"Der Kopf ist klar": Jürgen Schäffner spricht über seine ALS-Erkankung
Beim Laufen bekam er die besten Ideen. Auch wenn Jürgen Schäffner zu Kongressen reiste, im Gepäck hatte er immer seine Laufschuhe. Mehrmals die Woche trainierte er am Abend, bereitete sich auf das nächste Rennen vor, ob in Lübeck, am Bodensee oder auch in Kopenhagen.
Das Laufen und die Arbeit, das waren zwei seiner Passionen – bis es nicht mehr ging. Vor drei Jahren bemerkte Jürgen Schäffner, wie ihm der Sport immer schwerer fiel. Es folgte ein Arztbesuch nach dem anderen. Bis ihm jemand eine Antwort geben konnte.
»Es war ein bitterer Moment. Ich weiß das Datum noch, ich weiß die Uhrzeit noch«, sagt Jürgen Schäffner. »25. September 2020, 17.45 Uhr. Da kam der Arzt und gab mir die Diagnose ALS. Das hat das Leben verändert.« Damals war der Stadtwerke-Manager noch recht fit, heute ist er auf einen Rollstuhl angewiesen.
Schäffner sitzt im Wohnzimmer seines Häuschens am Rande von Lübeck. Auf dem Piano hinter ihm steht das Hochzeitsalbum. Bilder von seinen Töchtern und seiner Frau schmücken die Wände. »Sukzessive verlässt mich mein Körper«, erklärt er seine Krankheit. Ein Atemgerät unterstützt ihn, indem es Luft durch einen Schlauch in die Nase bläst. In der Küche ist eine Pflegekraft zugange, die ihn im Alltag unterstützt, auch beim Essen, denn seine Arme haben nur wenig Kraft.
ALS schwächt die Muskeln
Bei ALS oder Amyotrophe Lateralsklerose werden die Nervenzellen abgebaut, welche die Muskeln steuern. Die Folge sind fort- schreitende Muskellähmungen: Patientinnen und Patienten verlieren die Mobilität der Hände, Arme, Beine sowie des Rumpfes und der Zunge. Im späteren Verlauf haben sie Schwierigkeiten zu sprechen, zu schlucken und zu atmen.
ALS ist nicht heilbar und führt zum Tod. Drei bis fünf Jahre bleiben den meisten Betroffenen, seltener verläuft ALS langsamer. Häufiger ist das bei Menschen der Fall, die jung erkranken wie der Physiker Stephen Hawking, er überlebte mit umfangreicher Betreuung 55 Jahre.
Als Jürgen Schäffner seine Diagnose erhielt, war er Vorstand der Stadtwerke Plön. »Ich wäre gerne noch dabei«, sagt der ehemalige Manager. Seine Karriere in der Energiewirtschaft begann der gebürtige Mannheimer in der Privatwirtschaft, bis er um die Jahrtausendwende Werkleiter der Stadtwerke Hockenheim wurde. »Es war gerade die Liberalisierung und mit meiner Erfahrung aus der Privatwirtschaft konnte ich die richtigen Akzente setzten.«
Dann ging es für Schäffner als Geschäftsführer des Energiebereichs nach Ulm/Neu-Ulm. Der Atomausstieg beschäftigte die Branche und mit der Trianel bauten die Stadtwerke verschiedene Kraftwerke. »Dieses Jahr wurde in Leipheim ein Gaskraftwerk eingeweiht, das ich initiiert habe«, erzählt er.
Offener Umgang mit der Krankheit
In den Norden kam er 2014, um als Geschäftsführer die Stadtwerke Lübeck zu sanieren. Zu dieser Zeit wurde Schäffner auch Vorsitzender der Landesgruppe Nord des VKU und Mitglied im Landesvorstand des BDEW. Sein letztes Stadtwerkeprojekt begann er dann 2019 in Plön, bis die Krankheit es nicht mehr zuließ.
»Ich bin da von Anfang an offen mit umgegangen«, sagt Schäffner. »Ich habe mir als Motto gesetzt: Mein Körper siegt nicht über meinen Geist.«
In seinem Alltag ist Jürgen Schäffner mit Physio- oder Ergotherapie beschäftigt. Er trifft Freunde und fährt in den Urlaub, wo es barrierefrei möglich ist. Auf einer Kreuzfahrt durch Norwegen genoss er noch einmal den Anblick der Berge. Das Tages- geschehen interessiert Schäffner weiter- hin, insbesondere die Energiebranche, in die er weiterhin Kontakte pflegt. »Der Kopf ist klar.«
Sein Arzt, erinnert sich Schäffner, riet ihm nach der Diagnose: »Gehen Sie nach Hause, regeln Sie alles und genießen Sie den Rest.« Doch der Manager wollte sich nicht in die Untätigkeit zurückziehen. Er entschied, sich für die ALS-Forschung zu engagieren: »Wenn’s auch mir nicht hilft, hilft es in Zukunft vielleicht anderen.«
Die ALS-Forschung ist auf Spenden angewiesen
Die ALS-Forschung werde zum großen Teil durch Spenden finanziert. »Weil ALS so selten ist, hat die Pharmaindustrie kein großes Interesse daran«, sagt Schäffner. »Es gibt bisher kein Medikament, das die Krankheit stoppt oder heilt.« Laut der Berliner Charité leben in Deutschland 6000 bis 8000 Menschen mit ALS. Jährlich wird es bei etwa 2000 neu diagnostiziert. Die meisten sind zwischen 50 und 70 Jahre alt, Männer erkranken etwas häufiger.
In den sozialen Medien und in seinem deutschlandweiten Netzwerk berichtete Jürgen Schäffner von seiner Erkrankung und startete eine Spendeninitiative. Die Einnahmen kommen der Forschung durch die ALS-Ambulanz der Charité zugute. Je- der Euro helfe, denn Grundlagenforschung sei wie puzzeln und da seien auch die kleinen Puzzleteile wichtig.
»Wer Erfolg haben will, braucht Ziele, das gilt für das Laufen und die Karriere«, sagte Schäffner, als er vom Marathonlaufen berichtet. Und vielleicht ist es auch diese Läuferdisziplin, die ihm hilft, hartnäckig ein Herzensprojekt zu verfolgen.
(pfa)