Deutschland

Schulze will Brennelemente-Exporte an grenznahe Alt-AKW verbieten

Deutschland steigt bald aus der Atomkraft aus, seine Nachbarn haben es weniger eilig. Rund um die Grenze stehen alte und störanfällige AKW – und werden mit deutschen Brennelementen beliefert. Damit will die Umweltministerin nun Schluss machen. Aus der Union kommt Kritik.
05.12.2019

Das störungsanfällige Akw Tihange in Belgien

Der umstrittene Export von Brennelementen für alte Atomkraftwerke nahe der deutschen Grenze soll nach dem Willen von Bundesumweltministerin Svenja Schulze verboten werden. Das geht aus einem Arbeitsentwurf aus dem Ministerium der SPD-Politikerin hervor. Demnach soll es keine Genehmigungen mehr für die Ausfuhr geben, wenn ein AKW weniger als 150 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt steht und vor 1989 in Betrieb gegangen ist – Lieferungen zum Beispiel an die umstrittenen AKW Tihange und Doel in Belgien sowie nach Cattenom in Frankreich wären damit nicht mehr erlaubt.

Deutschland hat zwar den Ausstieg aus der Atomkraft bis Ende 2022 beschlossen, das umfasst aber nicht die Urananreicherungsanlage Gronau im Münsterland und die Brennelementefabrik in Lingen im Emsland. Kernspaltungen werden dort nicht durchgeführt.

Konflikt mit Europarecht?

Bisher hatte das Ministerium argumentiert, dass es europarechtlich gar nicht möglich sei, die Exporte allein unter Hinweis auf Zweifel an der Sicherheit ausländischer Atomkraftwerke zu verbieten – zu diesem Ergebnis war ein Rechtsgutachten gekommen, das noch unter Schulzes Vorgängerin Barbara Hendricks (SPD) in Auftrag gegeben worden war. Andere Gutachten kamen jedoch zu einem anderen Schluss.

Vom Koalitionspartner kam Kritik an Schulzes Plänen. Karsten Möring (CDU), Experte für nukleare Sicherheit der Union im Bundestag, kritisierte sie als "rechtlich fragwürdig und in der Sache sinnlos". Denn die Laufzeit der AKW werde so nicht verkürzt, sie könnten sich mit Brennstäben auch anderswo versorgen. "Bei den Brennstäben aus Deutschland ist zumindest eine hohe Qualität sichergestellt." Er könne sich auch nicht vorstellen, dass das teilweise Exportverbot mit den Regeln des EU-Binnenmarktes vereinbar sei.

Koalitionsvertrag sieht Rechtsprüfung vor

Ein Sprecher Schulzes erinnerte an den Koalitionsvertrag: SPD und Union haben dort vereinbart, zu prüfen, wie rechtssicher zu verhindern sei, dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland, an deren Sicherheit es Zweifel gibt, eingesetzt werden. Schulze nehme die Sorgen der Menschen "sehr ernst", die in der Nähe von ausländischen AKW lebten. "Darum hat die Ministerin ihre Fachleute gebeten, einen Vorschlag auszuarbeiten."

In dem Arbeitsentwurf heißt es zur Begründung des geplanten Verbots nun, Kernkraftwerke bärgen "das Risiko schwerer Unfälle, Störfälle oder sonstiger für die kerntechnische Sicherheit bedeutsamer Ereignisse mit möglicher katastrophaler Auswirkung", und die möglichen Auswirkungen seien "auch grenzüberschreitend". Ziel des Verbots sei daher die "Abwendung möglicher radiologischer Risiken für die in Deutschland lebende Bevölkerung". Die Regelungen seien "geeignet und erforderlich", um das Ziel zu erreichen, "das mit der Nutzung der Kernenergie verbundene Restrisiko zu minimieren".

150 Kilometer Radius um alte AKW

Die 150 Kilometer ergeben sich dem Entwurf zufolge aus der in Empfehlungen zum Katastrophenschutz definierten "Außenzone" von 100 Kilometern Radius um ein AKW herum plus einem pauschalen Aufschlag von 50 Prozent, da für eine detaillierte Bewertung den atomrechtlichen Behörden in Deutschland die Daten fehlten. Das Jahr 1989 sei gewählt worden, weil zwar vom Alter eines AKW nicht auf dessen Sicherheitszustand geschlossen werden könne, aber "Kernkraftwerke dieses Alters ein veraltetes Anlagendesign und eine Komponentenalterung und damit ein erhöhtes Risiko aufweisen".

Die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, Sylvia Kotting-Uhl (Grüne), sprach dagegen von einem "ersten Schritt in die richtige Richtung". Die deutschen Atomfabriken belieferten aber viele weitere Atomkraftwerke, die ebenfalls eine Gefahr für die Menschen in Europa darstellen. "Und sie häufen gigantische Mengen Uranreste an, für die wir in Deutschland derzeit noch kein Endlager haben", sagte sie. Daher sollten sie geschlossen werden.

Linke fordert Ende der deutschen Beteiligung an Atomenergienutzung

Auch die Linke im Bundestag forderte mehr. "Es darf keine deutsche Beteiligung an der Atomenergienutzung mehr geben", sagte Hubertus Zdebel, Sprecher der Fraktion für den Atomausstieg. Dass eine Stilllegung dieser Uranfabriken möglich sei, hätten Rechtsgutachten im Auftrag des Umweltministeriums gezeigt. "Das muss nun auch endlich umgesetzt werden."

Dagegen sagte FDP-Energiepolitiker Martin Neumann, der beste Schutz für die Bevölkerung vor störanfälligen Atomkraftwerken sei, "diese durch moderne und hochwertige Technologie aus Deutschland aufzuwerten und abzusichern".

Mehrere Bundesländer hatten Exportstopp gefordert

Exporte aus der Brennelementefabrik Lingen an "Risikokernkraftwerke" in der deutschen Nachbarschaft zu verhindern, ist seit langem eine Forderung von Atomkraftkritikern, aber auch aus den Bundesländern. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland hatten dazu einen Antrag im Bundesrat gestellt. Die Genehmigungen für den Export von Brennelementen erteilt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), die Fachaufsicht liegt beim Bundesumweltministerium. (dpa/pm)