Deutschland

Deutschland verfehlt Klimaziel für 2021

Die Ampel-Regierung will den Ausbau erneuerbarer Energien massiv vorantreiben. Der drohende Ausfall russischer Energielieferungen macht das noch drängender. Der Aufholbedarf ist riesig.
15.03.2022

Die Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland: Theoretisch müssten die Emissionen pro Jahr um sechs Prozent sinken; davon ist Deutschland weit entfernt.

Deutschlands Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen ist nach vorläufigen Zahlen vergangenes Jahr um 4,5 Prozent gestiegen. Damit wurde das eigentlich schon für 2020 gesetzte Ziel von 40 Prozent weniger Treibhausgas-Ausstoß im Vergleich zu 1990 auch ein Jahr danach noch verfehlt. Die Emissionen sanken im langfristigen Vergleich lediglich um 38,7 Prozent. Dies geht aus Daten des Umweltbundesamtes sowie des Wirtschafts- und Klimaministeriums von Dienstag hervor. Ressortchef Robert Habeck (Grüne) hatte das Verpassen des Ziels bereits Anfang des Jahres angekündigt. Die Zahlen sind noch vorläufig. Endgültige Werte wird es erst Anfang 2023 geben.

Insgesamt stieß Deutschland vergangenes Jahr 33 Millionen Tonnen mehr klimaschädliche Gase aus als im Jahr zuvor. «Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen von 2020 ist fast zur Hälfte schon wieder verloren», beklagte Bundesamtschef Dirk Messner. «Unsere Zahlen zeigen deutlich, dass die Ziele der Bundesregierung schnellstens angegangen werden müssen.» Ein Teil der niedrigeren Emissionen 2020 war nach früheren Angaben des Bundesamts der Corona-Pandemie zuzuschreiben, durch sinkende Mobilität und Produktionsrückgänge.

Seit 2010 nicht einmal zwei Prozent im Schnitt

Ziel ist, Deutschland bis 2045 Treibhausgas-neutral zu machen - bis dann müssen alle Treibhausgase vermieden oder wieder gebunden werden. Das Zwischenziel für 2030 sieht Einsparungen von 65 Prozent gegenüber 1990 vor. Dazu müssten die Emissionen jedes Jahr um 6 Prozent sinken, sagte Messner. «Seit 2010 waren es im Schnitt nicht einmal zwei Prozent.» Die 20er Jahre seien das entscheidende Jahrzehnt. «Wenn wir diese Dekade verpassen, können wir unsere Klimaziele national und global nicht mehr in den Griff bekommen.»

Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP will den Ausbau erneuerbarer Energien aus Wind und Sonne deutlich vorantreiben - auch unter dem Eindruck der Krise im Verhältnis zum wichtigsten Gaslieferanten Russland. Dazu zählte Klima-Staatssekretär Patrick Graichen auch das geplante Klimaschutz-Sofortprogramm.

Investitionen mit großen und langfristigen Schutzwirkungen in den Blick nehmen

VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing kritisiert auf ZfK-Nachfrage die Entwicklungen: "Dass die Klimaziele verfehlt werden, ist eine schlechte Nachricht für den Klimaschutz. Dies und die aktuelle sicherheitspolitische Lage unterstreicht: Wir müssen erheblich schneller und damit unabhängiger werden: Schneller beim Ausbau der Erneuerbaren, schneller beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und schneller beim Umbau unserer Wärmeversorgung. Nur so können wir Versorgungssicherheit und Klimaschutz zusammenbringen."
 
Ein Problem bestehe allerdings auch darin, dass jährliche Betrachtungen von Klimazielen Maßnahmen anreizen, die zwar schnell ergriffen werden könnten, aber sehr teuer seien – etwa beim Dämmen von Häusern. "Investitionen mit großen und langfristigen Klimaschutzwirkungen – etwa die Förderung von Fernwärmenetzen – geraten dabei häufig aus dem Blick. Deshalb ist es richtig, dass sich die neue Bundesregierung auch noch einmal mit einer mehrjährigen Gesamtrechnung der Ziele im Klimaschutzgesetz befassen will, ohne Klimaneutralität bis 2045 in Frage zu stellen", so Liebing.

Das Ende vom russischen Gas: Erhöhung der Kohlenutzung

Wenn Deutschland sich von russischen Gaslieferungen löst, wird sich dies kurzfristig negativ auf die Klimabilanz auswirken, weil stärker Kohle genutzt werden dürfte. «Kommt es kurzfristig zu mehr Emissionen? Das ist zu erwarten, ja», sagte Graichen mit Blick auf den Strommarkt. Gleichzeitig werde die Regierung aber bei Verkehr, Gebäuden und erneuerbaren Energien «massiv auf die Tube» drücken.

Insbesondere der Energiesektor verzeichnete laut Bundesamt einen Anstieg an Emissionen von 27 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in CO2-Äquivalente umgerechnet, Maßstab ist ihr jeweiliger Beitrag zur Erderwärmung im Vergleich zu Kohlendioxid. Das Plus im Energiesektor ist demnach auf eine gestiegene Stromnachfrage sowie geringere Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zurückzuführen, unter anderem wegen wenig Wind und einer stärkeren Nutzung von Kohle.

"Größter Handlungsdruck" bei Verkehr und Gebäude

Die Sektoren Verkehr und Gebäude liegen über den festgelegten Emissionsmengen. Dort bestehe der «größte Handlungsdruck», sagte Graichen. Der Gebäudesektor verfehlte das Ziel bereits zum zweiten Mal. Messner forderte, Gebäude auf Wärmepumpen umzustellen. Zudem sollten keine Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden. Auch beim Energiesparen sei Luft nach oben, insbesondere durch Sanierungen.

Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, bezeichnete dies auch als soziale Frage: «Geringverdienende leben besonders häufig in Häusern mit schlechter Energieeffizienz und müssen einen erheblichen Anteil ihres Einkommens fürs Heizen ausgeben.» Allerdings fehle es am Bau häufig an Fachwissen.

Sofortprogramme müssen binnen drei Monate vorgelegt werden

Im Verkehr schlägt vor allem der Straßengüterverkehr zu Buche, der wieder leicht über dem Niveau von vor Beginn der Corona-Pandemie liege. Der Pkw-Verkehr liege hingegen weiter darunter. Es brauche mehr Elektrofahrzeuge, erklärte Graichen. Zudem müssten der öffentliche Nahverkehr sowie der Rad- und Fußverkehr gestärkt werden.

Die Daten werden nun noch binnen eines Monats von einem Expertenrat geprüft. Dann kommt Arbeit auf Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) zu: Sie müssen binnen drei Monate Sofortprogramme vorlegen mit Vorschlägen, wie ihre Sektoren auf Kurs kommen. Geywitz sagte: «Was neu gebaut oder saniert wird, muss klimagerecht entstehen.» (dpa/gun)