Nachweispflichten zur Entgeltgleichheit steigen. Die Unternehmen müssen aktiv handeln, doch das Thema wird noch unterschätzt. Ein Gastbeitrag von Ursula Neuhoff und Tom Feldkamp.
08.12.2023

Arbeitgeber ab 100 Arbeitnehmern werden öffentlich über ihr Gender Pay Gap berichten müssen, selbst wenn sie nicht lageberichtspflichtig sind.

Gemäß einer aktuellen EU-Richtline, die seit Juni 2023 in Kraft ist, müssen Unternehmen spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist im Mai 2026 ihren Gender Pay Gap ausweisen und Maßnahmen einleiten, wenn dieser fünf Prozent oder mehr beträgt. Der fundamentale Unterschied zur bisherigen Situation ist, dass Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden aktiv über den Gender Pay Gap berichten und Firmen ab 50 Mitarbeitern Kriterien zur Entgeltfindung bereitstellen müssen.

Damit sind auch die meisten Unternehmen der Versorgungswirtschaft betroffen. Privilegierungen aufgrund einer Tarifbindung sind nicht zu erwarten.

Das Thema ist häufig nicht auf dem Schirm

Die Unternehmensberatung Kienbaum und die Wirtschaftsprüfer Flick Gocke Schaumburg haben im Zeitraum von September bis Oktober diesen Jahres 145 Unternehmen befragt, wie sie mit dieser neuen Situation umgehen. Eine wesentliche Erkenntnis: Die Bedeutung des Themas Entgeltgleichheit/-transparenz wird aktuell noch unterschätzt: Für immerhin 37 Prozent der Unternehmen ist das Thema derzeit noch gar nicht oder kaum relevant.

28 Prozent der befragten Unternehmen sehen das Thema zumindest als „einigermaßen“ relevant an. Lediglich für 35 Prozent ist es bereits sehr oder sogar äußerst relevant.

Unterschiedliche Meinungen über die Bedeutung

Hier besteht also für viele Unternehmen noch Handlungsbedarf. In Zeiten des Fach- und Führungskräftemangels können es sich Unternehmen nicht mehr leisten, mögliche Top-Performer:innen durch systematisch verwehrte Aufstiegschancen zu verlieren oder durch mangelnde Entgelttransparenz Reputationsrisiken zu erzeugen.

Demgegenüber stimmen aber rund 70 Prozent der befragten Unternehmen der Aussage zu, dass Entgeltgleichheit und Chancengleichheit elementare Teile der Initiativen zur nachhaltigen Ausrichtung des eigenen Unternehmens sind.

Einheitliche Prozesse fehlen

Diese gewisse Ambivalenz kommt auch bei der Dokumentation von Entgeltentscheidungen zum Ausdruck. Entgeltgleichheit und -transparenz gehen einher mit hohen Anforderungen an die Verfahrenstransparenz, Nachvollziehbarkeit und Dokumentation von Gehaltserhöhungen und -beurteilungen.

Entgegen der eigenen Einschätzung zur Bedeutung von Entgelt- und Chancengleichheit scheinen aber viele Unternehmen diesen Anforderungen noch nicht gerecht zu werden. Zwar werden die Ergebnisse des Entgeltfindungsprozesses von 76 Prozent der Unternehmen dokumentiert, allerdings findet diese Dokumentation bislang erst bei 45 Prozent in einem einheitlich strukturierten Prozess statt.

Weiteres „Bürokratiemonster“

Vor diesem Hintergrund mag es nicht überraschen, dass 64 Prozent der befragten Unternehmen die EU-Richtlinie zur Entgeltgleichheit als weiteres „Bürokratiemonster“ betrachten – eine Sichtweise, die angesichts dessen, dass die Richtlinie im Vergleich zum deutschen Entgelttransparenzgesetz deutlich weitreichendere Pflichten vorsieht, nicht völlig von der Hand zu weisen ist.

Gänzlich neu ist insbesondere das Recht der Stellenbewerber, vom zukünftigen Arbeitgeber Informationen über das Einstiegsgehalt für die jeweilige Position zu erhalten. Diese Bestimmung gilt für sämtliche Arbeitgeber, unabhängig von der Anzahl ihrer Mitarbeiter.

Informationspflichten an die Belegschaft

Arbeitgeber müssen zudem proaktiv den Mitarbeitenden Informationen über die verwendeten Kriterien der Entgeltfindung und -entwicklung zukommen lassen; eine Ausnahme hiervon kann der Gesetzgeber für Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern vorsehen.

Dem Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz wird der Gesetzgeber bis Mai 2026 ein Update verpassen müssen: Während Beschäftigte in Deutschland Auskunft über den Median des Entgelts des anderen Geschlechts in einer Vergleichsgruppe verlangen konnten, sieht die Richtlinie eine Auskunft über das Durchschnittsentgelt für ggf. mehrere Gruppen von Arbeitnehmern, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, vor.

„Entgeltbewertung“ mit dem Betriebsrat

Die Beantwortungsfrist verkürzt die Richtlinie von drei auf maximal zwei Monate. Eine Ausnahme für kleinere Unternehmen gibt es nicht, so dass anders als aktuell auch Unternehmen mit weniger als 200 Beschäftigten betroffen sein werden. Eine irgendwie geartete Privilegierung tarifanwendender Unternehmen sieht die Richtlinie nicht vor – auch dies stellt einen wesentlichen Unterschied zum deutschen Gesetz dar.

Eine wesentliche Verschärfung bei Inhalt und Adressatenkreis werden auch die Berichtspflichten erfahren: Arbeitgeber ab 100 Arbeitnehmern werden öffentlich über ihr Gender Pay Gap berichten müssen, selbst wenn sie nicht lageberichtspflichtig sind. Bei einer Entgeltlücke von fünf Prozent und mehr kann eine „gemeinsame Entgeltbewertung“ mit Arbeitnehmervertretern geboten sein.

Pflicht greift ab 2027

Diese Pflichten greifen für Unternehmen ab 150 Arbeitnehmer erstmals im Jahr 2027. Allerdings muss über Zahlen aus 2026 berichtet werden; Gelegenheit zur Korrektur von Unwuchten in der Vergütung besteht damit nur noch 2024 und 2025.

Es ist daher unbedingt zu empfehlen, betriebliche Vergütungsstrukturen bereits jetzt anhand der Kriterien der Entgelttransparenzrichtline zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Die Prozesse der Gehaltsfindung und die zugrunde gelegten Kriterien sollten sorgfältig dokumentiert werden.

Neben der Richtlinie sind dabei auch die Anforderungen der Rechtsprechung zu beachten. Erst kürzlich hat der EuGH die Anforderungen an Zuschläge für Teilzeitbeschäftigte verschärft. Und das Bundesarbeitsgericht hat Anfang 2023 der freien Gehaltsverhandlung einen Riegel vorgeschoben. (hp)

Die Autoren:
Tom Feldkamp, Rechtsanwalt, Manager bei Kienbaum

Ursula Neuhoff, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Assoziierte Partnerin (FGS)