Wasser

Wohin verschwindet der Reifenabrieb?

Dieser Frage gingen Experten in einem BMVI-Forschungsprojekt nach. Die Ergebnisse der Wissenschaftler zeigen: Bis zu 20 Prozent gelangen in Oberflächengewässer.
12.04.2021

Reifenabrieb auf Autobahnen versickert in der Regel über Bankette und Böschungen.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland rund 48,5 Mio. Pkw-Reifen gekauft, so eine aktuelle Schätzung des Branchenverbands Reifenhandel. Doch wohin verschwindet der Reifenabrieb? Dieser und weiteren Fragen gingen die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) und die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) nach.

Fahrzeugreifen bestehen etwa zur Hälfte aus vulkanisiertem Naturkautschuk oder synthetischem Gummi und enthalten darüber hinaus eine Vielzahl von Füllmitteln und anderen chemischen Zusatzstoffen. Der Abrieb von Autoreifen ist eine der größten Mikroplastikquellen – deutlich vor Faserabrieb, der beim Waschen von Kleidung aus Kunstfasern entsteht. Reifenabrieb bildet sich an den Laufflächen von Fahrzeugreifen, vor allem bei Beschleunigungs- und Bremsvorgängen. Dabei entstehen Partikel, die aus einer Mischung von Gummi und Straßenabrieb bestehen.

In der Luft, im Boden, im Wasser …

Bereits bekannt war, dass ein kleiner Anteil des Reifenabriebs von der Straße in die Luft gelangt (fünf bis zehn Prozent), wo er zur Feinstaubbelastung beiträgt. Der Weg des weit größeren Anteils von rund 90 Prozent des Reifenabriebes war bisher aber nicht im Detail geklärt. Die Experten des BASt und BfG haben nun ermittelt, dass jährlich 60.000 bis 70.000 Tonnen in den Boden und 8.700 bis 20.000 Tonnen in Oberflächengewässer gelangen.

Die Forschungsarbeiten zeigen, dass es maßgeblich darauf ankommt, wo der Reifenabrieb entsteht: Auf Straßen in Ortschaften und Städten spült Regen den Reifenabrieb über kurz oder lang in die Kanalisation. Handelt es sich um ein sogenanntes Mischwassersystem mit Kläranlage, werden dann mehr als 95 Prozent des Reifenabriebs zurückgehalten.

… und im Meer

An Straßen außerorts findet die Versickerung der Straßenabflüsse in der Regel über Bankett und Böschung statt. Der größte Teil des Reifenabriebs wird so in den straßennahen Boden eingetragen und von der oberen bewachsenen Bodenzone zurückgehalten. Ca. 12 bis 20 Prozent des Reifenabriebs können in Oberflächengewässern landen. Dort wird ein Teil der Partikel abgebaut beziehungsweise lagert sich im Sediment ab – die genauen Anteile sind allerdings noch nicht bestimmbar.

In einer Modellstudie für das Einzugsgebiet der Seine und der Schelde fanden andere Autoren heraus, dass etwa zwei Prozent der ursprünglich freigesetzten Reifenabriebmenge in das Meer transportiert werden. Für Flüsse in Deutschland liegen noch keine Modellrechnungen vor.

Lösungsansätze

Aus Vorsorgegründen empfehlen die Experten, alle wasserwirtschaftlichen Maßnahmen weiter zu optimieren, die die Einträge in Gewässer mindern. Weitere wichtige Schritte sind die Verbesserung der Reinigung von Straßenabflusswasser und die fachgerechte Wartung der Behandlungsanlagen. Darüber hinaus könnten intermodale Transport- und Verkehrskonzepte Lösungsansätze bieten. Aber auch langlebige, abriebarme Reifen, leichtere Fahrzeuge und ein ruhiges Fahrverhalten könnten einen Beitrag zur Verringerung des Reifenabriebs leisten. (hp)