Karriere

Fast die Hälfte der Beschäftigten ist wechselbereit

Laut dem "Gallup Engagement Index Deutschland 2023" macht der überwiegende Teil der Arbeitnehmer "Dienst nach Vorschrift". Mit wirkungsvollen Maßnahmen können Führungskräfte gegensteuern.
18.03.2024

Die Gallup-Studie zeigt: Mitarbeiter brauchen Aufbruchstimmung statt Krisenstimmung.

Der jahrelange Krisenmodus, der Arbeits- und Fachkräftemangel sowie der demografische Wandel haben weiterhin massiven Einfluss auf den Arbeitsmarkt in Deutschland. Die Zahl derjenigen, die emotional nicht an ihren Arbeitgeber gebunden sind, erreicht mit 19 Prozent den höchsten Stand seit 2012 (2022: 18 Prozent).

Gleichzeitig wächst auch die Gruppe der wechselbereiten Beschäftigten: Mit 45 Prozent (2022: 42 Prozent) sind mehr Arbeitnehmende denn je aktiv auf Jobsuche oder schauen sich um. Diese Erkenntnisse gehen aus dem "Gallup Engagement Index Deutschland 2023" hervor.

    Innere Kündigungen nehmen zu

    Nur 14 Prozent der Befragten (2022: 13 Prozent) erleben ein Arbeitsumfeld, das in einer hohen emotionalen Bindung resultiert. Der diesjährige Wert liegt zwar leicht über dem des Vorjahres, ist aber im Zeitverlauf der zweitniedrigste seit 2011. Der überwiegende Teil der Arbeitnehmenden (67 Prozent, 2022: 69 Prozent) ist nur gering gebunden und macht „Dienst nach Vorschrift.“

    Innere Kündigung ist aber nicht nur ein Problem für Unternehmen, sondern auch ein volkswirtschaftliches: Denn die dadurch entstehenden Kosten belaufen sich für 2023 auf eine Summe zwischen 132,6 und 167,2 Milliarden Euro.

    Auch Wechselbereitschaft steigt

    Die Folge: Nur noch etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten will in einem Jahr mit Sicherheit noch bei ihrem jetzigen Arbeitgeber sein. 2018 hatten noch 78 Prozent diese Aussage ohne Einschränkung bejaht.

    Bei der mittelfristigen Wechselbereitschaft ist der Anteil derjenigen, die fest davon überzeugt sind in drei Jahren noch in ihrem Unternehmen sein zu wollen, im Laufe der Jahre auf jetzt 40 Prozent kontinuierlich geschrumpft.

    „Schlechte Führung wird zum Risikofaktor für den Unternehmenserfolg. Trotz Dauerkrisenmodus sehen Deutschlands Beschäftigte für sich persönlich gute Chancen in einer für sie weiterhin vorteilhaften Lage“, sagt Marco Nink, Director of Research & Analytics von Gallup EMEA.

    People Management wird oft vernachlässigt

    Bei Unternehmen drücke allerdings die wirtschaftliche Entwicklung auf Geschäftsergebnisse und Stimmung. Die Folge: Über dem Krisenmanagement vergessen Führungskräfte oft das People Management. Dabei gebe es schon jetzt zu wenig Arbeitskräfte und durch den Eintritt der Babyboomer verstärke sich das Problem noch, so Nink.

    Denn hohe emotionale Bindung macht sich bezahlt. Von den hoch Gebundenen wollen 79 Prozent in einem Jahr noch bei ihrer derzeitigen Firma sein (ohne Bindung: 31 Prozent), und lediglich fünf Prozent von ihnen sind derzeit aktiv auf Jobsuche (ohne Bindung: 24 Prozent). 63 Prozent würden ihren Arbeitgeber Freunden oder Familienangehörigen uneingeschränkt empfehlen (ohne Bindung: 4 Prozent). Das ist vor allem für das Recruiting von Bedeutung.

    Mitarbeiter brauchen Aufbruchstimmung

    Auch die Zuversicht der Befragten in die Perspektiven der Unternehmen sinkt. Nur 40 Prozent haben uneingeschränktes Vertrauen in dessen finanzielle Zukunft. Im Corona-Jahr 2020 erreichte die Zustimmung den höchsten jemals gemessenen Wert von 55 Prozent, ist aber seitdem erst rapide und dann konstant unter das Vor-Corona-Niveau gesunken (2019: 48 Prozent, 2018: 46 Prozent).

    Analog dazu bröckelt die Zuversicht in die Krisenfestigkeit der Geschäftsleitung: Nur noch ein Viertel ist ohne Einschränkungen davon überzeugt, dass sie das Zeug dazu hat, zukünftige Herausforderungen zu meistern. Seit 2019 hat die Zuversicht der Arbeitnehmenden in ihre Unternehmensführung damit um 16 Prozentpunkte abgenommen – und liegt jetzt unter dem Wert vor der Pandemie.

    „Das Management muss hier eine klare Richtung vorgeben, Aufbruchstimmung vermitteln und in Möglichkeiten statt im Krisenmodus denken, um so die Zuversicht zu stärken und Beschäftigte für den Kurs des Unternehmens zu begeistern“, so Pa Sinyan, Managing Partner von Gallup EMEA.

    Die Neuen orientieren sich zu schnell um

    Auch sind  nur 16 Prozent der Beschäftigten davon überzeugt, dass ihr Unternehmen in der Lage ist, die besten Talente anzuziehen. Wie gelingt es dann die Neuen auch zu halten?

    Die Ergebnisse zeigen, dass 40 Prozent der Befragten mit weniger als zwölf Monaten Betriebszugehörigkeit schon wieder offen für Neues sind: 15 Prozent sind aktiv auf der Suche nach einem anderen Job, weitere 25 Prozent schauen sich um. Von den Neuen beabsichtigt auch weniger als die Hälfte (48 Prozent) uneingeschränkt, in einem Jahr noch bei ihrem aktuellen Arbeitgeber zu sein.

    Dazu kann auch ein unzureichendes Onboarding beitragen: Nur 22 Prozent geben an, dass der Einarbeitungsprozess exzellent war. Dabei liegt hier eine große Chance für Führungskräfte..

    Gute Führung als Motivationsturbo

    Denn der entscheidende Faktor für Wechselwilligkeit ist die erlebte Führung. Nur 22 Prozent sind uneingeschränkt mit ihrem oder ihrer direkten Vorgesetzten zufrieden (2022: 25 Prozent).

    Darüber hinaus haben Beschäftigte nicht das Gefühl, dass ihre Führungskräfte ihre Stärken wahrnehmen und wertschätzen. Nur 27 Prozent geben an, dass diese in ihrem Arbeitsalltag im Mittelpunkt stehen.

    Von denjenigen Befragten, die von einer klaren Stärkenorientierung berichten, sind 29 Prozent emotional hoch gebunden (5 Prozent keine emotionale Bindung). Im Gegensatz dazu haben nur drei Prozent derjenigen, deren Stärken nicht im Mittelpunkt stehen, eine hohe Bindung (40 Prozent keine emotionale Bindung).

    Senkung des Krankenstandes als Chance

    Die Ergebnisse wirken sich auch auf die Ausfallzeiten aus. Waren Beschäftigte, die sich emotional bereits von ihrem Arbeitgeber verabschiedet haben, 2023 im Schnitt 9,1 Tage krank, reduzierte sich die Fehlzeit bei hoch gebundenen Mitarbeitenden mit 4,8 Tagen auf fast die Hälfte.

    Auch stimmen 68 Prozent der emotional hoch gebundenen Mitarbeitenden – aber nur 20 Prozent derjenigen ohne emotionale Bindung – der Aussage „grundsätzlich unterstütze ich anstehende Veränderungen in meinem Unternehmen“ uneingeschränkt zu.

    „Nie ist gute Führung so wichtig wie in schwierigen Zeiten“, betont Nink. Denn heute kann es sich kein Unternehmen leisten, gute Arbeitskräfte durch schlechte Führung zu verlieren. (bs)