Smart City / Energy

"Wir wollen sinnvolle Anwendungsfälle"

Bei den Stadtwerken Wolfsburg geht es bei der Digitalisierung nicht nur darum, was ist technologisch machbar ist, sondern auch, was tatsächlich Sinn macht. Zusammen mit der Tochter Wobcom bauen beide Unternehmen mit Weltkonzern Nvidia eine Plattform auf KI-Basis für Wolfsburg auf.
07.12.2021

Treiben ein digitales Wolfsburg voran (von links): Anatoli Seliwanow, Leiter Betrieb Wobcom GmbH, Markus Hacker, Regional Director Enterprise Business DACH bei Nvidia und Dalibor  Dreznjak, Leiter Unternehmensentwicklung und Kommunikation der Stadtwerke Wolfsburg.

Herr Hacker, Nvidia ist ein Weltkonzern, die Stadtwerke Wolfsburg sind nicht ganz so bekannt: Wie kam es zu der Zusammenarbeit im Rahmen des ASTRID Innovation Hubs?
Markus Hacker, Regional Director Enterprise Business DACH bei Nvidia: Wir sehen gerade bei Städten wie Wolfsburg in dieser Größe und mit dieser Dynamik, eine hohe Bereitschaft und großes Interesse, sich über innovative Themen auszutauschen. Oft werden an uns Fragen herangetragen wie: Was können wir mit den uns zur Verfügung stehenden Daten machen und wie kann ich diese nutzen, um die Lebensqualität meiner Stadt zu verbessern?

Kommunen haben zwei Haupt-Herausforderungen: Entweder sie schrumpfen oder sie wachsen sehr stark. Beides bringt verschiedene Herausforderungen mit sich, denen man mit der Auswertung entsprechender Daten gut begegnen kann. Zum Beispiel mit Sensordaten zur Luftverschmutzung, oder indem man Verkehrsströme intelligent lenkt und versucht, das Menschen nicht so gestresst sind und weniger im Stau stehen.

Zudem ist Wolfsburg eine sehr wichtige Stadt für die deutsche, europa- und weltweite Industrie. Für uns ist es wichtig, dass wir jemanden an der Seite haben, der unsere Technologie nutzen will, um positive Dinge zu bewirken, um die Lebensqualität zu verbessern und um Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Die Größe der Organisation oder der Stadt ist für uns erst einmal sekundär.

  • Hintergrund Nvidia

    Revolution durch Parallel-Computing

    Mitte der 90er-Jahre gegründet, entwickelte das 2007 vom US-Magazin Forbes als „Firma des Jahres“ gewählte Unternehmen anfangs vor allem Grafikprozessoren (GPUs) für die Spielkonsolen-Branche. Allerdings stiegen die Anforderungen zunehmend: Nötig wurden mehr Farben und eine höhere Anzahl an Grafik-Pixel im Monitor und somit auch mehr Rechenleistung.

    Mit der Entwicklung einer neuen Rechen-Architektur, dem sogenannten Parallel Computing, revolutionierte NVIDIA den Markt für Visual Computing. Bei diesem Verfahren bearbeiten tausende Prozessoren in der GPU gleichzeitig getrennte Teile einer Gesamtaufgabe, die Bearbeitungsgeschwindigkeit stieg also deutlich. Die Technologie war aber nicht nur für Grafiken interessant, sondern auch für andere Rechenoperationen. Etwa im Bereich High Performance Computing, in der Berechnung von künstlicher Intelligenz oder Big Data Analytics. Inzwischen belegt NVIDIA in den Forbes Global 2000 der weltweit größten Unternehmen Platz 258. Das Unternehmen kam Anfang 2021 auf einen Börsenwert von ca. 396 Mrd. US-Dollar.

Wie darf man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen?
Dalibor  Dreznjak, Leiter Unternehmensentwicklung und Kommunikation der Stadtwerke Wolfsburg: Auf der einen Seite bringt Nvidia das technische Know-How mit, während wir sozusagen auf der anderen Seite versuchen, mit unseren Partnern in der Stadt Wolfsburg herauszufinden, welche Fragestellungen, welche Herausforderungen können mit welchen technischen Lösungen umgesetzt werden? Es geht nicht nur um die Technik. Es geht auch darum, gemeinsam Mehrwerte für gewisse Anwendungsfälle zu schaffen. Bei vielen Technologien, die in den Medien vorgestellt werden, fragt man sich, wozu kann ich das gebrauchen? Wir haben gesagt, wir wollen nicht nur schauen, was ist technologisch machbar, sondern auch, was macht tatsächlich auch Sinn, dass wir es umsetzen. Das ist auch die Kernbotschaft.

Hacker: Wir sehen uns bei Nvidia als Innovationspartner. Wir stellen die technische Plattform zur Verfügung, sind aber kein System-Integrator im Sinne der Stadtwerke Wolfsburg oder der Stadt. Es ist nicht so, dass der Kunde uns ein Pflichtenheft gibt und wir entwickeln dann darauf basierend eine schlüsselfertige Anwendung. Dazu haben wir ein Ökosystem mit Softwareentwicklern und Start-ups, die sich mit einem spezifischen Thema beschäftigen und dazu die Software und Algorithmen entwickeln. Wir helfen aber punktuell bei der Umsetzung, etwa wenn der Algorithmus nicht schnell genug ist oder nicht die Ergebnisse liefert, die die Wolfsburger wollen. Hier würden wir unterstützen, um über diese Hürde zu kommen.

Gibt es denn schon Anwendungsfälle?
Anatoli Seliwanow, Leiter Betrieb Wobcom GmbH: Wir sind erst einmal komplett offen, was das Ergebnis betrifft. Prinzipiell sehen wir die Infrastruktur erst einmal neutral. Wir haben Glasfaser in der Stadt und im Rechenzentrum in der Stadtmitte, aber auch die einzelnen Technik-Standorte in der Stadt. Somit können wir die Daten sowohl zentral als auch mit der Rechenleistung von Nvidia dezentral per Edge Computing verarbeiten.

Wir denken hier so ein bisschen Amazon-like: Wir bauen etwas, das für uns sinnvoll ist und können diese Infrastruktur auch anderen zur Verfügung stellen. Das ist grundsätzlich erst einmal neutral. Der Schwerpunkt liegt natürlich auf Smart-City-Anwendungen, aber wir begrenzen uns nicht nur darauf. Auch industrielle Anwendungen sind denkbar. Hier sind wir mit einigen kleinen Start-ups im Gespräch, die eher aus dem Industriegebiet kommen.

Unser Daten-Modell kann man sich dabei quasi wie bei Lego-Bausteinen vorstellen: die Künstliche Intelligenz ist unsere Plattform und darauf aufbauend kommen Bausteine, die wiederum die Daten entsprechend verwerten können. Mit der Stadt sind wir daher schon länger unterwegs, um unsere eigene Datensammlung aufzubauen und haben so ein Fundament aufgebaut. Ohne Daten lassen sich auch keine Anwendungen realisieren, egal ob digital oder gar KI. Jetzt ist sozusagen die Zeit, wo wir andere Partner ins Boot holen können, die damit ebenfalls große Analysen machen können.

Apropos Daten, wie kommen Sie denn an die Daten?
Dreznjak: Das ist natürlich immer eine vieldiskutierte Frage. Beim Thema Daten denkt man oft an personenbezogene Daten. Was passiert mit meinen Daten und wer hat Zugriff darauf – Stichwort DSGVO. Da muss man differenzieren und es kommt auf den Anwendungsfall an. Es gibt Fälle, die kann man relativ problemlos umsetzen, weil es dort eben keine Daten gibt, die personenbezogen sind oder Rückschlüsse auf Personen ziehen lassen. Und es gibt andere Fälle, in denen sich Nutzer bereit erklären, dass ihre Daten entsprechend verarbeitet werden dürfen. Aber es werden in keinem Fall Daten verarbeitet, wenn die Nutzer nicht explizit eingewilligt haben. Letztlich geht es immer darum, die Daten auch sinnvoll einzusetzen, so dass der Nutzer auch etwas davon hat. Und wenn er dann einen Mehrwert für sich erkennt, ist er auch in der Regel bereit, seine Daten dafür zur Verfügung zu stellen.

Die vertikale Bauweise unseres Rechenzentrums ermöglicht es uns außerdem, dieses mitten im Herzen der Stadt Wolfsburg betreiben zu können, statt wie oft üblich in einem Industriegebiet. Wir haben auf jeder Etage eigene Zonen und die entstehende Abwärme verwenden wir im eigenen Haus, um die Räume zu beheizen.
Anatoli Seliwanow, Leiter Betrieb Wobcom GmbH


Die Stadtwerke-Tochter Wobcom ist auch bei Ihrer Telekommunikationsnetzen sehr fortschrittlich. Sie verwenden eine sogenannte Spine-Leave Architektur
Seliwanow: Wir waren mit die Ersten, die diese Architektur auch auf die Netzwerke als Service-Provider angewendet haben. Die Vorteile dieses Modells liegen auf der Hand: die verbesserte Latenzzeit, reduzierte Bottlenecks und höhere Bandbreite. Insgesamt also eine bessere Skalierbarkeit nicht nur für Heute, sondern auch für Morgen und möglichst Übermorgen. Neben der Architekturentscheidung sind wir auch bei der Auswahl von Hard- und Software einen anderen Weg gegangen. Wir betrachten diese separat, um die Abhängigkeit von Herstellern zu reduzieren und den Automatisierungsgrad deutlich zu erhöhen. Bei der Software, also dem Betriebssystem der aktiven Komponenten wie Switches, setzen wir konsequent auf Linux. Damit stehen uns eine Reihe von Werkzeugen zur Verfügung diese Geräte automatisch provisionieren und konfigurieren zu können. Wir haben eine eigene Softwarekomponente entwickelt, die die Konfiguration nach dem „Documentation-First“-Prinzip automatisch in Sekunden auf die Switches verteilt. Ein Mitarbeiter dokumentiert zuerst die gewünschte Änderung im Netzwerk in einer Software, ein anderer prüft und gibt diese frei, in Sekunden verteilt sich diese Konfiguration im Netzwerk. Damit können wir mit einer geringen Anzahl von Fachleuten ein großes und skalierbares Netz betreiben. 

Bei der Spine-Leave-Architektur haben wir ein Netz, das ganz viele Verbindungen hat, die redundant aufgebaut sind. Wir haben hier unser skalierbares 100G-Netzwerk, das neueste State of the Art, was die Bandbreiten und Latenzen angeht. Das konnten wir bisher nur im Data-Center-Bereich und das haben wir jetzt auf die ganze Stadt ausgeweitet. Wir sind mit dieser Architektur sehr zufrieden, weil wir dadurch den Bandbreitenbedarf, der sich regelmäßig verdoppelt, auch damit abdecken können und die Infrastruktur zusammenwachsen kann.

Die vertikale Bauweise unseres Rechenzentrums ermöglicht es uns außerdem, dieses mitten im Herzen der Stadt Wolfsburg betreiben zu können, statt wie oft üblich in einem Industriegebiet. Wir haben auf jeder Etage eigene Zonen und die entstehende Abwärme verwenden wir im eigenen Haus, um die Räume zu beheizen.

Übrigens, wenn wir schon bei der Energieeffizienz sind, die parallele Prozessorarchitektur von Nvidia ist auch nachgewiesenermaßen deutlich energieeffizienter als dies bei einem rein seriellen Computing der Fall wäre. Auch wenn durch die hohe Rechenleistung eines Prozessors in Summe mehr Strom verbraucht wird als alle anderen Prozessoren, ist der Koeffizient bei der Beziehung zwischen Rechenleistung und Energieaufwand beim Parallel Computing deutlich effektiver.

Ich habe gehört, für Wolfsburg soll auch eine App entstehen?
Dreznjak: Wir entwickeln und planen im Auftrag und gemeinsam mit der Stadt Wolfsburg eine Smart-City-Applikation, die sogenannte Wolfsburg-App. Die App wird vom Förderprogramm „Modellprojekte Smart Cities“ des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) finanziert. Sie ist eines der Projekte, die unter dem Dach von #WolfsburgDigital derzeit entwickelt werden. Hier muss im Moment noch die ein oder andere Stelle geklärt werden. Mit der App soll Wolfsburg für den Bürger oder Tourist erlebbar gemacht und die Aufenthaltsqualität in Wolfsburg gesteigert werden.

Sprich, jeder kann sich in dieser App seine Favoriten oder persönlichen Interessen hinterlegen. Beispielsweise kann als bevorzugtes Verkehrsmittel das Auto ausgewählt werden. Über die App können Nutzer dann prüfen, wo die nächste freie Ladesäule ist oder wo man möglichst kostengünstig parken kann. Wir überlegen hier die verschiedenen Möglichkeiten und Anwendungsfälle und wollen die entsprechenden Funktionen in einer App zusammenführen. Die App wird sukzessive weiterentwickelt. Sie soll viele Dienstleistungen und Interessen der Bürger widerspiegeln, damit die App sie bei möglichst vielen Dingen in ihrem tagtäglichen Leben unterstützen kann.

Die Fragen stellte Stephanie Gust

Mehr zu den Details der digitalen Stadt Wolfsburg finden Sie auch in der Dezember-Ausgabe der ZfK. Das Abo finden Sie hier.