Wärme

Vorwürfe gegen Vattenfall: Kerstan macht Druck bei Fernwärme

Viel Zeit bleibt der Hansestadt Hamburg nicht mehr für den Rückkauf des Fernwärmenetzes. Bis Ende November läuft die Frist aus.
19.09.2018

Im Streit zwischen Vattenfall und dem Hamburger Senat geht es auch um einen Ersatzstandort für das Kohlekraftwerk Wedel.

Gut zehn Wochen vor Ablauf der Frist zum Rückkauf des Fernwärmenetzes durch die Stadt Hamburg erhebt Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) schwere Vorwürfe gegen Mehrheitseigner Vattenfall. Der schwedische Energiekonzern sei «derzeit kein zuverlässiger Partner», sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. «Das Unternehmen hat mehrfach Vereinbarungen mit der Stadt gebrochen. Es verweigert unrechtmäßig die Herausgabe von Daten an die Stadt als Gesellschafter und verzögert das Genehmigungsverfahren für die Elbleitung, um die Stadt unter Druck zu setzen.»

Vattenfall wies die Vorwürfe des Senators umgehend zurück. «Wir haben nicht gegen Vereinbarungen verstoßen. Entscheidungen über alle relevanten Investitionen in der Hamburger Fernwärme werden schon seit 2011 einvernehmlich mit der Stadt in ihrer Rolle als Gesellschafterin getroffen», sagte Sprecherin Barbara Meyer-Bukow.

Senat trägt Eigenschuld

Die FDP warf Kerstan vor, mit dem Angriff «vom eigenen Versagen» ablenken zu wollen. «Fakt ist, dass der rot-grüne Senat trotz mehr als dreijähriger Planung kein tragfähiges Fernwärmekonzept entwickelt hat», sagte Fraktionschef Michael Kruse.

Bis zum 30. November kann die Stadt, die bereits 25,1 Prozent an der Vattenfall Wärme Hamburg GmbH hält, das Netz vollständig zurückkaufen und damit dem 2013 in einem Volksentscheid geäußerten Bürgerwillen entsprechen. Allerdings war 2014 mit Vattenfall ein Mindestkaufpreis von 950 Mio. Euro für das gesamte Unternehmen vereinbart worden – rund 300 Mio. mehr als es einem Gutachten zufolge heute noch wert ist.

Geschäftsgeheimnis vs. Informationspflicht

Ein Rückkauf zu diesem Preis könnte gegen die Landeshaushaltsordnung verstoßen. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) lässt deshalb derzeit den Volksentscheid – in dem der Senat aufgefordert wird, alle «zulässigen Schritte» zum Rückkauf zu unternehmen – und die möglichen Folgen seiner Umsetzung verfassungs- wie auch strafrechtlich prüfen.

Hinsichtlich der laut Kerstan zurückgehaltenen Daten geht es um Unternehmenszahlen der Hamburg Wärme, die dem Wertgutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO zugrunde liegen, jedoch laut Vattenfall aufgrund des Geschäftsgeheimnisses nicht veröffentlich werden können. Gegenüber der städtischen Beteiligungsgesellschaft HGV – Miteigentümerin der Hamburg Wärme – sei man allen Informationspflichten «stets in vollem Umfang nachgekommen» und habe dieser «in großem Umfang Unterlagen zur Verfügung gestellt», teils auch an Dritte, sagte Meyer-Bukow. «Mit Blick auf schützenswerte Geschäftsgeheimnisse gibt es hier aber Grenzen.»

Kerstan: Volksentscheid sei verpflichtend

Kerstan hatte ein neues Gutachten in Auftrag gegeben, das neben dem reinen Unternehmenswert auch den volkswirtschaftlichen Nutzen eines Rückkaufs durch die Stadt einbeziehen soll. Angaben zum Stand machte er am Mittwoch nicht, verwies aber darauf, dass die ebenfalls im Rahmen des Volksentscheids zurückerworbenen Strom- und Gasnetze als städtische Unternehmen «auf einen guten Kurs gebracht» worden seien.

«Wenn die Stadt auch die Kontrolle über die Fernwärme zurückbekommt, können wir endlich eine Energiepolitik aus einem Guss machen, die sich an Klimaschutz und Verbraucherinteressen orientiert statt an Konzernrenditen», sagte Kerstan. Für die Grünen sei deshalb klar: «Der Volksentscheid von 2013 ist verbindlich und verpflichtet uns dazu, die Kontrolle über die Wärmegesellschaft jetzt zu übernehmen.»

Neue Wärmeleitung verzögert sich

Der zweite Vorwurf des Senators richtet sich gegen das derzeit auf Eis liegende Genehmigungsverfahren für eine neue Wärmeleitung unter der Elbe. Sie ist Voraussetzung für das Konzept der Umweltbehörde, mit dem diese das überalterte und emissionsstarke Kohle-Heizkraftwerk Wedel ersetzt will, das derzeit noch 120000 Haushalte im Hamburger Westen mit Wärme versorgt. Kerstan will künftig unter anderem die Wärme aus Abwasser und Industriebetrieben sowie einen unterirdischen Wärmespeicher unter der Dradenau im Hafen nutzen.

Vattenfall hatte das Genehmigungsverfahren für diese Leitung sowie für eine weitere Trasse zur Anbindung des Kohle-Kraftwerks Moorburg an die Müllverwertungsanlage Rugenberger Damm (MVR) angestoßen, mit der Moorburg als Wedel-Ersatz an das Fernwärmenetz angeschlossen werden sollte. Nachdem die Moorburg-Lösung politisch nicht durchzusetzen war, hatte der Konzern den Neubau eines Gaskraftwerks auf der Elbinsel Dradenau ins Spiel gebracht.

Kerstan warnt vor Netzrückkauf durch Investoren

Meyer-Bukow räumte ein, «dass sich das Planfeststellungsverfahren für die Elbleitung aufgrund des ins Auge gefassten Kraftwerksneubaus auf der Dradenau verzögern» könnte. «Die für ein rechtssicheres Verfahren erforderliche Planbegründung erfordert eine Konkretisierung der Kraftwerkspläne.» An diesen werde «gemeinschaftlich mit Hochdruck gearbeitet».

Für den Fall, dass Hamburg von seinem Rückkaufrecht keinen Gebrauch mache, warnte Kerstan erneut vor einer Übernahme des Fernwärmenetzes durch Investoren. Dabei sei ein Kaufpreis noch über den vereinbarten 950 Millionen Euro vorstellbar. «Für Energie- und Wärmeunternehmen werden derzeit von strategischen Investoren hohe Preise bezahlt, das zeigt zum Beispiel der Fall des Wärmeversorgers Steag im Ruhrgebiet oder des Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz. Für eine Beteiligung an der Steag haben Versicherungskonzerne Ende 2017 dem Vernehmen nach deutlich mehr als den Buchwert an die öffentlichen Eigner gezahlt.» Insofern bemesse sich der Unternehmenswert «nicht an der Bilanz, sondern am Preis, der am Markt dafür erzielt werden kann». (ls/dpa)