Wasser

450 Proben, 500 Befunde – der Chemikalienmix europäischer Gewässer

Umweltchemiker haben verschiedene Flüsse in Europa untersucht und dabei viele chemische Stoffe gefunden, zum Teil in hohen Konzentrationen.
26.03.2024

Welche Effekte die Chemikalien auf Organismen in den Gewässern haben, ist oft noch unklar.

Dass in Böden und Gewässer eindringende Chemikalien für erhebliche Umweltprobleme sorgen, ist allgemein bekannt. Informationen darüber, wie sich diese langfristig entwickeln, welche Zusammensetzungen am schädlichsten sind und in welcher Form die Stoffe auf die Entwicklung einzelner Organismen einwirken, gibt es dagegen noch wenig. Mit dem Ziel, mehr über die Belastung der Süßwasserökosysteme in europäischen Flüssen herauszufinden, hat ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) deshalb rund 450 Proben aus 22 europäischen Fließgewässern ausgewertet.

Angefangen bei großen Flüssen wie der Elbe, der Donau, dem Rhein und dem Tajo bis zu kleineren Gewässern in landwirtschaftlich geprägten Regionen Deutschlands haben die Forscher 610 Chemikalien genauer betrachtet und analysiert. Es wurde untersucht, ob und in welchen Konzentrationen die Stoffe, deren problematische Wirkung bereits bekannt sind, vorkommen.

Das Ergebnis: Insgesamt wurden 504 der 610 gesuchten Chemikalien nachgewiesen. Dabei handelte es sich um eine Mischung aus Pestiziden und Bioziden, pharmazeutischen Chemikalien und Tensiden, Kunststoff- und Gummizusätzen, Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) und Korrosionsinhibitoren. Auch die Menge von mehreren Chemikalien in den einzelnen Entnahmen fiel auf. In 81 Prozent der Proben fand man bis zu 100 unterschiedliche Substanzen, vier Mal wurden sogar mehr als 200 organische Mikroschadstoffe nachgewiesen.

Die Mischung macht es – problematisch

Das Gemisch der auch einzeln betrachtet schon problematischen Mikroschadstoffe stellt laut Eric Carmona, Co-Erstautor und Umweltchemiker am UFZ, eine noch unbekannte Größe dar: "Wir wissen noch viel zu wenig darüber, welche additiven Wirkungen diese Stoffe haben, wenn sie sich miteinander vermischen."

Um die Wirkung dieser Mischungseffekte auf die in den Fließgewässern lebenden Organismen einschätzen zu können, nutzten die Forscher das Konzept des chemischen Fußabdrucks. Es berechnet, wie hoch die Überlebenschancen von Wasserorganismen wie Fischen, Krustentierchen und Algen im Verhältnis zu der Konzentration der nachgewiesenen Stoffe sind. Nach den Berechnungen der Wissenschaftler werden in 74 Prozent der untersuchten Proben die als ungefährlich zu bezeichnenden Grenzwerte überschritten.

Unklare Effekte auf Wasserorganismen

Trotz vieler Verbesserungsmaßnahmen, die in der Vergangenheit vorgenommen wurden, geben die Forscher eine nach wie vor zu hohe chemische Belastung der europäischen Gewässer an. Die Anzahl, die Konzentration und die Mischung bilden dabei zentrale Eckpunkte, die es anzugehen gilt.

Zum einen sei es notwendig, deutlich mehr Substanzen in die Gewässerüberwachung der EU-Wasserrahmenrichtlinie aufzunehmen, da deren Auswirkungen bislang nicht bewertet werden. Zum anderen brauche es mehr Messdaten. "Oft ist völlig unklar, welche Effekte Chemikalien in welcher Konzentration auf Organismen in den Gewässern haben", sagt Carmona. Saskia Finckh, UFZ-Umweltchemikerin und Erstautorin der Studie, ergänzt: "Vor allem sollten wir bei der Bewertung von Chemikalien ihre Mischungen stärker in den Fokus nehmen." (hb)