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"Fehlt die Abstimmung und sind die jeweiligen Ziele nicht klar formuliert, kommt es unweigerlich zu Konflikten"

IT und Vertrieb: Die Axxcon-Unternehmensberatung hat sich in einer umfangreichen Studie dem ewigen Konflikt beider Bereiche gewidmet. Zwei Fachleute erläutern die Ergebnisse im Detail und was sich dagegen tun lässt.
09.10.2022

Erst wenn IT und Business an einem Strang ziehen, kann die erfolgreiche Transformation beginnen.

Frau Krause, Business und IT: Bekanntlich klappt es mit beiden Bereichen untereinander nicht immer so gut. Was sind hier eigentlich die gängigen Konflikte? Und wie lassen sich diese verbessern?
Friederike Krause, Senior Consultant bei Axxcon: Kurzum, mit dem Setzen klar verständlicher und anwendbarer Rahmenbedingungen, die allen bekannt sind und für alle Gültigkeit haben. Diese Leitlinien können dann individuell und im Team zur Priorisierung und Entscheidungsfindung genutzt werden.

Am Beispiel: Oftmals beobachten wir, dass im Mittelmanagement mit unterschiedlichen Prioritäten und Agenden gearbeitet wird. Jeder Bereich verfolgt für sich ein elementares Ziel mit Nachdruck. Fehlt die Abstimmung dieser Ziele auf Unternehmensziele, oder sind diese gar nicht klar formuliert, entstehen unweigerlich Konflikte.

Der Trend zu immer mehr Selbstorganisation oder auch „agiler“ Arbeitsweise hat darüber hinaus dazu geführt, dass immer mehr Aufgaben vollumfänglich delegiert werden. Erfolgt im selben Schritt nicht auch gleichzeitig ein klares Setzen von Rahmenbedingungen zur Erfüllung dieser Aufgaben, entsteht ein Vakuum, das die Mitarbeiter überfordert. Autonomität bei der Erfüllung von Aufgaben funktioniert nicht ohne ein hohes Maß an Abstimmung – sprich setzen gemeinsamer Leitlinien.

Laut der Axxcon-Studie sieht rund ein Drittel der IT- und Business-Manager (34 Prozent) die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens aufgrund interner Konflikte und einem unterschiedlichen Verständnis in beiden Bereichen als gefährdet an. Besonders ausgeprägt ist dies bei der Energieversorgung. Dabei vertreten beide Bereiche auch unterschiedliche Prioritäten: Business-Manager haben demnach vor allem die Wünsche der Kunden im Fokus, die IT-Experten haben den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens im Blick. Welche Konsequenzen lassen sich hieraus ziehen?
Thomas Gondorf, Senior Manager bei Axxcon: Im Grunde haben beide dasselbe Ziel im Blick: die Kundenzentrierung, und damit Fokussierung auf die Erwartungen und Bedürfnisse der Kunden. Dies sichert nachhaltig den Unternehmenserfolg und die Wettbewerbsfähigkeit. Das Gleiche gilt für eine stabile und flexible IT, die schnelle Anpassungen an Kundenbedürfnisse überhaupt erst möglich macht. Der Kern des Konfliktes besteht in der Abstimmung des Zwecks von Aktivitäten und deren Priorisierung – im Team! Probleme und Konflikte entstehen immer dann, wenn Ressourcen nicht fokussiert eingesetzt werden oder sogar in Ihrem Einsatz konkurrieren.

Aus der Praxis: Arbeiten an zentralen IT-Infrastrukturen zur Standardisierung und Automatisierung sind essenziell, wie die Studie gezeigt hat. Gleichzeitig sind dies Arbeiten, die aus Perspektive des Business wenig Mehrwert schaffen, da sie keine direkt vermarktbares Produkt schaffen, sondern lediglich die Lieferfähigkeit verbessern. Business-Manager, die die stetige Verbesserung der Lieferfähigkeit der Schaffung neuer Produkte und Services unterordnen, erzeugen mittelfristig technische Schulden auf IT-Seite, die zu immer größeren Konflikten führen.

Der Weg zur Lösung ist auch hier die saubere Abstimmung der gemeinsamen Ziele und was dafür notwendig ist – das Setzen von Rahmenbedingungen zum gemeinsamen Ziel erzeugt einen gleichgerichteten Fokus und minimiert Ressourceneinsätze, die nicht diesem Fokus untergeordnet sind. In der Praxis hat sich hier die Nutzung von „Aufwands-Budgets“ bewährt. Gemeinsam wird z.B. ein Budget für die Schaffung neuer Funktionalitäten festgelegt, sowie eines zur Optimierung und Abbau technischer Schulden. Diese gemeinsame Leitlinie wird dann genutzt, um die nächsten Iterationen der Weiterentwicklung zu planen und zu priorisieren.

Aus der Perspektive der IT-Verantwortlichen sind disruptive Veränderungen jedoch schwer umzusetzen. Klassische IT-Architekturen benötigen typischerweise Zeiträume von 12-36 Monaten für drastische Umbauten.
Thomas Gondorf, Senior Manager bei Axxcon
Bild: © Axxcon

Besonders im Business Development wird eine höhere Bereitschaft zur Disruption erwartet, um den Herausforderungen der nächsten Jahre gewachsen zu sein. Hinkt hier die IT hinterher. Warum ist das so?
Thomas Gondorf: Das Business Development spürt, dass ein disruptives Produkt oder eine disruptive Dienstleistung das Potential hat sehr schnell marktdominant zu werden und entsprechende Gewinne einzufahren. Natürlich möchte niemand sehen, dass jemand anders eine vergleichbare Idee schneller umgesetzt hat und somit Wettbewerbsnachteile entstehen.

Aus der Perspektive der IT-Verantwortlichen sind disruptive Veränderungen jedoch schwer umzusetzen. Klassische IT-Architekturen benötigen typischerweise Zeiträume von 12-36 Monaten für drastische Umbauten. Die Nutzung moderner, hybrider IT-Architekturen erfordert ein hohes Maß an passenden Experten zur Umsetzung und darüber hinaus ausgeklügelte und gut umgesetzte Sicherheitskonzepte. Niemand möchte mit einem neuen Produkt schneller am Markt sein und eine Woche später wegen eines Datenskandals in der Presse zu finden sein.

Viele IT-Einheiten befinden sich gerade im Umbruch, flexibler und hybrider zu werden, um den geänderten Anforderungen Rechnung zu tragen, die Gesamtorganisationen und deren technische Architektur hängt jedoch oftmals hinterher.

Mit den richtigen Methoden lässt sich die Zusammenarbeit zwischen Business und IT laut Studie verbessern. Was wären das für Methoden?
Thomas Gondorf: Zuerst mit dem Verständnis, dass „IT“ kein reines Cost-Center ist, das Leistungen auf Zuruf beistellen muss, sondern ein essenzieller Teil jedes gemeinsamen Vorhabens. In den letzten Jahren haben sich nahezu alle IT-Abteilungen als Innovationstreiber aufstellen müssen, in dem auch neue Geschäftsideen auf Basis neu verfügbarer Technologien überhaupt erst ermöglicht wurden.  
 

Oftmals beobachten wir in Unternehmen, dass die zentrale Rolle des Product Owner „delegiert“ wird und durch Mitarbeiter wahrgenommen wird, die dem aus verschiedenen Gründen nicht gerecht werden können. So entstehen Konflikte bei Festlegung von Prioritäten, Aufgabeninhalten und in der Folge auch der Verschwendung von kostbaren Ressourcen.
Frederike Krause, Senior Consultant bei Axxcon
Bild: © Axxcon

Inwiefern können agile Methoden hier unterstützen? Erstaunlich finde ich es, dass vor allem im Business Development (61 Prozent) Erfahrungen mit agilen Methoden vorliegen und nicht in der IT (30 Prozent). Zugleich ist ein Fazit der Befragten, dass, agile Arbeitsmethoden nichts an den grundsätzlichen Problemen ändern.
Friederike Krause: Agile Methoden sollen sicherstellen, dass die maximale Wertschöpfung mit den eingesetzten Ressourcen ermöglicht wird. Hierfür ist es wichtig, dass die entsprechenden Rollen in einem cross-funktionalen, agilen Team auch passend besetzt sind. Bei Verwendung des populären Scrum-Frameworks z.B. ist es essenziell, dass der Product Owner die Ende-zu-Ende-Verantwortung für die maximale Wertschöpfung übernimmt und auch übernehmen kann. Dazu gehört die Vertretung der Interessen der (End-)Kunden, die Zusammenarbeit mit dem Team, die Pflege und Priorisierung des Backlogs und vor allem auch die fortschreitende Entwicklung einer Vision des Endproduktes. Dies ist keine Teilzeitaufgabe, sondern benötigt viel Fokus und Hingabe.

Oftmals beobachten wir jedoch in Unternehmen, dass diese zentrale Rolle „delegiert“ wird und durch Mitarbeiter wahrgenommen wird, die dem aus verschiedenen Gründen nicht gerecht werden können. So entstehen Konflikte bei Festlegung von Prioritäten, Aufgabeninhalten und in der Folge auch der Verschwendung von kostbaren Ressourcen.
Die Ursache für die nach wie vor bestehenden „grundsätzlichen Probleme“ sind jedoch nicht die agilen Methoden, sondern deren Anwendung und Umsetzung. Die Verfügbarkeit von Fachleuten und die geringe allgemeine Attraktivität zum Beispiel der EVUs für IT-Talente führen darüber hinaus dazu, dass auch die Teams selbst nicht durchgehend ideal besetzt sind.

Allerdings habe sich das Verhältnis zwischen den beiden Bereichen in den letzten fünf Jahren verbessert. Woran lässt sich das erkennen?
Thomas Gondorf: Die Dynamik im Markt hat zugenommen und die IT-Einheiten, insbesondere der EVUs, haben sich mit der Nutzung von neuen Technologien vertraut gemacht und nutzen diese. Neuartige Technologien wie Low-Code Plattformen und die Nutzung von SaaS/PaaS-Services der gängigen Hyperscaler haben die Geschwindigkeit, in der die IT liefern kann, erhöht. Dies hat sicherlich zu einer Verbesserung der Wahrnehmung geführt.

Die gute Zusammenarbeit zur Begegnung der Folgen der Pandemie durch Bereitstellung hybrider Arbeitsumgebungen hat bei den meisten Unternehmen ebenfalls zu einer Verbesserung der Beziehung geführt.

Bei den Hemmnissen für digitale Geschäftsmodelle bewertet die Energiewirtschaft überarbeitete Mitarbeiter (75 Prozent), gesetzliche Regulierung (70 Prozent) und veraltete traditionelle Denkmuster als die größten Hürden. Vor allem die Energieversorger geben verstärkt an, IT-Experten und stärkere Disruptionsbereitschaft sowie besseres Knowhow im Businessbereich zu benötigen.  Warum hinkt die Energiewirtschaft im Vergleich zu Industrie und Finanzen hinterher?
Thomas Gondorf: Erst die Liberalisierung der Märkte und die Energiewende haben die Energieversorger  gezwungen, in einen Wettbewerb um Endkunden einzutreten. Zuvor war die Welt der EVUs durch stabile Geschäfte mit Gewinnen aus Investitionen über Jahrzehnte geprägt. Die Organisationen solcher Unternehmen sind daher eher bewahrend und sehr hierarchisch ausgestaltet. Dies gilt sowohl für Business-Bereiche als auch für die IT.

Für z.B. den Bau und den Betrieb eines Kraftwerkes bedarf es keiner besonders agilen und modernen Organisation. Die Organisation muss eher sicherstellen, dass dieses Kraftwerk sicher und effizient betrieben sowie vermarktet werden kann. Für die Anpassung dieser Organisationen an die geänderten Anforderungen sind enorme Anstrengungen notwendig. Neben der Transition von Aufbau- und Ablauforganisationen ist insbesondere der kulturelle Wandel und die Besetzung von Schlüsselpositionen mit den richtigen Mitarbeitern herausfordernd.

Die Branche der Energieversorger schätzt sich bei der Digitalkompetenz im Vergleich zu Industrie und Finanzen am schlechtesten selbst ein. Ist das wirklich so und woher kommt dieses negative Selbstbildnis?
Thomas Gondorf: Teils, teils. Es gibt sehr viele positive Beispiele bei den EVUs, die digitale Vorreiter geworden sind – genauso wie auch bei den Finanzdienstleistern.

Das Selbstbildnis hängt wahrscheinlich mit der Wahrnehmung der Trägheit der bestehenden Organisationen zusammen, wie bereits zuvor erläutert. Einige EVUs haben sehr selbstbewusste und disruptive Programme umgesetzt, um ihre Organisationen und auch technologischen Architekturen zu modernisieren – diese gehören eher zu den „Gewinnern“ und digitalen Pionieren. Die Masse der EVUs sind jedoch noch in Initiativen zur Modernisierung gefangen und befinden sich in einem Zwischenzustand. In diesem wird zwar mehr Innovation und Digitalkompetenz forciert, die Organisation bremst dies jedoch auf vielen Ebenen aus.

Plattformökonomie: IT-Manager wollen Plattformen anderer Unternehmen nutzen, Business Development will lieber eigene Plattformen entwickeln. Fehlt hier das Verständnis des Business Developments für die Ressourcen der IT oder sind die ITler nicht genügend innovativ eingestellt? Besonders die Energiewirtschaft will im Vergleich zu den anderen Branchen kaum eigene Plattformen entwickeln.
Friederike Krause: Hierzu haben wir uns bei der Auswertung der Studie einige Gedanken gemacht. Wir gehen davon aus, dass der Plattform-Begriff unterschiedlich verwendet wurde. Aus Sicht des Business Development ist es am interessantesten, eine eigene Plattform zu etablieren und zu betreiben. Die Vermarktung solcher Plattformen skaliert Erträge mit der Nutzung und kann ggf. über Partner so skaliert werden, dass Erträge entstehen ohne eigene Aufwände proportional einbringen zu müssen. Insbesondere die großen EVUs haben längst eigene Plattformen etabliert und diverse Partner und kleinere EVUs angebunden. Dies erklärt das geringe Interesse an der Entwicklung neuer Plattformen.

Die IT-Manager haben beim Plattform-Begriff eher Angebote gängiger PaaS/SaaS-Anbieter im Sinn. Diese sind technologisch bereits oftmals so ausgereift, dass der Aufbau eigener Plattformen aus Sicht der IT-Manager nicht zielführen erscheint, sondern eher die Nutzung dieser Plattformen.

Die Fragen stellte Stephanie Gust

Mehr zur Studie finden Sie hier. Die Ergebnisse werden zudem auch in der aktuellen Print-Ausgabe behandelt. Das Abo können Sie hier bestellen.