ÖPNV

ÖPNV: Investitionen in den „Fahrspaß“

Verkehrsunternehmen berichten über aktuelle Auslastungszahlen und neue Hygienekonzepte. Mobilitätsforscher empfehlen weitergehende Maßnahmen gegen den Fahrgastrückgang.
13.09.2020

Wenn der Umstieg auf das Auto erst einmal zur Gewohnheit geworden ist, ist es schwer, die Fahrgäste wieder zum ÖPNV zu bringen.

Die Corona-Pandemie hat die Fahrgastzahlen in Bussen und Bahnen einbrechen lassen. Der Tiefstand vom April, als noch strenge Kontaktbeschränkungen galten, ist zwar überwunden. Doch selbst die sonst so volle S-Bahn im Rhein-Main-Gebiet kommt Monate später nur auf gut 65 Prozent Auslastung.

Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) sieht Kurzarbeit, Homeoffice und das weiter geltende Verbot für Großveranstaltungen als Ursachen für die anhaltend niedrigeren Fahrgastzahlen. Im April waren nur 10 bis 20 Prozent der Fahrgäste unterwegs, seit Mai wird eine Zunahme verzeichnet. "Wir gehen von weiteren Steigerungen aus, insbesondere in den vergangenen Wochen war ein merklicher Anstieg der Fahrgäste zu verzeichnen", erklärt der RMV. Der nordhessische Verkehrsverbund NVV berichtet von einer durchschnittlichen Auslastung von aktuell 80 Prozent.

Dynamische Entwicklung

Die finanziellen Einbußen für die Verkehrsunternehmen waren vor allem anfangs gewaltig. Im April betrug der Rückgang bei den Einnahmen aus den Ticketverkäufen beim RMV bis zu 80 Prozent, im Mai lag er um die 40 Prozent. Auch Juni und Juli lagen unter dem Niveau der Vorjahresmonate. Wie sich dies langfristig auswirkt, ist noch unklar. "Da die Lage sehr dynamisch ist, ist eine Einschätzung der Gesamteinbußen zum Jahresende nach wie vor Spekulation", heißt es beim RMV.

Um weitere Fahrgäste zurück in die Busse und Bahnen zu locken, werben die Verkehrsunternehmen zusätzlich zu den zahlreichen Hygienemaßnahmen mit technischen Neuerungen: Der RMV bietet auf seiner mobilen Website eine Auslastungsprognose an, die auch automatisch Alternativen anzeigt. Nach der Deutschen Bahn testen einige Anbieter wie die Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF)  und die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) Rolltreppen, deren Handlauf automatisch mit UV-Licht desinfiziert wird.

Besserverdienende fahren Auto

Die Fahrgastzahlen würden sich nicht automatisch erholen, schreibt das Infas-Institut zu einer Befragung vom Mai 2020. Das aktuelle Minus werde sich reduzieren, aber nicht vollständig verschwinden. "Die Branche muss aufpassen, nicht zu einem Transporteur für die weniger Wohlhabenden zu werden", heißt es darin. Der Befragung zufolge stiegen vor allem Besserverdienende in der Pandemie aufs Auto um. Wenn Homeoffice und Kurzarbeit blieben, müsse zudem neu kalkuliert werden.

Handeln sei nötig, sagt auch der Frankfurter Mobilitätsforscher Martin Lanzendorf, damit der öffentliche Nahverkehr nicht dauerhaft zu den Verlierern der Krise zählt. Wenn Routinen wie der Umstieg auf das Auto erst einmal etabliert seien, sei es schwer, sie wieder zu ändern. "Der öffentliche Verkehr muss flexibler werden und sich mehr auf Radfahrer einstellen", fordert der Professor. Generell müsse in das Angebot und die Fahrzeuge investiert werden. "Es muss Spaß machen, mitzufahren." Diese Forderung sei zwar schon Jahre alt, nun aber umso wichtiger. "Es wäre fatal für die Verkehrspolitik, wenn der öffentliche Verkehr mittel- und langfristig nicht mehr so stark genutzt würde." (dpa/hp)