Rückgang in homöopathischen Dosen
Die deutschen Treibhausgasemissionen sind 2017 kaum messbar zurückgegangen – aus diesem Anlass fordert Bundesumweltministerin Svenja Schulze, eine nationale Verkehrswende müsse ein Schwerpunkt dieser Wahlperiode werden. Der Ausstoß des Verkehrssektors gehe "leider immer noch in die falsche Richtung", hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung ihres Ministeriums und des Umweltbundesamtes (UBA). UBA-Chefin Maria Krautzberger bezeichnete die CO2-Flottenziele, die die EU-Kommission für 2025 und 2030 vorgeschlagen hatte, als "nicht ausreichend. Hier müssen wir schnell nachsteuern."
Ministerin Schulze bekräftigte, in diesem Jahr ein Klimaschutzgesetz vorzubereiten und 2019 zu verabschieden. Damit solle Deutschland das 55-Prozent-Minderungsziel für 2030 doch noch erreichen. Vom Ziel einer Reduktion um 40 Prozent für 2020 war bei ihr nicht die Rede. Die Politikerin machte sich zudem für die geplanten Sonderausschreibungen für Onshore-Windkraft stark. Diese seien "weitere große Schritte" beim Ausbau der grünen Stromerzeugung.
Fahrverbote im Forderungsbaukasten des DVGW
Der Branchenverband BDEW verlangt, die Sektoren Verkehr, Landwirtschaft und Wärmemarkt den gleichen CO2-Preis zahlen zu lassen wie die Energiewirtschaft. Kraftwerksbranche und Industrie unterliegen seit 2005 dem CO2-Handel. Außerdem ist dem BDEW die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung "zu kraftlos", wie sie im Koalitionsvertrag steht. Es müsse "schnellstmöglich" Sonderabschreibungen für Heizungsmodernisierungen geben.
Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) fordert bedingte Fahrverbote ("Zufahrtbeschränkungen") in die Städte für die gut 2,7 Mio. Diesel-LKW und eine CO2-abhängige Maut. Alternativen dazu sieht der DVGW in der direkten Förderung oder einer Sonderabschreibung für alternative Mobilitätstechnologien. Dieser politische Baukasten solle den Umstieg auf Erdgas(CNG)-Nutzfahrzeuge und den Hochlauf von Flüssigerdgas (LNG) im Transport begünstigen.
5,2 Promille weniger als 2016
Für die oppositionellen Grünen dringt Fraktionschef Anton Hofreiter auf einen schnellstmöglichen Kohleausstieg sowie die Einleitung einer Verkehrs- und Agrarwende. Er stellt sich hinter die Forderung der Umweltverbände nach einem Klimaschutz-Sofortprogramm.
Nach ersten "Detailschätzungen" des UBA stieß Deutschland 2017 knapp 905 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente aus – fast fünf Mio. Tonnen oder 5,2 Promille weniger als 2016 und 27,7 Prozent weniger als 1990. Ob es tatsächlich überhaupt einen Rückgang gegenüber dem Vorjahr gab, ist fraglich: Die (rückwirkende) Prognose sei "mit höheren Unsicherheiten versehen als in den Vorjahren", schreibt das UBA. Dies hänge mit der Ummeldung von Kraftwerken zwischen dem Energie- und dem Industriesektor im Jahr 2016 zusammen, die noch nicht "adäquat" berücksichtigt sei. Nach ZfK-Informationen liegt das Jahresbudget, damit Deutschland seine Selbstverpflichtung beim Pariser Klimaabkommen einhält, bei nur 217 Mio. Tonnen – knapp ein Viertel des Ist-Wertes.
Verkehr und Industrie emittieren mehr
Nimmt man die Prognose des UBA als gegeben an, so verschob sich das Gewicht der einzelnen Klimasünder weiter von den Kraftwerken und der Abfallwirtschaft hin zum Verkehr und zur Industrie. Die Landwirtschaft stieß in etwa genauso viel Treibhausgase aus wie 2016.
Der größte emittierende Sektor ist immer noch die Energiewirtschaft mit 35 Prozent oder 319 Mio. Tonnen. Aber die Emissionen der Kraftwerke der allgemeinen Versorgung gingen um 4,1 Prozent oder 14 Mio. Tonnen zurück. Dies liegt laut UBA daran, dass viel Windstrom Steinkohlestrom verdrängte und mehr als 3000 MW Steinkohleblöcke stillgelegt oder in die Netzreserve überführt wurden. Zwei Braunkohlekraftwerke gingen im vierten Quartal zudem in die "Sicherheitsbereitschaft".
Deponieverbot wirkt sich weiter aus
Die Abfallwirtschaft reduzierte ihren ohnehin schon geringen Anteil um 4,3 Prozent auf zehn Mio. Tonnen oder 1,1 Prozent. Dies gehe maßgeblich auf das Deponieverbot für biologisch abbaubaren Müll zurück, das seit 2005 gilt, hieß es.
Die Industrie emittierte wegen der Konjunktur 2,5 Prozent mehr und hat nun einen Anteil von gut 21 Prozent. Der Verkehr stieß 2,3 Prozent mehr aus. Sein Beitrag zum Treibhauseffekt stieg auf knapp 19 Prozent.
"Es liegt kaum an weniger Diesel und mehr SUVs"
Dass dies am Rückgang des spezifisch CO2-ärmeren Diesel-Anteils im Zuge von Dieselgate und am Trend zu SUVs liege – diese Annahme wird von den Zahlen weitgehend widerlegt. Diese Trends erklärten nur 0,2 der 3,8 Mio. Tonnen Mehrausstoß, hieß es von den Behörden.
"Es ist falsch, dass wir nur mit dem Diesel unsere Klimaziele erreichen können", kommentierte UBA-Chefin Maria Krautzberger. "Wir brauchen generell weniger und sparsamere Fahrzeuge, egal mit was diese angetrieben werden." Vielmehr liege der Zuwachs an mehr Fahrzeugen, höheren Fahrleistungen und konjunkturbedingt mehr Gütern auf der Straße. Es waren 1,5 Prozent mehr PKW zugelassen, 4,1 Prozent mehr LKW und 4,4 Prozent mehr Sattelzüge. Die Landwirtschaft stagnierte bei gut 65 Mio. Tonnen oder 7,2 Prozent Anteil. (geo)