Abwasser

«Bye, bye Köttelbecke»: Für die Emscher beginnt Zukunft ohne Abwasser

Die Emscher war viele Jahre lang die Kloake des Ruhrgebiets. Das ändert sich jetzt: Mit der Inbetriebnahme eines Pumpwerkes geht das Milliardenprojekt Emscher-Umbau in Betrieb. Der Fluss wird abwasserfrei, renaturiert und zugleich hochwassersicherer.
22.08.2021

Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, nimmt bei der Inbetriebnahme des Pumpwerks eine Flasche Abwasser mit der Aufschrift: "Bye, Bye, Köttelbecke!" entgegen. Mit dem Anschalten des Pumpwerks wird der neue Abwasserkanal Emscher in Betrieb genommen.

Über 150 Jahre lang landete der Dreck und Kot großer Teile des Reviers in der 85 Kilometer langen Emscher. Das gequälte Gewässer heißt im Ruhrgebiet nur «Köttelbecke» oder «die Schwatte» (die Schwarze) – an manchen Stellen stinkt es immer noch zum Himmel. Genau hier, an Deutschlands wohl schmutzigstem Fluss, begann 1992 aber auch das größte Öko-Infrastrukturprojekt des Landes: 430 Kilometer Abwasserkanäle wurden am Fluss neu gebaut – bis zu 40 Meter tief in den Boden.

Am Freitagmittag hat mit der Inbetriebnahme des Pumpwerkes Oberhausen, des Kanal-Herzstückes, eine völlig neue Zukunft am Fluss begonnen – ohne Abwasserfracht. Zur Eröffnung lobte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) das Projekt als «technisches und ökologisches Meisterwerk».

"150 Jahre Naserümpfen an der Emscher sind vorbei"

Die Fäkalien von 2,3 Millionen Menschen plus Industrieabwässer übernimmt mit der Inbetriebnahme des Pumpwerkes künftig der 51 Kilometer lange «Abwasserkanal Emscher» (AKE) und führt sie meist unterirdisch zu vier Kläranlagen in Dortmund, Bottrop, Duisburg und Dinslaken, wo die Emscher in den Rhein mündet. Der Fluss wird so massiv entlastet. Das wird man auch riechen können. «Die 150 Jahre Naserümpfen an der Emscher sind vorbei», sagte der Herner Oberbürgermeister Frank Dudda (SPD).

Sobald die Nebenkanäle an den AKE angeschlossen sind, werde ab Ende 2021 «kein Tropfen ungereinigtes Abwasser mehr in den Fluss fließen», verspricht der Chef der Emschergenossenschaft in Essen, Professor Uli Paetzel.

Am Fluss soll bis 2027 eine naturnahe Umgestaltung des Gewässers und seiner Nebenflüsse abgeschlossen sein. Der Oberlauf und die Nebenläufe in Dortmund sind bereits abwasserfrei und renaturiert. Seit 2012 baut die Emschergenossenschaft an einem Flussufer am Phoenix See in Dortmund sogar Wein an. Insgesamt sind schon 150 der zusammengenommen 340 Fluss-, Nebenlauf- und Bachkilometer der Natur zurückgegeben worden.

Weinanbau am Ufer des Flusses

Zur Einweihungsfeier überreichte Genossenschaftschef Paetzel dem Ministerpräsidenten eine Präsentkiste mit zwei Flasche Wein aus diesem Anbau - und einen Behälter mit Schmutzwasser aus dem Fluss und der Aufschrift «Bye bye Köttelbecke».

Rund 5,5 Milliarden Euro wird das Generationenprojekt nach Einschätzung der Emschergenossenschaft am Ende gekostet haben – aufgeteilt auf mehr als 1000 Einzelbauprojekte. Die Genossenschaft ist besonders stolz darauf, dass über 30 Jahre hinweg die geplante Bauzeit ziemlich genau eingehalten wurde.

Damit das Abwasser über die gesamte Kanalstrecke mit ausreichend Gefälle fließen kann, muss die Brühe in drei riesigen Pumpwerken immer wieder hochgepumpt werden. Die Anlagen in Gelsenkirchen und Bottrop laufen schon. Das am Freitag eröffnete Pumpwerk Oberhausen gilt als Herzstück – zehn riesige Pumpen heben das Wasser dort aus 40 Metern Tiefe auf Oberflächenniveau. Am Freitag wurde sie angeschaltet.

Verlegung eines Deiches ermöglicht Teil-Renaturierung

In Oberhausen soll der Fluss durch Zurückverlegung eines Deiches auch wieder eine naturnahe Aue bekommen. Das nützt nicht nur der Natur, sondern bietet für den Fall von Hochwasserereignissen auch zusätzlichen Stauraum – nach den Erfahrungen der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz vom Juli ein wichtiger Vorteil, wie auch Laschet besonders hervorhob.

Naturschützer sind von dem Projekt begeistert. Es entstehe ein «Biotopverbund» mitten im zentralen Ruhrgebiet, der wie ein Korridor ohne Barrieren in Ost-West-Richtung verlaufe. Dies erleichtere es Tieren und Pflanzen, sich auszubreiten, sagte der Geobotaniker Peter Keil, Leiter der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet, in diesem Frühjahr.

Wie die Artenvielfalt am Fluss profitiert

Schon jetzt nimmt die Zahl der Arten am Fluss wieder zu. Wurden an den Gewässern Anfang der 1990er Jahre rund 170 Arten gezählt, sind es mittlerweile rund 500. Eisvögel, Gebirgsstelzen und Blauflügelige Prachtlibellen fühlten sich an der Emscher wohl, heißt es von dem Verband.

Zum Höhenflug dürften dann bald auch die Immobilienpreise am Fluss ansetzen. «Wir haben schon jetzt viele Anfragen von Interessenten», sagte der Sprecher der Emschergenossenschaft. «Wohnen an der Emscher gewinnt an Wert.» (dpa/hoe)