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70 Jahre ZfK – Liberalisierung

1997: Großer Wurf noch heiß umstritten – Energierechtsnovelle vor der Hürde Bundesrat — Gas ohne Extras
03.06.2024

1997 wurden bei der Liberalisierung des Energiemarkts erste Pflöcke eingeschlagen.

70 Jahre ZfK – Seit Juni 1954 berichtet die Zeitung für kommunale Wirtschaft aus und für die kommunalen Versorgungsunternehmen. Höchste Zeit also für einen Rückblick. In den Archiven finden sich dabei immer auch ganz besondere „Schätzchen“: 1997 stand die Liberalisierung der Energiemärkte vor der Tür.

Gegen die Stimmen der Opposition hat der Bundestag am 28. Nov. das „Gesetz zur Neuordnung des Energiewirtschaftsrechts" gebilligt. Mit der Abschaffung geschlossener Versorgungsgebiete und der über eine Verbändevereinbarung zu konkretisierenden Durchleitung als zentralem Wettbewerbsinstrument soll es, so die Erwartung der Koalition, niedrigere Strom und Gaspreise für alle Kunden bringen. Bevor das Gesetz, das europäische Vorgaben weit überschreitet, formal wirksam werden kann, muß es am 19. Dez. noch den Bundesrat passieren. Dessen Einspruch erscheint wahrscheinlich, weitere Gesetzes-Modifikation nicht ausgeschlossen.

Am Bundesrat vorbeischleusen

Denn Bundestags-Opposition wie Mehrheit des Bundesrates halten, wie bis zum Sommer auch die Bundesregierung, das Gesetz für zustimmungsbedürftig. Wenn die Regierung die Energierechtsnovelle weiter am Bundesrat vorbeischleusen wolle, werde man „nach Karlsruhe" gehen, bekräftigte Volker Jung (MdB) als energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Laut Jung führt das von der Koalition als großer Wurf gepriesene Gesetz die deutsche Energiepolitik schlicht in die Sackgasse; statt Stärkung gebe es eine Schwächung des Standorts Deutschland. Die Drohung „Karlsruhe" könnte, wird spekuliert, die Regierungskoalition noch veranlassen, in einem Vermittlungsverfahren für einzelne Streitfragen nach einvernehmlicheren Lösungen zu suchen.

Gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministers ist der Gesetzestext in den letzten Wochen bis zur vorentscheidenden Sitzung des Bundestags-Wirtschaftsausschusses am 12. Nov. weiter modifiziert und aus kommunaler Sicht in Teilen verbessert worden (ZfK 11/97, 1). Dazu gehört die (vorerst zeitlich beschränkte) Aufnahme des Alleinabnehmersystems als alternative Netzzugangsvariante, die Möglichkeit der Versagung von Wegerechten zum beschränkten Schutz der Fernwärme und eine bessere Absicherung der bei Druck auf Preisen und Margen zwangsläufig sinkenden Konzessionsabgabe.

Allerdings: Die verfassungsrechtlich garantierte Regelungskompetenz der Kommunen für die örtliche Energieversorgung findet im Gesetz keine Erwähnung zum „Ausgleich" gab es eine Entschließung des Bundestags.

Einladung zu Preismanipulation

Nach Art. 1 § 3 e der Novelle gilt das sog. Alleinabnehmersystem – im Gesetzestext ist immer von „Netzzugangsalternative" die Rede – zunächst nur bis 2005; ebenso unbefriedigend bleibt seine Abhängigkeit von einer „behördlichen Genehmigung". Auf halbem Wege stehengeblieben zu sein, warf SPD-Sprecher Jung der Koalition auch beim sog. Durchleitungstatbestand vor (Art. 1. § 3 c). Zwar habe man sich von den „extrem liberalistischen Deregulierungsabsichten" des ursprünglichen Gesetzesentwurfs entfernt, die jetzige Gestaltung lade aber zu Preismanipulationen geradezu ein. Und die Verbändevereinbarung über die Bemessung der Durchleitungsentgelte könnte auch als Instrument zur Verhinderung der Durchleitung mißbraucht werden.

Ein Netzbetreiber kann ein Durchleitungsbegehren nach Art. 1 § 3 c Abs. 3 ablehnen, wenn dadurch „Elektrizität aus fernwärmeorientierten, umwelt- und ressourcenschonenden sowie technisch-wirtschaftlich sinnvollen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ... verdrängt und ein wirtschaftlicher Betrieb dieser Anlagen verhindert würde". Damit hänge das Schicksal der Fernwärme von Abwägungen und Ermessensentscheidungen der Kartellbehörden ab, hatte der VKU mehrfach (vergeblich) gemahnt.

Industrie läuft Sturm

Immerhin: Die Kommunen können Wegerechte zum Direktleitungsbau dann verweigern, wenn der Leitungsbau zur Verdrängung von Fernwärme führte (Artikel 1 § 8 Satz 2). Gegen diese Änderung des Entwurfs war die Vereinigung Industrielle Kraftwirtschaft (VIK) in den letzten Wochen Sturm gelaufen. Damit entzöge man der Industrie ein Druckmittel bei Verhandlungen über angemessene Durchleitung. Nicht akzeptabel findet es die Industrie auch, daß nach Einbeziehung des Stromeinspeisungsgesetzes ins Artikelgesetz Mehrkosten aus der Abnahme von Strom aus regenerativen Energien bei der Ermittlung von Durchleitungsentgelten in Ansatz gebracht werden können. Damit würden die „ohnehin voraussichtlich sehr hohen Durchleitungskosten weiter verteuert". Für 1998 betragen die sog. Mindestvergütungen lt. Stromeinspeisungsgesetz, das nun auch für Biomasse-Anlagen gilt, für Strom aus Wind und Sonnenenergie 16,79 Pf/kWh (90 % der Durchschnittserlöse), für Strom aus kleineren Wasserkraft- und Biomasseanlagen 14,92 Pf/kWh (80 %) und für größere Wasserkraftanlagen 12,12 Pf/kWh (65 %).

Anders als für Strom gibt es für Gas im neuen Energiewirtschaftsgesetz keinen eigenen Durchleitungstatbestand; es gelten, was der BGW ausdrücklich begrüßt, die allgemeinen kartellrechtlichen Regeln (§§ 22 und 26 GWB); das erlaube sachbezogene Einzelfallentscheidungen. Notwendig wäre noch eine Klarstellung zu den Alleinvertriebsrechten gemäß § 18 GWB. Die schafften keine Ausnahmerechte fürs Gas, sondern lediglich eine Gleichbehandlung mit anderen Branchen. Im übrigen monieren der BGW wie VKU und VDEW das „jedweder Rechtstradition" entgegenstehende Fehlen von Übergangsregelungen.