Wasser

Hochwasserschutz aus der Cloud

Wie Landkreise und Kommunen sich mit künstlicher Intelligenz besser vor Katastrophen schützen können, wird derzeit in einem Pilotprojekt erprobt.
14.06.2022

Bei Starkregen können sich kleinere und mittlere Gewässer in reißende Ströme verwandeln.

Durch die Ahrtal-Katastrophe Mitte Juli 2021 sind sie wieder in den Fokus gerückt: Unwetter-Frühwarnsysteme. In Momenten, in denen jede Minute zählt, sind sie entscheidend, um rechtzeitig Schutzmaßnahmen ergreifen zu können. Welche Vorteile die Digitalisierung beim Schutz der Menschen gegen Hochwasser bietet und wie wichtig es ist, auch kleinere Gewässer und Faktoren wie die Bodenfeuchte zu monitoren, zeigt ein Modellprojekt im Schwarzwald.

Wenn Wasser nicht mehr abfließen kann, ist der Mensch in Gefahr. Insbesondere in gebirgigen Regionen, aber auch in Landschaften, die von Tälern oder Schluchten geprägt sind, stellen andauernde heftige Regenfälle ein großes Risiko für die Bevölkerung dar. 2021 schossen die Pegel von Bächen und Flüssen in vielen Gebieten in Deutschland unerwartet schnell nach oben und zahlreiche Gemeinden wurden überschwemmt.

Seit Anfang 2021 laufen Tests

Die Herausforderung für Landkreise und Kommunen ist groß und der Einsatz verlässlicher moderner Technik ein Muss. Einen Lichtblick könnte das neue Frühwarnsystem Floodlight – Netilion Flood Monitoring bieten, das mit Hilfe von Sensormessungen und künstlicher Intelligenz (KI) Prognosen erstellt und so frühzeitige Schutzmaßnahmen ermöglicht.

Die Gemeinde Lenzkirch im Schwarzwald testet das System bereits seit Januar 2021. Zwei Flüsse schlängeln sich mitten durch den Ort, der sich in einer Kessellage befindet. Zuletzt kam es dort 2018 zu einer Überschwemmung. Sie riss damals eine Brücke mit und richtete Schäden in Höhe von mehreren hunderttausend Euro an.

Wertvolle Reaktionszeit gewinnen

Jetzt sind rund um den Ort mehr als ein Dutzend Sensoren installiert, sie füttern die KI von Floodlight mit Daten. "Das System kann ein Hochwasser natürlich nicht vermeiden", sagt der Bürgermeister der Gemeinde Lenzkirch, Andreas Graf. "Aber wir gewinnen durch die frühe Warnung wertvolle Zeit, um die nötigen Maßnahmen einzuleiten. Bei einer Überschwemmung zählt schließlich jede Minute."

Entwickelt wurde das Frühwarnsystem von dem Schweizer Messtechnik-Anbieter Endress+Hauser und Okeanos Smart Data Solutions, einem Start-up mit Wurzeln an der Ruhr-Universität Bochum. Die Experten haben sich zum Ziel gesetzt, ein selbstständig lernendes System für den Hochwasserschutz zu entwickeln.

Auch kleinere Gewässer im Blick

"Wir möchten mit unserer Lösung dafür sorgen, dass die Anwender das Überschwemmungsrisiko für ihr Gebiet genau einschätzen und zielgerichtet die nötigen Schutzmaßnahmen einleiten können", sagt Florian Falger, Marketingmanager bei Endress+Hauser. Ob Bürgermeister:innen, Feuerwehrleute, das THW oder Mitarbeitende von Bauhöfen oder Ingenieurbüros: Mit Floodlight können sie sich alle online per Smartphone oder Computer in Echtzeit darüber informieren, wie sich Gewässer in ihrem Gebiet entwickeln.

"Das gelingt uns mit Hilfe von Pegelmessgeräten, Starkregensensoren, Regenmengenmessern und Bodenfeuchtesensoren", erklärt Falger. Zum Beispiel erkenne die Sensorik, ob die Böden im Umkreis der Bäche noch Regenwasser aufnehmen können oder bereits zu stark gesättigt sind. "Gewässer zweiten und dritten Grades werden von den bestehenden Systemen in Deutschland bislang quasi nicht überwacht", so Falger. Sie im Blick zu behalten, sei jedoch essenziell, um böse Überraschungen zu vermeiden.

Verbindung mit Wetterdaten

Die verschiedenen Sensoren von Floodlight senden ihre Messwerte in die zertifizierte Cloud-Plattform Netilion von Endress+Hauser. Dort verrechnet die KI sie und setzt sie in Zusammenhang. "Auf Basis der Werte und weiterer Daten wie der Wetterprognose kann unsere KI vorhersagen, ob ein Hochwasser droht und an welchen Stellen die Ursachen dafür liegen", sagt Henning Oppel, der gemeinsam mit Benjamin Mewes Okeanos gegründet hat. Wenn kritische Werte erreicht werden, informiert das System alle Nutzer:innen automatisch über jedes internetfähige Gerät und auch offline via SMS oder Anruf.

"Der große Vorteil einer künstlichen Intelligenz liegt darin, dass sie sich selbstständig optimiert. Unser Algorithmus lernt mit der Zeit dazu und versteht ein Gebiet somit immer genauer. Die Digitalisierung ermöglicht also nicht nur schnellere Entscheidungen, sondern auch langfristige Verbesserungen der Hochwasser-Schutzkonzepte", sagt Mewes. (hp)