Gas

Analyse: Wie Deutschland zur Wasserstoffrepublik werden kann

McKinsey fordert im aktuellen Energiewende-Index ein gemeinsames Zielbild. Es brauche Planungssicherheit. Der Wasserstoff-Bedarf sei jedenfalls riesig - nicht nur entlang der Rheinschiene.
07.09.2023

McKinsey hat sich für den aktuellen Energiewende-Index intensiv mit dem Wasserstoff-Hochlauf befasst.

McKinsey zeigt in seinem Energiewende-Index am Beispiel der Industrieregion entlang der Rheinschiene detailliert auf, wie die Wasserstoffwende gelingen kann. Die insgesamt 15 Indikatoren im aktuellen Energiewende-Index weisen gegenüber der letzten Erhebung vom März keine massiven Veränderungen auf: Fünf Indikatoren sind nach wie vor unrealistisch in ihrer Zielerreichung, vier befinden sich weiterhin auf der Kippe und sechs Indikatoren verbleiben in der Kategorie „realistisch“.

„Noch steckt die Wasserstoffwirtschaft hierzulande in den Kinderschuhen. Mit der Neuauflage der Wasserstoffstrategie hat die Politik ambitionierte Pläne vorgelegt. Jetzt gilt es, im Schulterschluss zwischen allen Beteiligten ein klares und verlässliches Zielbild und einen Prozess dorthin zu erarbeiten, damit kurzfristig Investitionsentscheidungen getroffen werden“, sagt Thomas Vahlenkamp, Senior Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey und Co-Autor des Energiewende-Index.

Steigender Bedarf

An der Rheinschiene zwischen Duisburg und Karlsruhe – eines der größten potenziellen Wasserstoffcluster in Deutschland – haben große industrielle Abnehmer wie die Stahl- und Chemieindustrie sowie Raffinerien und Energieerzeuger 2030 einen Bedarf von 1 Mio. t Wasserstoff pro Jahr, abhängig von regulatorischen Vorgaben. Dieser Bedarf könnte bis 2050 auf mehr als 3,5 Mio. t ansteigen.

Die tatsächlich realisierte Nachfrage wird wesentlich von dem Preis abhängen, zu dem potenzielle Abnehmer Wasserstoff beziehen können. Aktuell ist davon auszugehen, dass sich die Preise für die Produktion von Wasserstoff in Deutschland 2030 auf etwa 6,50 bis 8,50 Euro/kg belaufen werden. Grund dafür sind zum einen hohe Opportunitätskosten für den Einsatz von grünem Strom: Würde dieser nicht für grünen Wasserstoff verwendet, könnte er zu höheren Preisen direkt im Strommarkt verkauft werden. Zum anderen sind zusätzliche Aufwendungen für die Speicherung einzupreisen, da industrielle Abnehmer auf eine konstante Verfügbarkeit angewiesen sind.

Günstiger Transport über Pipelines

Günstiger könnte grüner Wasserstoff nach McKinsey-Analysen aus Nordafrika über Pipelines oder aus ferneren Regionen über Schiffstransporte importiert werden, da die Stromproduktion aus Wind- und oder Solarenergie in vielen Ländern günstiger ist. Zwar fallen auf beiden Transportwegen zusätzliche Kosten an: beim Pipelineimport durch die Leitungsnutzung und Speicherung, beim Schiffstransport durch die erforderliche Umwandlung des Wasserstoffs in Ammoniak und wieder zurück. Dennoch ist importierter grüner Wasserstoff mit etwa 3,50 bis 5,50 Euro/kg voraussichtlich günstiger als national produzierter. Blauer Wasserstoff aus den USA oder Norwegen könnte sogar schon für 2,50 bis 3 Euro/kg bezogen werden.

Thomas Vahlenkamp: „Neben der Nachfrageentwicklung spielt der Ausbau des Transportnetzes eine zentrale Rolle, um die Marktentwicklung der Wasserstoffwirtschaft zu forcieren.“ Große Abnehmer im Ruhrgebiet könnten schon durch die Umrüstung von rund 500 km bestehenden Pipelines und einige neu gebaute Leitungen bedient werden. Um allerdings die Industriebetriebe entlang des Rheins bis nach Karlsruhe zu erreichen, müssten deutlich mehr als 1000 km Pipelinenetz umgerüstet bzw. neu verlegt werden. Die Investitionskosten dafür bewegen sich bereits im einstelligen Milliardenbereich, wenn auch nur 20 bis 30% der Leitungen neu zu bauen sind und das Gros durch Umrüstung bestehender Pipelines erschlossen werden kann. Trivial sind Projekte dieser Dimension nicht: Die Umrüstung könnte rasch an Grenzen stoßen, wenn die Pipelines weiterhin benötigt werden, um die Gasnachfrage zu bedienen.

Grundstein legen

„Für alle potenziellen Wasserstoffcluster gilt: Besteht erst einmal ein einheitliches Verständnis über die Bedarfe, Zahlungsbereitschaften und Preise, wäre der Grundstein für die Marktentwicklung gelegt“, so Vahlenkamp.

Die insgesamt 15 Indikatoren im aktuellen Energiewende-Index zeigen gegenüber der letzten Erhebung vom März keine massiven Verschiebungen: Sie alle verbleiben in ihren bisherigen Zielerreichungskategorien. Innerhalb der Gruppen gibt es jedoch Bewegung bei den Indikatoren.

Weit hinter den Zielen zurück bleibt etwa der Indikator Ausbau Transportnetze. Trotz leichter Verbesserung in der Zielerreichung auf 41% verläuft der Netzausbau mit zuletzt 453 km immer noch deutlich schleppender als geplant (knapp 550 km pro Halbjahr). Die Gesamtlänge beträgt jetzt 2.458 km und damit weniger als die Hälfte der angestrebten 5.553 km. Fortschritte gibt es immerhin bei den Genehmigungsverfahren: Wurden in den Jahren 2019 bis 2021 pro Halbjahr nur rund 150 km genehmigt, waren es 2022 im gleichen Zeitraum fast 500 km.

Für den Indikator Sektorkopplung Wärme wurden neue Daten veröffentlicht. Der Erneuerbaren-Anteil am Endenergieverbrauch im Bereich Wärme und Kälte liegt danach im Jahr 2022 bei 17,4% und damit 1,5 Prozentpunkte über dem Vorjahreswert. Um auf dem Zielpfad von 50% in 2030 zu bleiben, hätte er allerdings bereits auf 20,2% steigen müssen. Die aktuelle Zielerreichung verharrt bei 64%. Mit dem Gebäudeenergiegesetz will die Bundesregierung das Tempo nun merklich erhöhen. (amo)