ÖPNV

Bund denkt über Förderung von kostenlosem ÖPNV nach

Angesichts drohender Diesel-Fahrverbote will die Bundesregierung offenbar offensivere Maßnahmen für saubere Luft in den Städten ergreifen. In fünf Städten soll es einen Test geben.
13.02.2018

Einen kostenlosen ÖPNV gibt es in Deutschland bislang nicht.

Der Bund erwägt zusammen mit Ländern und Kommunen einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, um die Zahl privater Fahrzeuge zu verringern. Das geht aus einem Brief von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella hervor. Zuerst hatte das Magazin "Politico" darüber berichtet.

Die Wirksamkeit von Maßnahmen für eine bessere Luft solle in fünf "Modellstädten" getestet werden - und zwar in Bonn, Essen, Herrenberg, Reutlingen und Mannheim.

VKU-Präsident Ebling: "Der Bund muss sagen, wie er so etwas bezahlen möchte"

Bislang gibt es in Deutschland keinen kostenlosen Nahverkehr. Der Vorschlag zum ÖPNV könnte bedeuten, dass der Bund Länder und Kommunen finanziell dabei unterstützt, wenn diese einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr einführen wollen. In vielen deutschen Städten werden Schadstoff-Grenzwerte nicht eingehalten.

"Bei der Vermeidung von Fahrverboten darf es keine Denkverbote geben", sagte VKU-Präsident Michael Ebling der ZfK. Daher sei jeder der Vorschläge überlegenswert, um die Luft sauberer zu machen. Allerdings sei ein kostenloser Nahverkehr eine "visionäre Vorstellung, die auf jeden Fall mehrere Testballons braucht", so der Verbandspräsident. "Denn so einfach ist das nicht. Der Bund muss sagen, wie er so etwas bezahlen möchte. Zudem stelle ich mir die Frage, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll. Mehr Menschen mit dem ÖPNV zu befördern heißt, neue Busse und/oder Straßenbahnen zu kaufen und an die infrastrukturellen Gegebenheiten und Zeitpläne anzupassen. Kurzfristig lässt sich so etwas nicht umsetzen", erklärte Ebling.

Enormer Fahrgastzuwachs bei einem kostenlosen Angebot

"Wir sehen das auch sehr kritisch", sagte eine Sprecherin des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) am Dienstag. Mit rund zwölf Milliarden Euro jährlich finanzierten sich die Verkehrsbetriebe etwa zur Hälfte aus dem Ticketverkauf. "Das müsste am Ende der Steuerzahler finanzieren." Weitere Milliarden wären nötig für neue Busse, Bahnen und Personal. Denn: "Wir hätten bei einem kostenlosen Angebot einen enormen Fahrgastzuwachs."

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, äußerte sich überrascht über den Vorstoß. "Die Idee, Tickets im Nahverkehr günstiger zu machen, gibt es in der Tat in einigen Städten. Wer kostengünstigen Nahverkehr will, muss das aber auch finanzieren können", sagte Dedy. "Wenn wir kostenlosen Nahverkehr anbieten wollten, müssten alle Verbundpartner zustimmen", sagte der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan. Auch die Deutsche Bahn müsse mit ins Boot geholt werden. Kritik kam vom Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter: "Der Vorstoß klingt nach verkehrspolitischer Gaukelei. Eine Woche nach Bekanntgabe des Koalitionsvertrages mit dieser vagen Idee zu kommen, ist absolut unglaubwürdig. Darüber hinaus ist der Vorstoß nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das angekündigte ÖPNV-Pilotprojekt in fünf Städten greift zu kurz und wird die Luft in den meisten deutschen Städten nicht verbessern", erklärte Hofreiter.

Bundesregierung verweist gegenüber Brüssel auf Milliarden-Programm

Von den beteiligten Ministerien gab es zunächst keine Stellungnahme. Die Bundesregierung stellt in dem Brief an die EU-Kommission noch andere Maßnahmen vor. So verweist sie auf das bereits auf den Weg gebrachte Milliarden-Programm für bessere Luft in Städten.

Außerdem sollen "bei Bedarf" Städte darin unterstützt werden, wirksame Verkehrsregeln auf den Weg zu bringen, um die von Autos verursachte Umweltverschmutzung zu reduzieren. Für den Schwerlastverkehr solle es "Niedrigemissionszonen" geben.

Kampf gegen Luftverschmutzung hat "höchste Priorität" für Deutschland

Der Kampf gegen Luftverschmutzung habe "höchste Priorität" für Deutschland, heißt es in dem Schreiben. Eine neue Bundesregierung werde unverzüglich neue Maßnahmen auf den Weg bringen. In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, gemeinsam mit Ländern und Kommunen die Anstrengungen für eine Verbesserung der Luftqualität vor allem in besonders belasteten Städten erheblich zu verstärken. So soll der Umstieg von Fahrzeug-Fuhrparks auf emissionsarme Antriebe vorangetrieben werden.

Außerdem soll laut Koalitionsvertrag die Verlagerung des Pendlerverkehrs auf die Schiene gefördert werden. Zudem soll der Ordnungsrahmen so geändert werden, dass Länder und Kommunen in der Lage sind, verbindliche Vorgaben und Emissionsgrenzwerte für den gewerblichen Personenverkehr wie Busse und Taxen zu erlassen.

EU-Kommission entscheidet im März über mögliche Klage vor dem EuGH

Die EU-Kommission hält die bisherigen Maßnahmen Deutschlands für unzureichend, um Grenzwerte für Stickoxide einzuhalten. Sie hatte die Bundesregierung aufgefordert, nachzulegen. Die Kommission will im März über eine mögliche Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen zu hoher Luftverschmutzung gegen Deutschland und acht weitere Staaten befinden, hatte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde am Montag mitgeteilt. Verlöre Deutschland einen solchen Rechtsstreit, würden letztlich hohe Strafgelder drohen.

Um das Thema Fahrverbote geht es am 22. Februar auch vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Das Gericht könnte eine wegweisende Entscheidung fällen, ob Fahrverbote rechtmäßig sind. Die Bundesregierung hatte erklärt, dass es in 20 deutschen Städten - trotz aller Anstrengungen - wohl auch bis zum Jahr 2020 nicht gelingen werde, die EU-Grenzwerte für Stickoxide einzuhalten. Eine wichtige Quelle für Stickoxide ist der Autoverkehr - vor allem Dieselfahrzeuge sind in der Kritik. (hil/dpa)