Wasser

Wasserkraft kann mit Momentanreserve das Netz stabilisieren

Bei Störungen ist ausreichend Momentanreserve im Netz wichtig. Diese Systemfunktion können Solar- und Windenergie aber (noch) nicht erfüllen.

12.08.2021

Das RWTH Aachen hat die Momentanreserve der Wasserkraftanlagen in Deutschland ermittelt und quantifiziert. Im Bild das LEW-Wasserkraftwerk Schwabmünchen.

 

Wenn im kommenden Jahr die letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen, fällt damit dem Stromversorgungssystem auch Momentanreserve weg. Diese Systemdienstleistung sichert – neben der Regelleistung – die Stabilität der Netze im Falle von Störungen.

Wie eine Studie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen nun ergeben hat, können Wasserkraftwerke eine Störung, zum Beispiel durch einen ungeplanten Kraftwerksausfall von bis zu 500 Megawatt (MW), hinsichtlich der Momentanreserve ausgleichen. Das entspricht der Leistung eines mittelgroßen Kohlekraftwerks. Damit leisten sie einen relevanten Beitrag zur künftigen Netzstabilität und Versorgungssicherheit.

Die Bedeutung von kinetischer Energie

Als Momentanreserve wird die unverzögert verfügbare Leistungsreserve in einem Energieübertragungssystem bezeichnet. Sie entsteht aus der Trägheit der rotierenden Schwungmassen der Synchrongeneratoren konventioneller Kraftwerke.

Kommt es in einem Stromnetz zu einem abrupten Lastwechsel, kann das Leistungsdefizit nicht unmittelbar durch Regelkraftwerksleistung ausgeglichen werden. Denn diese ist immer mit einer gewissen Verzögerungszeit verbunden. Daher muss, um Instabilitäten und Unterbrechungen zu verhindern, unmittelbar nach dem Störungsfall genügend kinetische Energie aus rotierenden Schwungmassen von Kraftwerken im Versorgungssystem vorhanden sein.

Momentanreserve der Wasserkraft

Unter dem Aspekt der Erzeugungsmengen gelten Windenergie- und Photovoltaikanlagen als Hauptsäulen der künftigen regenerativen Energieproduktion. Diese üblicherweise leistungselektronisch angebundenen Anlagen liefern jedoch nach derzeitigem Stand der Technik noch keine Momentanreserve. Wasserkraftwerke hingegen sind dazu in der Lage.

Ein Team von Professor Albert Moser, Lehrstuhlinhaber Übertragungsnetze und Energiewirtschaft am Institut für elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft (IAEW) an der RWTH Aachen, hat nun die Momentanreserve der Wasserkraftanlagen in Deutschland ermittelt und quantifiziert.

So viel wie ein Kernkraftwerk

Die Berechnungen basieren auf 7988 Wasserkraftanlagen mit insgesamt 6,28 Gigawatt Nettonennleistung, die im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur erfasst sind. Die Wissenschaftler ermittelten unter anderem die gespeicherte kinetische Energie der Wasserkraftanlagen, die sich aus der Trägheitskonstante und der Nennleistung der Generatoren bestimmen lässt.

In den rotierenden Massen der Wasserkraftanlagen in Deutschland ist der Studie zufolge eine kinetische Energie von rund 10,32 Gigawattsekunden (GWs) gespeichert. Zum Vergleich: Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler Block H weist eine kinetische Energie von 2,4 GWs auf, das Kernkraftwerk Isar/Ohu 2 kommt auf 8,88 GWs. „Die bereitgestellte kinetische Energie der Wasserkraftanlagen entspricht damit der Momentanreserve eines Kernkraftwerkes“, stellt der Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke (BDW) in einer Mitteilung fest.

Ausgleich für große Störereignisse

Die Studie zeigt weiterhin, dass ein Störereignis von 462,5 MW unter Berücksichtigung der Frequenzabhängigkeit der Netzlasten allein durch die Wasserkraftanlagen hinsichtlich der Momentanreserve aufgefangen werden könnte. Sie reicht aus, um die daraus resultierende Frequenzänderungsrate und -abweichung ausreichend zu begrenzen. „Weitere Beiträge zur Beherrschung müssen dann aus anderen Anlagen noch bereitgestellt werden“, sagt Martin Knechtges, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAEW. (hp)