Gas

"Wir sehen sehr viel Bewegung bei Kraftwerken, die Wasserstoff-ready sind"

Mit Voranschreiten der Kraftwerksstrategie dürfte die Nachfrage nach H2-ready-Anlagen sprunghaft steigen. Siemens-Energy-Manager Erik Zindel gibt im ZfK-Interview einen Einblick in einen Markt der Zukunft und erklärt, wie weit bereits Turbinen sind, die zu 100 Prozent Wasserstoff verbrennen können.
06.02.2024

Erik Zindel kümmert sich beim Hersteller Siemens Energy an führender Stelle um die Themen Wasserstoff und Dekarbonisierung.

Die Bundesregierung hat neue Eckpunkte zur Kraftwerksstrategie veröffentlicht – und siehe da: Wasserstoffkraftwerke spielen zunächst keine große Rolle mehr. Auf die Förderung von Anlagen, die von Anfang an Wasserstoff verbrennen, wird wohl im Wesentlichen verzichtet. Dabei ist die Technik selbst schon recht weit, wie Siemens-Energy-Manager Erik Zindel, der sich um die Themen Wasserstoff und Dekarbonisierung kümmert, berichtet. Ein redaktioneller Hinweis: Das Interview wurde vor Veröffentlichung der neuen Kraftwerksstrategie-Einigung geführt.

Herr Zindel, Bundeswirtschaftsminister Habeck wollte 8,8 Gigawatt an neuen Kraftwerken ausschreiben, die von Beginn an mit Wasserstoff betrieben werden. Daraus scheint erst einmal nichts zu werden. Gibt es überhaupt schon Turbinen, die nachweislich zu 100 Prozent Wasserstoff verbrennen können?

Erik Zindel: Wir haben erst im September vergangenen Jahres in einem französischen Kraftwerk eine Gasturbine in zeitlich begrenzt Umfang mit 100 Prozent Wasserstoff im Rahmen eines Testprojektes betrieben. Dabei handelt es sich eine Leistung von elf Megawatt und noch nicht um eine marktreife Maschine.

Deutlich öfter hat Siemens Energy bereits die Beimischung von Wasserstoff zu Erdgas getestet, 2023 etwa im Wiener Großkraftwerk Donaustadt. Wie gut vertragen sich die beiden Brennstoffe?

Zindel: Grundsätzlich ist es physikalisch relativ einfach, die beiden Energieträger zu vermischen. Deutlich herausfordernder ist es, hohe Wasserstoffanteile an sich zu verbrennen.

Warum?

Zindel: Erstens setzen wir bei hohem Wasserstoffanteil in bestimmten Teilbereichen höherwertige Materialien ein. Zweitens hat Wasserstoff eine niedrigere volumetrische Energiedichte. Das führt dazu, dass die Rohrleitungen im Brenngassystem vergrößert werden müssen, um die gleiche Energiemenge transportieren zu können. Das ist vor allem dann schwierig, wenn ein bestehendes Gaskraftwerk auf Wasserstoff umgerüstet werden soll, wo der Einsatz von Wasserstoff beim Bau nicht eingeplant war.

Drittens diffundiert Wasserstoff sehr leicht, da es ein sehr kleines Molekül ist. Man muss also Flansche und Dichtungen speziell anpassen, um das Austreten von Wasserstoff zu verhindern. Und viertens – und am wichtigsten – ist Wasserstoff viel reaktionsfreudiger und weist auch eine höhere Flammengeschwindigkeit auf als Erdgas. Mit klassischen Erdgas-Gasturbinenbrennern können wir Wasserstoff folglich nicht verbrennen.

Das heißt?

Zindel: Wir entwickeln komplett neue Brennerkonzepte, um einen stabilen und emissionsarmen Betrieb auf Wasserstoffbasis zu garantieren.

Fehlt noch die Flammentemperatur.

Zindel: Auch diese ist leicht höher als bei Erdgas. Das heißt: Abhängig von der Mischung in der Brennkammer können ohne besondere Maßnahmen auch die Emissionen der Stickstoffoxide etwas höher ausfallen. Die große Aufgabe für unsere Ingenieure ist also: Wie entwickle ich ein Verbrennungssystem, das stabil mit Wasserstoff funktioniert, andererseits aber auch die sehr niedrigen Grenzwerte für Stickstoffoxid-Emissionen einhält?

Klingt sehr komplex.

Zindel: Ist es auch, vor allem weil man die Prozesse in der Brennkammer nicht komplett am Rechner modellieren kann. Wir müssen also noch viel testen. Das ist bei Verbrennungsvorgängen aber normal. Es dauert seine Zeit, bis ein neuer Brenner so weit entwickelt wird, dass er auch kommerziell angeboten werden kann.

Welche wasserstofffähigen Gasturbinen bieten sie denn bereits kommerziell für neue Anlagen an?

Zindel: Wenn wir von Volumenprozenten reden, bewegen wir uns bei bis zu 75 Prozent Wasserstoffbeimischung, je nach Turbinenmodell. In den nächsten Jahren wollen wir das so schnell wie möglich auf 100 Prozent für viele Leistungsklassen in unserem Portfolio erhöhen.

Können Sie das konkreter machen?

Zindel: Im Rahmen eines Commitments des EU Turbines-Verbands streben wir gemeinsam mit anderen Herstellern an, bis zum Jahr 2030 wasserstofffähige Gasturbinen am Markt anzubieten. Wir sind aber sehr ambitioniert bei der Entwicklung, so dass es wahrscheinlich für ausgewählte Modelle schneller geht.

Wie groß ist denn bereits die Nachfrage nach Wasserstoffturbinen?

Zindel: Grundsätzlich ist es so, dass Wasserstoff zumindest in den nächsten Jahren noch teurer sein wird als Erdgas, einfach, weil das Angebot an Wasserstoff noch zu knapp ist. Aus rein wirtschaftlichen Gründen wird also zunächst kein Betreiber ein Interesse haben, Wasserstoff in Strom umzuwandeln. Zudem gibt es auch andere, vorrangige Anwendungsfälle, zum Beispiel in der Stahlproduktion.

Interessant werden Wasserstoffturbinen allerdings dann, wenn Betreiber aus regulatorischen Gründen Wasserstoff beimischen müssen, um CO2-Grenzwerte einzuhalten. Diese gibt es derzeit noch nicht. Es wird aber in diese Richtung gehen. Aber zurück zu Ihrer Frage, wie sich die Nachfrage derzeit darstellt.

Gern.

Zindel: Wir sehen sehr viel Bewegung bei Kraftwerken, die "Wasserstoff-ready" sind. Gemeint sind Anlagen, die zunächst mit Erdgas betrieben werden, aber für einen späteren Umbau auf Wasserstoffbetrieb bereits vorgerüstet sind. In Leipzig haben wir letztes Jahr ein H2-ready-Kraftwerk in Betrieb genommen, das Heizkraftwerk Leipzig Süd der Stadtwerke Leipzig. In diesem Markt sehen wir ein großes Potenzial.

Wie sieht es mit der Nachfrage nach wasserstofffähigen Kraftwerken aus, wo schon jetzt Wasserstoff verbrannt werden könnte?

Zindel: Da sehen wir hier und da mal ein paar Tests, aber mit wenigen Ausnahmen keine Kraftwerke, in denen Wasserstoff kontinuierlich verstromt wird. Nicht nur weil Wasserstoff derzeit noch teuer ist. Es gibt schlicht nicht die erforderlichen Mengen, um eine Turbine zur Stromerzeugung betreiben zu können. Aber Sie haben die Regierungspläne ja schon erwähnt, wonach Wasserstoffkraftwerke ausgeschrieben werden sollen. Das reizt natürlich an, solche Anlagen möglichst bald verfügbar zu machen.

Es wird aber noch seine Zeit dauern, bis die notwendige Wasserstoffinfrastruktur gebaut ist und die Industrie die notwendigen Anlagen liefern kann. Wir reden hier ja nicht nur über die Kraftwerke, sondern auch über Wasserstoffleitungen, Importterminals und Speicher. Und dann muss diese Infrastruktur noch mit genügend Molekülen befüllt werden, um eine stabile Wasserstoffversorgung zu garantieren, denn ein Wasserstoffkraftwerk benötigt für seinen Betrieb ganz schön viel Wasserstoff. Das heißt, zusätzliche erneuerbare Energien sowie Elektrolyseure, die Strom und Wasser in Wasserstoff umwandeln. Wir gehen davon aus, dass unsere Technik viel früher im Kraftwerk bereitstehen wird als die erforderlichen Wasserstoffmengen zum Betrieb.

Das Interview führte Andreas Baumer


Hinweis: Das war der zweite Teil des ZfK-Interviews mit Siemens-Energy-Manager Erik Zindel. Im ersten Teil erklärte er, was es bedeuten könnte, wenn nun innerhalb kurzer Zeit eine ganze Reihe von Stromerzeugern Gasturbinen bestellt. Außerdem erläuterte er, welche dringend benötigten Funktionen neue Kraftwerke außer der reinen Stromerzeugung noch übernehmen könnten. Den Artikel finden Sie hier. Auch hier der redaktionelle Hinweis: Das Interview wurde vor der Kraftwerksstrategie-Einigung geführt.