Wärme

Wärmewende und Gasverteilnetze: Weiterbetrieb oder Stilllegung?

Eine neue Studie untersucht die Auswirkungen der Wärmewende auf die Gasverteilnetze. Ein Ergebnis: Der Rechts- und Regulierungsrahmen muss dringend nachjustiert werden.
10.09.2018

Die Wärmewende ist eine der entscheidenden Stellschrauben, um die ambitionierten CO2-Ziele der Bundesregierung zu erreichen. Der verstärkte Einsatz von direkten, vor allem aber indirekten erneuerbaren Energien im Wärmebereich könnte – je nach Ausgestaltung – allerdings zu Lasten der überkommenen Strukturen der Gas- und Wärmeversorgung in Deutschland gehen, heißt es in einer Mitteilung von BBH. Wie sich Wärmewende und Sektorenkopplung auf diese Infrastrukturen auswirken, steht im Mittelpunkt einer neuen Studie, die von der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH) und der Unternehmensberatung Becker Büttner Held Consulting AG (BBHC) im Auftrag verschiedener Energieversorger und Netzbetreiber erarbeitet wurde. Die wichtigsten Ergebnisse sind in einer Management Summary zusammengefasst, die nun veröffentlicht wurde.

Durch eine Meta-Analyse bereits veröffentlichter Studien leiteten demnach die Autoren von BBH und BBHC vier verschiedene Nachfrageszenarien bis zum Jahr 2050 und acht Modellverteilnetze ab, aus denen sie insgesamt 32 integrierte Netzplanungen entwickelten. Diese analysierten sie sowohl betriebswirtschaftlich als auch unter regulatorisch-rechtlichen Gesichtspunkten.

Gretchen-Frage stellt sich ab Mitte der 2030er Jahre

Die Ergebnisse: Je nach Szenario wird die Gasnachfrage zum Teil drastisch, zum Teil nur geringfügig sinken. Dadurch ergeben sich für die Gasnetzbetreiber potenziell erhebliche wirtschaftliche Folgen, auf die sie entweder mit Stilllegungen ihrer Netze oder Anpassungen ihrer Unternehmensstrategie frühzeitig reagieren sollten. Der aktuelle Regulierungsrahmen lässt den Netzbetreibern allerdings nur wenig Gestaltungsspielraum.

Selbst in dem für die Gasinfrastrukturbetreiber auf Verteilnetzebene günstigstem Szenario einer Grüngas-Welt stünden mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens einzelne Teilnetze des bisherigen Netzgebietes unter Druck und stünden ab Mitte der 2030er/Anfang der 2040er Jahre vor der (Gretchen-)Frage: Weiterbetrieb oder Stilllegung, resümieren die Autoren. Aufgrund der langfristigen Zyklen bei Investitionen in Infrastrukturen müssten sich Gasverteilnetzbetreiber daher schon heute bei jeder neuen Investition in ihr Gasnetz und bei jeder Diskussion über mögliche betriebswirtschaftlich-technische Reaktionen die Frage ihrer Sinnhaftigkeit stellen.

Politik darf Gasnetzbetreiber "nicht alleine lassen"

Der  aktuelle Rechts- und Regulierungsrahmen passe dabei nicht für eine Infrastruktur, die –  wenn man die politischen Klimaschutzziele ernst nimmt – (partiell) ein Verfallsdatum trägt, heißt es weiter. Der Rechts- und Regulierungsrahmen räume den Netzbetreibern bislang keine Option auf eine betriebswirtschaftlich sachgerechte Reaktion ein – dies müsse vom Gesetzgeber dringend nachjustiert werden. Positiv gewendet könne die Wärmewende infolge ihrer Heterogenität aber auch nur gelingen, wenn Kommunen ihre durchaus schon vorhandenen Planungskompetenzen nutzten. Energieversorgern vor Ort biete sich im Schulterschluss mit den Kommunen die Chance, mittels kommunaler Wärmeleitpläne die Wärmewende in ihrem Sinne mit zu gestalten.

„Die Struktur der Wärmeversorgung wird sich – sofern die Klimaschutzziele von der Bundesregierung ernsthaft verfolgt werden – in den nächsten Jahrzehnten grundlegend ändern. Die Politik darf die Gasnetzbetreiber auf diesem Weg nicht alleine lassen“, so Rechtsanwalt Olaf Däuper, der als BBH-Gas-Experte die Studie federführend begleitete. Peter Bergmann, Vorstand der BBHC, und Thomas Straßer, Experte für Unternehmensbewertungen bei BBH, ergänzen: „Man wird sich den gesamten Regulierungsrahmen und die Netzentgeltsystematik genau anschauen müssen, wenn der Wärmesektor zur Energiewende einen Beitrag leisten soll.“

Großes Potenzial auf dezentraler Ebene

Schon heute sehen die Studienautoren erhebliches Potenzial besonders auf dezentraler Ebene: Durch das Instrument der kommunalen Wärmeleitplanung lasse sich die günstigste Strategie einer langfristigen Wärmeversorgung vor Ort identifizieren und im Zusammenspiel mit Stadtwerken und weiteren kommunalen Akteuren umsetzen. „Die Wärmewende wird auf kommunaler Ebene starten oder gar keine Fahrt aufnehmen“, so Däuper. (hil)