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70 Jahre ZfK – Kehrwoche weggefegt

1989: Nach nur dreiminütiger Beratung bringt der Stuttgarter Stadtrat eine geheiligte schwäbische Tradition zu Fall.
03.06.2024

70 Jahre ZfK – Seit Juni 1954 berichtet die Zeitung für kommunale Wirtschaft aus und für die kommunalen Versorgungsunternehmen. Höchste Zeit also für einen Rückblick. In den Archiven finden sich dabei immer auch ganz besondere „Schätzchen“: 1989 trennte sich Stuttgart von einer urschwäbischen Tradition.

Eine „schwerwiegende Entscheidung, ähnlich nur Änderungen des Grundgesetzes", dünkte den Grünen-Fraktionsvorsitzenden der Beschluß gar, zu dem man sich im Stuttgarter Gemeinderat aufgerafft hatte. Das für schwäbische Saubermänner und -frauen schier Unfaßbare war geschehen: Nach nur etwa dreiminütiger Beratung brachte das Stadtparlament bei lediglich einer Gegenstimme und einer Enthaltung die Kehrwoche und damit eine geheiligte Tradition zu Fall. Selbst Oberbürgermeister Manfred Rommel stimmte dieser für den „schwäbischen Nationalcharakter" ungewöhnlichen Entscheidung zu.

Stets das gleiche Ritual

Verändert wird mit dem Gemeinderatsbeschluß eine „Satzung über das Reinigen, Räumen und Bestreuen der Gehwege in Stuttgart". Dort heißt es im nunmehr gestrichenen § 4: „Die Reinigung der Gehwege und der sonstigen in § 1 genannten Flächen umfaßt die Beseitigung der durch die gewöhnliche Benutzung oder auf andere Weise verursachten Verschmutzung, insbesondere die Beseitigung von Schmutz, Unrat und Laub. Sie ist nach Bedarf, mindestens jedoch einmal wöchentlich, vorzunehmen." In der Praxis war es so, daß die urschwäbische Erfindung der Kehrwoche im rollierenden Verfahren jeden Wohnungsinhaber in die Pflicht nahm. Jeweils gegen das Wochenende vollzog sich in allen Straßen der Stadt das stets gleiche Ritual, unterbrochen nur von kurzen Verschnaufpausen: Es wurde gefegt, geschrubbt, geputzt und gewienert.

Mußten bisher eventuell doch unsaubere Schwaben, vor allem aber die vielen Zugereisten mit Ordnungsgeldern zwischen fünf und tausend D-Mark rechnen, sofern sie der wöchentlichen Kehrpflicht nicht nachkamen, genügt jetzt eine Säuberung im Bedarfsfall. Eine allzu laxe und dehnbare Formulierung, wie denn auch gleich Beobachter auf der vollbesetzten Zuhörertribüne unmutig kommentierten.

Wo ist der Gassensäuberungsinspektor?

Viele der auf Reinlichkeit bedachten Stuttgarter sollen übrigens noch heute dem ehedem für die Einhaltung der Reinigungspflicht zuständigen Beamten, dem Gassensäuberungsinspektor, nachtrauern. Er stand schließlich ganz in der Tradition des Stadtrechts von 1492, das besagte: „Damit die Stadt rein erhalten wird, soll jeder seinen Mist alle Wochen hinausführen. Wer kein eigenes Sprechhaus (Klosett) hat, muß den Unrat jede Nacht in den Bach tragen." Letzteres freilich sollte er heute lieber bleiben lassen.

Noch ist aber nicht alles verloren. Sollten jetzt anarchisch unsaubere Zustände in die Landeshauptstadt einkehren, empfiehlt der OB schon vorweg einen Ausweg: „Wenn es uns zu dreckig wird, können wir die Kehrwoche wieder einführen." Und noch ein Trost ist geblieben: Die regelmäßige Säuberungspflicht für Treppen, Hausflure und Keller bleibt bestehen. Pessimisten befürchten allerdings, daß es künftig noch mehr Diskussionen um Sinn oder Unsinn der innerhäuslichen Säuberungsprozedur geben könnte.