Gas

Minus acht Prozent - Studie warnt vor Erdgas-Aus

Ein abrupter Stopp russischer Erdgaslieferungen würde deutsche Produktion um bis zu acht Prozent des BIP einbrechen lassen - so das Ergebnis einer neuen Studie. Dafür seien vor allem "Kaskadeneffekte" verantwortlich.
09.05.2022

Noch fließt Erdgas aus Russland nach Deutschland. (Symbolbild)

Ein abrupter Versorgungsstopp mit russischem Erdgas – sei es durch ein Embargo von EU- oder russischer Seite – würde die Produktion in Deutschland in den ersten 12 Monaten um 114 bis 286 Mrd. Euro einbrechen lassen. Das entspräche einem Verlust von rund 3 bis 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Tom Krebs, Professor für Makroökonomik an der Universität Mannheim.

Zusätzlich wäre demnach mit einem nachfragebedingten Rückgang des BIP zu rechnen. Grund dafür wären höhere Energiepreise. Wenn etwa Verbraucher*innen weniger für andere Güter ausgeben können und die Unsicherheit zunimmt, dürfte das die Wirtschaftsleistung um weitere 2 bis 4 Prozent reduzieren, so der Studienautor.

Folgen gravierender als 2009

Damit wäre durch ein kurzfristiges Erdgas-Embargo ein wirtschaftlicher Einbruch auf dem Niveau des Corona-Jahres 2020 oder der Finanzkrise im Jahr 2009 zu erwarten, schreibt der Universitätsprofessor. Es "könnte jedoch auch zu einer Wirtschaftskrise führen, wie sie (West)Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat", warnt Krebs.

Die sozialen Folgen einer derart zugespitzten Energie-Krise wären mit hoher Wahrscheinlichkeit gravierender als 2009 oder 2020, schätzt der Ökonom. Denn die deutsche Wirtschaft stehe nach zwei Pandemie-Jahren, durch globale Lieferkettenprobleme sowie den Transformationsdruck im Zeichen des Klimawandels ohnehin unter Stress.

Soziale Spannungen verschärft

In der Folge könnte es zu vermehrten Insolvenzen oder Produktionsverlagerungen kommen und zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Möglichkeiten der Wirtschafts- und Geldpolitik, gegenzusteuern seien angesichts schon stark erhöhter Ausgaben zur Abfederung der Corona-Krise und angesichts der hohen Inflation sehr eingeschränkt. Die Preisschocks bei Energie und Nahrungsmitteln träfen "überwiegend die unteren und mittleren Einkommen, so dass soziale Spannungen verschärft werden."

Krebs beleuchtet in seiner Untersuchung insbesondere sogenannte "Kaskaden-“ oder "Zweitrundeneffekte" eines "Erdgasschocks" durch kurzfristige Lieferstopps. Diese Effekte ergeben sich, wenn Schlüsselindustrien ihre Produktion auf breiter Linie herunterfahren oder ganz einstellen müssen und anderen Branchen dann zentrale Vorprodukte fehlen, was den volkswirtschaftlichen Schaden drastisch erhöht.

Vergleich mit Atomkatastrophe in Japan

Derartige Zusammenhänge seien jedoch quantitativ schwer abzuschätzen, weil sie in den letzten Jahrzehnten nur in sehr seltenen Extremsituationen zu beobachten waren – nach Krebs' Analyse eine Schwachstelle vieler Modellierungen zu den Auswirkungen eines Energieembargos.

Um sich den Effekten wissenschaftlich fundiert annähern zu können, nutzt der VWL-Professor unter anderem Studienergebnisse zu Produktionsunterbrechungen nach der Erdbeben- und Atomkatastrophe in Japan 2011. Trotz breiter Bezüge zur aktuellen Forschungsliteratur und tendenziell vorsichtiger Annahmen seien die Ergebnisse seiner Untersuchung, wie alle vergleichbaren Studien, "mit großer Unsicherheit verbunden", betont der Forscher.

Unsicherheit nimmt zu, Nachfrage sinkt

Allerdings stünde die Resultate je nach Szenario durchaus im Einklang mit aktuellen Modellrechnungen, welche die Bundesbank und die Forschungsinstitute der Gemeinschaftsdiagnose (GD) angestellt haben.

In der Analyse ergibt sich für ein Basisszenario ein Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Produktion durch angebotsseitige Effekte um bis zu 8 Prozent des BIPs. In einem alternativen Szenario immerhin um bis zu 3 Prozent. Doch damit wären die negativen Effekte eines Embargos noch nicht vollständig erfasst, so der Ökonom. Denn eine abrupte Verknappung des Gasangebots beeinflusse zusätzlich auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, weil Energiepreise steigen, Verbraucher weniger für andere Güter ausgeben können und die Unsicherheit zunimmt.

Ohne Erdgasembargo ist Plus von 2 Prozent zu erwarten

Gestützt auf Simulationsanalysen der Bundesbank, des Sachverständigenrats und des IMK veranschlagt Krebs diesen zusätzlichen nachfrageseitigen Produktionsrückgang auf 2 bis 4 Prozent des BIPs. Der Gesamteffekt eines abrupten Stopps der Versorgung mit russischem Erdgas ergibt sich annährend aus der Summe der Nachfrage- und Angebotseffekte.

Im Basisszenario sei also damit zu rechnen, dass das Bruttoinlandsprodukt in den 12 Monaten nach Einsetzen des Lieferstopps bis zu 12 Prozent niedriger ausfallen würde, als es bei ununterbrochener Weiterlieferung von Gas der Fall wäre. Während im alternativen Szenario das BIP bis zu 7 Prozent unter der sonst zu erwartenden Entwicklung liegen würde. Dabei erwarten die meisten Forschungsinstitute für dieses Jahr ohne Erdgasembargo ein BIP-Wachstum von rund 2 Prozent, so der Studienautor.

Drei-Jahres-Zeitraum weitaus leichter

Daher sei ein abruptes Ende von russischen Erdgaslieferungen nach seinen Berechnungen aktuell volkswirtschaftlich hoch riskant. Sich in einem überschaubaren Zeitraum bis 2025 aus der Abhängigkeit von russischen Erdgasimporte zu befreien, wie es die Bundesregierung vorhat, sei dagegen weitaus leichter.

"Wenn es um Erdgas geht, besteht ein erheblicher Unterschied zwischen einem Anpassungszeitraum von maximal einem Jahr und einem dreijährigen Anpassungszeitraum", schreibt Krebs. Dies gelte "sowohl hinsichtlich der Möglichkeiten, russische Erdgasimporte durch Importe aus anderen Ländern zu ersetzen, als auch hinsichtlich der Möglichkeiten, in der Produktion Erdgas durch alternative Energieträger (Öl, Kohle, Strom) zu ersetzen". (jk)

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