So wecke ich Interesse an meiner Stellenausschreibung
Herr Boldt, Sie sagen, dass die Energiebranche mit einem „Any Collar Recruiting“ punkten kann: Was meinen Sie damit?
Grundsätzlich geht es mir um einen ganzheitlichen Rekrutierungsansatz. Vor etwa 100 Jahren wurde der Begriff des „Blue Collar Workers“ eingeführt, also des körperlich tätigen Arbeiters. Daneben gab es den „White Collar Worker“, der eher im Büro tätig war, und es folgten noch weitere Differenzierungen. Interessanterweise unterscheiden wir hier zum Teil heute noch.
Dabei wird es wird immer schwieriger, Menschen zu rekrutieren, die draußen operativ tätig sind. Ich habe vielleicht die perfekte Stellenausschreibung, aber die Person schaut nicht auf mein Portal oder in die Zeitung. Und gerade im Versorgungsbereich haben wir sehr viele Beschäftigte, die im Außendienst sind, zum Beispiel einen Servicetechniker für Windkraftanlagen. Da geht es nicht darum, welchen Kragen jemand hat. Sondern: Was motiviert einen Bewerber, sich meine Stellenanzeige anzuschauen, und wie überzeuge ich im Vorstellungsgespräch?
Die klassischen Stellenanzeigen gehören noch dazu?
Ja, und das wird auch in Zukunft so sein! Aber wir brauchen einen hollistischen Ansatz: Wie formuliere ich eine Stellenanzeige? Hier kommt das Thema Employer Branding ins Spiel: Wie stelle ich mich als Arbeitgeber dar? Dazu gehört auch das Kampagnenmanagement, das dann aus dem Recruiting heraus gesteuert wird. Talentierte Fachkräfte werden gesucht und Bewerber machen wenig Abstriche. Und meine Stellenanzeige ist vielleicht nur eine von vielen. Man kann sich heute überall bewerben, ob in Frankreich oder Spanien, alles ist möglich. Ein Unternehmen muss für sich klar beantworten können, was es zu bieten hat.
Und wie kann ich auf mich und mein Stellenangebot aufmerksam machen?
Natürlich kann ich meine Anzeigen verlinken und Bewerber in sozialen Netzwerken direkt auf ein Jobangebot und mein Unternehmen hinweisen. Aber es geht noch weiter: Angenommen, ein Techniker ist viel im Außendienst unterwegs. Dann können Raststätten und Hotels ein wichtiger Anlaufpunkt sein. Viele Beschäftigte sind noch auf Montage. Hier reichen QR-Codes, die auf die Stellenanzeige verweisen. Das ist ganzheitliches Recruiting – so wird HR auch zum Marketing. Wichtig ist, Dinge auszuprobieren und dann zu evaluieren.
Was ist den Bewerbern heute besonders wichtig?
Die Arbeitgeber schrecken oft vor der Generation Z zurück, sie hätte überzogene Ansprüche. Diese zeigt aber einfach, wohin die Transformation in den nächsten Jahren geht. Man kann heute schon mit kleinen Dingen im Recruiting viel erreichen. Ehrlichkeit und Transparenz kann jedes Unternehmen vorleben. Das ist wichtiger als über Werbeagenturen glatte Mitarbeiterslogans zu generieren. Nicht jedes Unternehmen muss auf jeden Tik-Tok-Trend aufspringen.
Man kann im Vorstellungsgespräch auch sagen: Es gibt Bereiche, da sind wir weniger stark, aber in Gebieten, die vielleicht zu dir passen, sind wir groß. Und das kommt gerade bei der jungen Generation gut an, wenn man sich in der Präsentation von anderen Unternehmen abhebt. Das ist auch eine Frage der Unternehmenskultur.
Kann ich als Unternehmen noch Forderungen stellen?
Sicher. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Generation Z genauso leistungsbereit ist wie die Arbeitnehmer früher: Sie ist nur offener und kommuniziert ihre Grenzen ehrlicher. Seit Generationen denken die Älteren, dass sie früher mehr geleistet hätten. Heute wird durch die Digitalisierung einfach viel mehr verglichen. Diesem Wettbewerb müssen sich Unternehmen stellen. Das bedeutet aber auch, dass Beschäftigte schnell neue Angebote bekommen und eher bereit sind, ihren Arbeitsplatz zu wechseln.
Da ist Kreativität im Rekrutierungsprozess gefragt?
Auf jeden Fall! Ein gutes Beispiel ist derzeit das hundefreundliche Büro. Damit können viele Arbeitgeber punkten, natürlich nur, wenn es die Umstände zulassen. Nach dem Motto: „Wir wollen Präsenz im Büro, aber du kannst deinen Hund mitbringen.“ Und andere Mitarbeitende arbeiten vielleicht gerne in einer Unternehmenskultur, in der ein „Bürohund“ dann irgendwie für alle da ist. Das ist nur ein mögliches Beispiel von vielen.
Und da gibt es bei den Energieversorgern mit ihren ganz unterschiedlichen Größen und regionalen Besonderheiten noch viel Potenzial, sich als Unternehmen im Bewerbungsprozess zu vermarkten. Das heißt dann auch, im Vorstellungsgespräch flexibel zu sein und keinen vorgefertigten Fragenkatalog abzuarbeiten.
Braucht es dafür junge Recruiter?
Ein klares Nein. Jeder Recruiter aus jeder Generation bringt wichtige Impulse ein. Aus meiner Sicht ist es auch falsch, sich zu sehr auf die Generation Z zu konzentrieren. Auch der Mitarbeiter, der seit 30 Jahren im Unternehmen ist, hat gute Ideen, worauf Mitarbeiter heute Wert legen, gerade in seinem Umfeld – und weiß auch, wie man bestimmte Menschen für sich gewinnen kann. Man muss einfach viel ausprobieren und das dann datengestützt auswerten.
Das ist der erste Schritt für Personaler: Über welche Suchbegriffe werden meine Stellenanzeigen auf meiner Karriereseite gefunden? Die Zahlen können auch Druck nehmen, wenn man irgendwann sieht, dass das eigene Angebot bei den Bewerbern ankommt. Und ich sehe ganz klar, was nicht funktioniert.
Und wo steht die Energiewirtschaft in der Gunst der Bewerber?
Zunächst einmal ist das Thema Strom für viele Menschen kein Hobby wie vielleicht Fliegen oder Autos. Da sind Unternehmen wie Lufthansa oder BMW zunächst im Vorteil. Aber das heißt noch gar nichts. Hier schließt sich der Kreis zum ganzheitlichen „Any Collar Recruiting". Als Energieunternehmen muss ich auf mich und mein Stellenangebot aufmerksam machen. Welche Benefits habe ich, wie ist das Gehalt, wie wird New Work bei uns gelebt? Welche Teilzeitmöglichkeiten gibt es? Die Energieversorger sind hier meist sehr gut aufgestellt. (bs)
Das Interview führte Boris Schlizio.