Karriere

Ideale Kandidaten finden sich oft auf den zweiten Blick

Der Fachkräftemangel wird immer gravierender und viele Unternehmen merken, dass tradierte Recruiting-Muster nicht mehr funktionieren. Wie gelingt es, Diversity Management in die Prozesse des Personalwesens zu integrieren? Gastbeitrag von Erich Wulff, COO der El-Net Group
11.05.2022

In Bereichen, in denen Fachkräftemangel herrscht, hilft es, die Kriterien für die Kandidatenauswahl zu erweitern.

Unternehmen klagen hierzulande häufig darüber, keinen passenden Kandidaten zu finden. Dass der sogenannte Fachkräftemangel zumindest teilweise auch daraus resultiert, dass die Auswahlkriterien in Bewerbungsverfahren keine Abweichung von der Norm zulassen, ist nicht von der Hand zu weisen. Gesucht werden oft Bewerber im Alter von 30 bis 40 Jahren, mit gutem Schulabschluss, einem erfolgreichen Universitätsabschluss, fachlicher Expertise, Branchenerfahrung und bisherigen Karriereschritten, die logisch aufeinander aufbauen und scheinbar geradewegs auf die neue Stelle hinführen. Wird der ideale Kandidat nicht eindeutig identifiziert, bleibt die Stelle unbesetzt oder aber, es werden nur die wenigen Bewerber zum Gespräch eingeladen, die wirklich alle Kriterien aus der Stellenbeschreibung erfüllen.

Genau an diesem Punkt kann es jedoch für Unternehmen lohnend sein, einmal gedanklich innezuhalten und sich ebenso ehrlich wie selbstkritisch mit ein paar wichtigen Fragen auseinanderzusetzen: Wissen wir eigentlich wirklich so genau, wie wir personell jetzt und in der Zukunft aufgestellt sein müssen, um erfolgreich zu sein, und wen wir dafür suchen? Welche persönlichen Eigenschaften brauchen wir dafür, neben den fachlichen Skills? 

Nicht-lineare Lebensläufe lohnen einen zweiten Blick

Die moderne Arbeitswelt ist ständigen Veränderungen und Weiterentwicklungen unterworfen, die Komplexität von Themen und Aufgaben nimmt permanent zu. Unternehmen wünschen sich vor diesem Hintergrund Mitarbeiter:innen, die proaktiv mitdenken, fachübergreifend über den Tellerrand hinausblicken, sich engagieren und sich einbringen. Das erfordert in vielen Firmen ein Umdenken bei der zukünftigen Personalauswahl, ein Umdenken, das in den Chefetagen beginnt: Viel mehr als früher üblich, sollten Unternehmens- und HR-Leitung ihren Fokus neben der fachlichen Eignung auch verstärkt auf die vielfältigen sozialen Kompetenzen von Bewerbern legen.

Um den komplexen Anforderungen jetzt und zukünftig gewachsen zu sein, brauchen Unternehmen nämlich Mitarbeiter für agile Strukturen, um zu besseren Ergebnissen zu kommen. Dabei kann es sinnvoll und hilfreich sein, wenn Kandidat:innen bereits Erfahrungen in anderen Branchen gesammelt haben, denn breitgefächerte Kenntnisse helfen bei der Suche nach Lösungen. Gerade die nicht-linearen Lebensläufe oder ungewöhnlichen Bewerbungen lohnen den zweiten Blick: Wer schwierige Zeiten und persönliche Herausforderungen erlebt hat und dafür Lösungsstrategien entwickeln konnte, weil eben nicht alles glatt lief, bringt höchstwahrscheinlich einen großen Erfahrungsschatz, mehr Sozialkompetenz und eine höhere Resilienz mit – Skills, die ein auf den ersten Blick viel geradlinigerer Kandidat vermutlich weniger erlernen und erproben konnte.

Mut zum Diversity Management

Daher lohnt es sich für Unternehmen, Mut zum Diversity Management zu zeigen, denn das Umdenken eröffnet gleichzeitig neue Chancen: zum Beispiel für Menschen jenseits der 50 mit viel Lebens- und Berufserfahrung sowie für Menschen aus anderen Kulturkreisen. Auch die Einstellung von Frauen ist in bestimmten Funktionen und Berufen bis heute keine Selbstverständlichkeit. In den Köpfen so mancher männlicher Chefs herrscht noch immer die Vorstellung, dass männliche Mitarbeiter „besser“ geeignet oder belastbarer seien.

Dabei kann die Anstellung von weiblichen Bewerbern gerade in eher männlich geprägten Berufsfeldern wie zum Beispiel der IT-Branche ein Ausweg aus dem Fachkräftemangel sein, denn in diesem Bereich ist die Fachkräftelücke so groß wie nie. Würden die Personalabteilungen von den üblichen engen Auswahlkriterien abweichen, könnten dank Diversity Management sicher viele der derzeit mehr als 28.000 offenen Stellen in Deutschland in diesem Bereich besetzt werden.

Bewerber:innen sollten sich Kernkompetenzen bewusst machen

Und was können Bewerber:innen selbst tun, um beim Auswahlprozess nicht gleich durchs Raster zu fallen? Es gilt, sich vor allem die eigenen Stärken und den eigenen Mehrwert im Vergleich zu möglichen anderen Kandidat:innen bewusst zu machen. Klingt einfach – ist in der Praxis häufig jedoch schwieriger als es zunächst scheint. Aber nur, wenn man sich der eigenen Kernkompetenzen bewusst wird und in der Lage ist, das auch mit Erfolgen der eigenen Vita zu belegen, ist man gut aufgestellt.

Außerdem sollten sich die Kandidat:innen frühzeitig die konkrete und aktuelle Situation des Unternehmens, das eine Stelle ausgeschrieben hat, genau anschauen. Sie sollten sich dazu folgende Fragen beantworten: Was ist vermutlich für dieses Unternehmen in der momentanen und zukünftigen Marktsituation besonders wichtig? Welche Skills werden benötigt und wie passen diese Anforderungen zu meinem eigenen Profil? Ist mein Profil für das Unternehmen interessant und passt es zu dem, was ich selbst suche? Oft ist es hilfreich, sich dafür durch einen geeigneten Coach und Karriereberater unterstützen zu lassen. (hp)