Gas

Gaspreis fällt unter 200-Euro-Marke: Was hinter dem Abwärtstrend steckt

Gerüchte würden am Markt üblicherweise gekauft, Fakten dagegen verkauft, schreibt Marktexperte Endress. Der stärkste Hebel komme aber von einer anderen Ebene.
08.09.2022

Joachim Endress ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Ganexo, das sich auf Fragen des Gasmarkts spezialisiert hat.

Die Gaspreise zeigen sich diese Woche trotz der Kürzung der Gazprom-Flüsse schwächer. Dafür gibt es einfache Erklärungen. Trotzdem ist die Höhe des Preisniveaus immer noch desaströs.

Die meisten Händler sollten bereits vor der Nord-Stream-Wartung davon ausgegangen sein, dass die Gasflüsse nicht zurückkehren würden. Gerüchte werden üblicherweise am Markt gekauft (die Preise schossen im August auf über 350 Euro pro MWh) und Fakten verkauft: Der Day-Ahead am deutschen THE sank am Donnerstag auf unter 200 Euro pro MWh.

EU erwägt Gaspreisdeckel

Dazu kommt, dass viele ehemals von Gazprom belieferte Unternehmen, bereits vor der letzten Kürzung Ihre Hedging-Strategie geändert haben sollen, was deren Handelsrisiko nun verminderte.

Der stärkste Hebel kam von der politischen Ebene. Die europäischen Regierungen möchten nun mit nicht-marktwirtschaftlichen Instrumenten die Energiekrise lösen. Die EU erwägt einen Gaspreisdeckel und wird am Freitag dazu Maßnahmen erörtern.

Russische Pipelinelieferungen sinken drastisch

Unter anderem sollen Maßnahmen diskutiert werden, die die Auswirkung der Gaspreise auf die Strompreise begrenzen: einen vorübergehenden Preisdeckel für Erdgas, eine Preisobergrenze für aus Russland importiertes Erdgas und europaweite Sofortkreditlinien zur Unterstützung der Marktteilnehmer.

Aktuell wird russisches Pipelinegas nur noch über die Turkstream-Route und den Ukraine-Transit nach Europa exportiert. Die Pipelinelieferungen sinken damit auf rund 800 GWh pro Tag, das Fünfjahresmittel liegt hingegen bei 5500 GWh pro Tag. Damit ergibt sich ein Minus im August von 75 Prozent und im September bisher von 85 Prozent.

Norwegische Gasexporte eingeschränkt

Auch auf Jahressicht ist der Rückgang der russischen Pipeline-Exporte ähnlich dramatisch. In 2022 exportierte Gazprom bisher rund 600 TWh Erdgas, im Mittel der letzten fünf Jahres waren es rund 1.350 TWh – ein Minus von 56 Prozent.

Die norwegischen Gasexporte sind aktuell wegen der umfangreichen Jahreswartungen unter anderem in den Anlagen in Kollsnes, Oseberg und Karsto eingeschränkt. Die täglichen Lieferungen zeigen sich diese Woche mit 252 Mio. Kubikmeter pro Tag um rund 70 Mio. Kubikmeter pro Tag gegenüber der Vorwoche reduziert.

Gazprom fackelt Gas ab

Gazprom fackelt nach Analystenmeinung und Satellitenbildern wohl täglich etwa 4,34 Mio. Kubikmeter Erdgas in einer LNG-Anlage in der Nähe der finnischen Grenze ab. Die Anlage befindet sich in der Nähe der Nord-Stream-Kompressorstation.

Es scheint, dass Russland nicht über genügend Kapazitäten verfügt, um das überschüssige Erdgas einzuspeichern oder die Produktion kurzfristig zu drosseln.

Abfackeln ist Umweltkatastrophe

Das Abfackeln ist eine Umweltkatastrophe, da damit täglich schätzungsweise 9.000 Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen werden. Dazu könnte durch das Abfackeln Ruß erzeugt werden, was das Schmelzen des arktischen Eises beschleunigt.

Einige Analysten gehen auch davon aus, dass erhebliche Mengen von Erdgas ohne vorheriges Abfackeln direkt emittiert werden könnten. Methan wirkt als Treibhausgas 80-mal stärker als Kohlendioxid.

Gasmarktexperte Joachim Endress schreibt für die ZfK eine wöchentliche Kolumne. Thema des vorangegangenen Artikels: "Entspannung am Gasmarkt? Warum das Aufwärtsrisiko hoch bleibt"

Info: Täglich aktualisierte Energiemarktdaten und -grafiken finden Sie hier im ZfK-Datenraum, der in Kooperation mit dem Berliner Datenspezialisten Energy Brainpool befüllt wird.