Gas

Forscher: Warum Erdgas keine Brückentechnologie ist

Wissenschaftler warnen vor einem Ausbau der Erdgasinfrastruktur. Ihnen geht es dabei nicht "nur" um das Klima, sondern den vorzeitigen Wertverlust fossiler Vermögenswerte.
06.07.2022

Erdgas gilt vielen immer noch als Brückentechnologie. Ein Wissenschaftler-Team widerspricht dieser Annahme.

Der Ausbau der Erdgasinfrastruktur stellt ein Risiko für die Energiewende dar, da Erdgas keine Brückentechnologie hin zu einem 100 Prozent erneuerbaren Energiesystem im Sinne des Pariser Klimaabkommens ist. Das ist das Ergebnis einer Studie eines interdisziplinären deutschen Forschungsteams, die in der Zeitschrift Nature Energy erschienen ist. Die Forscher beleuchten die Erdgasfrage aus fünf Perspektiven und stellen dem Gas eine vergleichbar schlechte Klimabilanz aus wie Kohle oder Öl. Sie empfehlen Politik und Wissenschaft, die aktuellen Annahmen über Erdgas zu überarbeiten.

Die Studie wurde unter der Leitung von Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Leuphana Universität Lüneburg in Zusammenarbeit mit Franziska Hoffart von der Ruhr-Universität Bochum, Fabian Präger von der Technischen Universität Berlin und Isabell Braunger und Hanna Brauers von der Europa-Universität Flensburg erstellt.

Kemfert: Zu lange an Erdgas festgehalten

Wie Kemfert betont, ist fossiles Erdgas weder sauber noch sicher. Das zu lange Festhalten an fossilem Erdgas habe Deutschland in eine Energiekrise geführt, aus der jetzt nur entschlossenes Handeln für eine konsequente Dekarbonisierung hin zu einer Vollversorgung aus erneuerbaren Energien führen könne.

Die Wissenschaftler hinterfragen weitverbreitete Annahmen zu Erdgas. Dabei stehen Risiken, die mit einem weiteren Ausbau der Erdgasinfrastruktur sowie einer weiterhin starken Nutzung von Erdgas einhergehen, im Fokus. Eine Kernthese: Die Klimawirksamkeit der Erdgasnutzung werde erheblich unterschätzt; der fossile Energieträger sei keinesfalls per se die bessere Alternative zur Kohle- und Ölnutzung. „Das Problem ist nicht nur das CO2, sondern das stark wirksame Treibhausgas Methan, das entlang der kompletten Wertschöpfungskette durch flüchtige Emissionen unverbrannt in die Atmosphäre entweicht. Diese Emissionen wurden bislang nicht ausreichend berücksichtigt und unterschätzt“, erklärt Fabian Präger.

Stranded Assets drohen

Zudem stellen die Forscher fest, dass ein Ausbau von Erdgasinfrastruktur zu Pfadabhängigkeiten („Lock-In-Effekte“) und ökonomischen Klimarisiken wie dem vorzeitigen Wertverlust fossiler Vermögenswerte („Stranded Assets“) führen kann. „Investitionen in fossile Energieinfrastruktur zementieren fossile Abhängigkeiten und Emissionen für Jahrzehnte. Es entstehen enorme wirtschaftliche Kosten und fossile Pfadabhängigkeiten, die den Ausstieg aus der fossilen Energie und den Aufbau eines zu 100 Prozent erneuerbaren Energiesystems verzögern. Infrastruktur, die nicht kompatibel mit den Klimazielen ist, droht eine frühzeitige Stilllegung mit ökonomischen Verlusten“, unterstreicht Franziska Hoffart.

Die Maßnahmen im Einzelnen

  • Management der Methanemissionen in der gesamten Erdgas-Wertschöpfungskette
  • Überarbeitung der Annahmen von Szenarioanalysen anhand neuer Forschungserkenntnisse über Treibhausgasemissionen im Zusammenhang mit Erdgas
  • Ersetzen des Narrativs der Brückentechnologie durch eindeutige und entschlossene Dekarbonisierungskriterien
  • Vermeidung zusätzlicher Erdgas-Lock-Ins und Methanlecks
  • Ernsthafte und strikte Einbeziehung klimabezogener Risiken bei der Energieinfrastrukturplanung

Das Besondere an der Arbeit sei die Kombination unterschiedlicher Perspektiven zu einem ganzheitlichen Blick auf die Thematik, heißt es in einer Pressemitteilung. „Damit zeigen wir, dass die aktuelle Diskussion lückenhaft ist und ein ganzheitlicher und interdisziplinärer Forschungsansatz zur Energiewende und zu sozial-ökologischen Transformationsprozessen, tiefergreifende Erkenntnisse liefert“, so die Autoren der Studie. Die klima- und geopolitische Energiekrise um fossile Brennstoffe unterstreiche die Notwendigkeit eines zeitnahen und konsequenten Erdgasausstiegs, der gesamtgesellschaftlich zu organisieren und umzusetzen sei. (amo)