Deutschland

Aurora-Experte erklärt, welcher Kapazitätsmarkt in Europa sich bewährt hat

Deutschland droht in den nächsten Jahren eine Stromlücke. Ein Kapazitätsmarkt soll helfen, diese zu schließen. Aber wie? Ein Interview mit dem Energieexperten Hanns Koenig.
08.03.2024

Hanns Koenig ist Managing Director, Central Europe, bei der Unternehmensberatung Aurora Energy Research.

Lange hat sich die Bundesregierung gegen Kapazitätsmärkte gesträubt. Bis zum Sommer könnte aber auch sie sich im Rahmen der Kraftwerksstrategie für dieses Modell entscheiden. Doch welche Ziele können Kapazitätsmärkte realistischerweise erfüllen? Und wie sicher lässt sich damit neue Leistung anreizen? Ein Interview mit Hanns Koenig, Managing Director, Central Europe, bei der Unternehmensberatung Aurora Energy Research, hier Teil eins.

Herr Koenig, hört man so manchen Ampel-Politiker, sollte ein künftiger Kapazitätsmarkt in Deutschland nicht nur Eier legen, sondern auch noch Wolle liefern, Milch geben und reichlich Schlachtfleisch auf den Rippen haben. Mal ehrlich: Was kann ein Kapazitätsmarkt realistischerweise leisten – und was eher nicht?

Die wichtigste Aufgabe eines Kapazitätsmarktes ist es, möglichst kosteneffizient Versorgungssicherheit sicherzustellen. Darum führt man ihn ein. Zudem sollte ein Kapazitätsmarkt mit unseren Klimazielen kompatibel sein. Das heißt, er sollte keine Investitionsentscheidungen verursachen, die diesen Zielen zuwiderlaufen. Und dann sollte er idealerweise noch dafür sorgen, dass die Kraftwerke dort gebaut werden, wo sie am systemdienlichsten sind. Klar ist: Je mehr Kriterien es gibt, desto größer ist die Gefahr, dass die Ziele miteinander in Konflikt stehen, – und desto teurer wird es tendenziell.

Bleiben wir bei der allerwichtigsten Aufgabe, der Versorgungssicherheit. Außer Frage steht, dass Deutschland dringend gesicherte Leistung braucht. Weitgehend Konsens ist zudem, dass zehn Gigawatt an neuen Wasserstoff-ready-Kraftwerken bei Weitem nicht ausreichen dürften, um bis 2030 eine durchgängige Stromversorgung in Deutschland zu garantieren und gleichzeitig aus der Kohle auszusteigen. Kann ein Kapazitätsmarkt genügend Anreize schaffen, um diese Lücke zu schließen?

Die Erfahrung aus anderen europäischen Ländern zeigt, dass Kapazitätsmärkte sehr wohl Investitionen in neue Kraftwerke anreizen. Nehmen wir das Beispiel Großbritannien.

Gern.

Hier können sich Betreiber neuer Kraftwerke Förderung mit einer Laufzeit von 15 Jahren sichern. Zwischen Auktion und Vertragsbeginn liegen vier Jahre („T-4“). Dieses Modell hat sich grundsätzlich bewährt und wurde mit kleineren und größeren Änderungen auch von anderen Ländern wie Polen, Italien oder Belgien übernommen.

Was geschieht, wenn sich der Regulierer verschätzt hat und der Leistungsbedarf größer ausfällt als vier Jahre im Voraus angenommen?

Dafür hat Großbritannien eine zweite Auktion eingeführt, die jeweils im Jahr vor Vertragsbeginn durchgeführt wird („T-1“). Hier können Kraftwerkbetreiber zum Zug kommen, die bei der ersten Auktion leer ausgegangen sind. Klar ist, dass es sich dabei üblicherweise nicht um neue Kraftwerkprojekte handelt, denn in einem Jahr baut niemand ein neues Kraftwerk.

Dann sind bei der zweiten Auktion also vor allem Bestandsanlagen erfolgreich?

Ja, wobei die Vertragslaufzeit bei Bestandsanlagen keine 15 Jahre beträgt, sondern ein Jahr. Es gibt zudem Länder, die eine Zwischenstufe eingezogen haben. Wurde ein bestehendes Kraftwerk modernisiert, also etwa die Lebensdauer verlängert oder der Wirkungsgrad gesteigert, erhalten die Betreiber je nach Marktmodell einen fünf- oder siebenjährigen Vertrag.

Wie sinnvoll ist es überhaupt, Bestandskraftwerke in Auktionen einzubeziehen?

Aus Kosten- und Effizienzgründen ergibt das schon Sinn. Stellen wir uns vor, dass nur neue Kraftwerkprojekte an Auktionen teilnehmen dürften. Dann bestünde die Gefahr, dass bereits gebaute Kraftwerke unrentabel und aus dem Markt gedrückt werden, obwohl sie technisch noch laufen könnten.

Und wie sinnvoll ist es, fossile Bestandskraftwerke zu Auktionen zuzulassen?

Die Europäische Union setzt dem Grenzen. Kraftwerke dürfen nur dann an Kapazitätsmechanismen teilnehmen, wenn sie weniger als 550 Gramm Kohlenstoffdioxid pro Kilowattstunde freisetzen. Damit sind reine Kohlekraftwerke ausgeschlossen. Die Frage ist dann vor allem, wie wir mit bestehenden Gaskraftwerken umgehen. Grundsätzlich halte ich es für sinnvoll, diese zum Kapazitätsmarkt zuzulassen.

So sind im Übrigen auch fast alle Kapazitätsmärkte in Europa organisiert. Natürlich kann man zusätzliche Schranken einziehen, um zu verhindern, dass bestehende fossile Kraftwerke vom Kapazitätsmarkt übermäßig profitieren. Man kann etwa Maximalgebote festlegen, oder wie viel Leistung sich fossile Kraftwerke maximal sichern dürfen. Auch die Verträge von Bestandsanlagen laufen, wie oben erwähnt, in anderen europäischen Kapazitätsmärkten in der Regel nach einem Jahr aus.

Die Nagelprobe für Kapazitätsmärkte sind Dunkelflauten, wenn kaum mehr Wind- und Solarstrom ins Netz gespeist werden. Welche Instrumente gibt es, um die Verfügbarkeit von Leistung gerade für diese Zeiten sicherzustellen?

Üblicherweise wird bereits in einem sogenannten Präqualifikationsprozess geprüft, was Kraftwerke, die an Auktionen teilnehmen wollen, leisten können und was nicht. Darüber hinaus haben sich verschiedene Instrumente etabliert. Der Regulierer kann beispielsweise im Voraus mehrere Zeitfenster festsetzen, zu denen bestimmte Kraftwerke zur Verfügung stehen müssen. Ist das Kraftwerk dann trotzdem in Wartung, wird eine Strafzahlung fällig. Eine Alternative sind sogenannte "reliability options".

Verlässlichkeitsoptionen also. Was ist damit gemeint?

Dabei wird zwischen Stromerzeuger und Regulierer vorab ein bestimmter Strompreis vereinbart. Liegen die Spotmarktpreise höher, muss der Erzeuger dem Regulierer die Differenz begleichen. Liegen die Spotmarkpreise unter dem zuvor vereinbarten Preis, erhält der Erzeuger den Spotpreis in Gänze.

Durch diesen Mechanismus ist der inhärente Anreiz für Erzeuger sehr groß, zur richtigen Zeit zur Verfügung zu stehen. Denn wenn er in Zeiten hoher Preise keinen Strom produzieren kann, verliert er nicht nur den ihm vertraglich zugesicherten Anteil an den Spotmarkteinnahmen, sondern muss auch noch die Differenz zwischen Spotpreis und vorab vereinbartem Preis bezahlen. Dies schafft vermutlich einen direkteren und effizienteren Anreiz, Kapazität zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung zu stellen, als eine regulatorische Kontrolle.

Das Interview führte Andreas Baumer


Wichtiger Hinweis: Im zweiten Interviewteil, das in den nächsten Tagen erscheint, erläutert Aurora-Experte Hanns Koenig, inwiefern das ausgegebene Ziel eines operativen Kapazitätsmechanismus bis spätestens 2028 machbar wäre und wie netzdienliche und EU-konforme Anreize auch ohne Strompreiszonenteilung möglich sein könnten. Mehr zum Thema Kraftwerksstrategie erfahren Sie zudem in der neuen ZfK-Printausgabe, die am Montag, 11. März, erscheint. Zum Abo geht's hier.