Karriere

(Wieder) Lust auf Leistung

Wie Beschäftigte Selbstwirksamkeit erfahren, warum auch ein Arbeitseinsatz von nur 95 Prozent in Ordnung ist – und warum man echte Wertschätzung besser außerhalb des Homeoffice erfährt: ein ZfK-Interview mit dem Wirtschaftspsychologen Ingo Hamm.
06.06.2024

Wie können Beschäftigte Arbeit (wieder) lieben lernen?

Herr Professor Hamm, Ihr neues Buch hat den Titel "Lust auf Leistung". Wie definieren Sie Leistung im Job?

Leistung ist für mich in erster Linie Psychologie. Es geht darum, einen Impact zu spüren, auf ein Ergebnis oder ein Werk stolz zu sein. Leistung entsteht durch eine ganz konkrete Tätigkeit, bei der am Ende des Tages etwas herauskommt – sei es ein Produkt, eine Dienstleistung oder ein zufriedener Kunde, der sagt: "Prima, mit diesem Ergebnis kann ich etwas anfangen!" Das ist es, was Menschen bei der Arbeit glücklich macht und Zufriedenheit erzeugt. Viele suchen sich diese Erfahrung im Privatleben, weil sie sie im Job zu selten erleben. Und das finde ich schade. Für manche junge Leute ist es heute erfüllender, ein paar Monate mit dem Camper durch Europa zu fahren – das ist ja auch eine Form von Selbstwirksamkeit.

Und wann ist so vielen Beschäftigten die Lust auf Arbeit abhanden gekommen?

Ich denke, dass dieser Prozess schon vor Jahrzehnten begonnen hat. Es gibt viele Symptome dafür, dass etwas im Argen liegt – von hohen Zahlen an Krankschreibungen, gerade auch im psychischen Bereich, bis hin zu einer weit verbreiteten Arbeitsunzufriedenheit. Meine These ist, dass dies ein schleichender Effekt einer zunehmenden Automatisierung und letztlich auch Digitalisierung ist.

Als Wirtschaftspsychologe beschäftige ich mich ja schon lange damit, wie man hochautomatisierte Arbeitsabläufe menschengerechter gestalten kann. Interessanterweise hat man sich in den 80er, 90er Jahren in der Arbeitspsychologie schon mal intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt – lange bevor die Digitalisierung auf der Tagesordnung stand. Und zwar, weil viele Arbeitnehmer aufgrund monotoner Abläufe sehr unzufrieden waren. 

Was ist dabei herausgekommen?

Es wurden Konzepte wie Gruppenarbeit und teilautonome Arbeitsgruppen eingeführt und viele Erkenntnisse gewonnen. Erstaunlicherweise hat eine ähnliche Entwicklung im Zuge der Digitalisierung bisher noch gar nicht stattgefunden. Wir reden zwar viel über die Potenziale der Technologien, bedenken aber noch zu wenig die psychologischen Folgen. Denn jede Arbeit, die ich den Menschen wegnehme, erzeugt zunächst mal Unsicherheit, vielleicht sogar Krankheit. Wir suchen alle diese Wirksamkeitserfahrung, wo wir spüren: Das habe ich selbst mit meinen Händen, Armen oder meinem Kopf erzeugt und in die Welt gebracht und auch einen Beitrag geleistet. 

Wenn Arbeit sich durch die Digitalisierung so drastisch verändert – bekomme ich Erfüllung dann wirklich nur noch im Privaten?

Ich sehe durchaus noch Potenziale, dass es auch in Zukunft Jobs geben wird, die auf menschlichen Kernkompetenzen aufbauen. Die KIs müssen ja auch programmiert und gefüttert werden. Vielleicht verschiebt sich dann die Erfüllung – weg vom Schreiben hin zu Themen wie KI-Training und Prompting. Da entstehen dann wieder neue Berufsbilder, die auch Wirksamkeitserfahrungen ermöglichen.

Technologischen Wandel hat es letztlich immer gegeben, mir macht das keine Angst. Man darf nur nicht im Überschwang sagen: "Es wird alles besser!" Umgekehrt darf man aber auch nicht in Panik verfallen und denken: "Wir werden komplett ersetzt!" Ich glaube, man muss konstruktiv damit umgehen.

Liegt hier eine Chance bei „New Work“ – agile Teams, flache Hierarchien, mehr Mitbestimmung?

Im Grunde schon, aber ich sehe zwei Entwicklungen der letzten Jahre kritisch: Erstens sind wir bei New Work sehr materiell geworden. Im gnadenlosen Wettbewerb um die besten Köpfe werden oft platte Köder ausgeworfen – vom Kickertisch bis zum eigentlich unnötigen Firmenwagen. Das dient vor allem dem Überbietungswettbewerb und hat mit echter Motivation wenig zu tun. Psychologisch gesehen können zu viele materielle Anreize sogar die intrinsische Motivation zerstören. 

Es braucht eine neue Ehrlichkeit – auch beim Recruiting. Natürlich muss man im "War for Talents" mit einem Basisniveau an Benefits punkten. Aber wenn man die wirklich motivierten Leute gewinnen und halten will, führt kein Weg daran vorbei, sich auf die eigentlichen Inhalte und Werte zu konzentrieren. 

Der zweite kritische Punkt betrifft die ständige Aufforderung zur Agilität. Da entsteht bei einigen das Gefühl "Alles was ich bisher gemacht und gelernt habe, ist plötzlich nichts mehr wert“. Das kann individuell als massiver Vertrauensbruch erlebt werden und in Blockadehaltung münden. Wenn ein Unternehmen einen radikalen Wandel von seinen Mitarbeiter einfordert und alle bisherigen Erfahrungen und Leistungen quasi entwertet, kann das fatale Folgen haben. 

Was raten Sie Unternehmen?

Ein mittelständischer Geschäftsführer hat mich einmal gefragt, was er tun könne, damit seine Mitarbeiter zu 120 Prozent motiviert zur Arbeit kommen. Diese Frage ist einerseits nachvollziehbar, andererseits sollte man froh und dankbar sein, wenn die Leute ihre Arbeit zu 95 oder 100 Prozent erledigen. Es ist ein Idealzustand, wenn wir Ökonomie und intrinsische Motivation verbinden können. 

Es wird aber immer Beschäftigte geben, die ihre komplette Erfüllung nicht in ihrer Arbeit finden. Das erfordert ein positives Menschenbild: Man darf nicht unterstellen, dass diese Leute faul sind. Und dann sollte man akzeptieren und anerkennen, dass sie ihre wahre Erfüllung vielleicht in Familie, Hobbys oder Ehrenamt finden. Das hat eine sehr positive Wirkung.

Meiner Meinung nach sind Führungskräfte gefordert, die sich mit Herzblut für ihre Mitarbeiter interessieren. Wie tickt jeder Einzelne, was sind seine Stärken, Wünsche und Motivationen? Es braucht auch Ehrlichkeit auf beiden Seiten, wenn eine Person irgendwo unglücklich oder falsch eingesetzt ist. Dann sollte man gemeinsam und wertschätzend eine neue, besser geeignete Position suchen. Da sind wir in Deutschland noch nicht so weit wie im angelsächsischen Raum, wo ein Arbeitsplatzwechsel viel selbstverständlicher ist.

Sie sprechen in Ihren Texten auch vom Potenzial des „Helfens". Wo sehen Sie hier wichtige Wirksamkeitsmomente?

Die Forschung hat mittlerweile klar bewiesen, dass uneigennütziges Helfen ohne Erwartung einer Gegenleistung den Helfenden ein unglaubliches Gefühl von Wirksamkeit gibt. Vermutlich würden viele Ärzte und Pflegekräfte ihren Job unter den aktuellen Bedingungen sonst gar nicht mehr machen. 

Solche Momente des Helfens und der Wertschätzung lassen sich in Unternehmen oft nur in der direkten Begegnung erzeugen. Wenn ich auf dem Flur mitbekomme, dass ein Kollege Unterstützung braucht und dann spontan sage "Warte, ich helfe dir!" oder "Lass uns das zusammen machen!". Digital wird das zunehmend schwerer, je mehr wir uns aus dem direkten Kontakt zurückziehen.

Deshalb sind auch Dinge wie Patenmodelle oder Mentoring so wertvoll – sie haben einen doppelten Effekt: Die neuen Mitarbeiter werden gut eingearbeitet und die erfahrenen Kollegen fühlen sich erfüllter, weil sie ihr Wissen aktiv weitergeben. Solche persönlichen Partnerschaften – sei es zwischen Generationen oder auch geschlechterübergreifend – schaffen Nähe und steigern das Wertgefühl. Und diese Erlebnisse hat man nur vor Ort – und nicht im Homeoffice alleine.

(Das Interview führte Boris Schlizio.)